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Ein Schweizer Dorf spricht Portugiesisch

Das winterliche Walliser Dorf Täsch bei Zermatt: Hier leben mehr Ausländer als Schweizer. swissinfo.ch

In Täsch bei Zermatt (Wallis) leben mehr Ausländer als Schweizer. Die meisten von ihnen kommen aus Portugal. Das Zusammenleben ist nicht immer einfach, doch die Integrationsmassnahmen von Behörden und Immigranten ermöglichen ein Gleichgewicht.

Tausende Touristen besuchen jedes Jahr den renommierten Walliser Ferienort Zermatt, um das Matterhorn zu bewundern. Dieser Berg ist eines der Symbole der Schweiz. Doch ein aufmerksamer Besucher bemerkt rasch, dass die meisten der lokalen Arbeitskräfte nicht aus der Schweiz kommen.

Es sind Immigranten, die diskret für das gute Funktionieren dieser Tourismus-Maschine wirken. «80% von ihnen kommen aus Portugal», sagt Christof Bürgin gegenüber swissinfo.ch. Er ist Gemeindepräsident von Zermatt. Die Portugiesen sind in dieser Walliser Region seit den 1980er-Jahren anwesend. Diese meist unqualifizierten Arbeitskräfte kommen in die touristischen Alpengebiete und suchen dort Arbeit.

Früher waren die im Tourismus tätigen Beschäftigten im allgemeinen «Saisonniers». Jetzt können sie sich dank des Personenfreizügigkeits-Abkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) mit ihren Familien dauerhaft niederlassen. Die derzeitige Wirtschaftskrise in Portugal hat den Migrationsfluss beträchtlich erhöht.

Die Höhenlage Zermatts und der Mangel an Wohnungen zwingen die in der Tourismus-Industrie beschäftigten Arbeitskräfte, sich ausserhalb des Ferienortes zu installieren. Die Folge davon: In einigen der Nachbardörfer wie Täsch oder Randa wohnen heute mehr Ausländer als Schweizer. In Täsch zum Beispiel leben zur Zeit 562 Schweizer und 742 Ausländer. Den grössten Ausländeranteil machen mit 481 die Portugiesen aus.

Integrationsprobleme

Den grossen Ausländeranteil spürt die einheimische Bevölkerung im täglichen Leben. «An Weihnachten hat mein Sohn Noite Feliz singen gelernt, ein Lied, das er auf Deutsch nicht kennt», sagt Claudius Imboden gegenüber swissinfo.ch. Er weist damit auf die grosse Anzahl portugiesischer Kinder in den Schulen der Region hin. Von den 150 im Kindergarten und in der Schule von Täsch und Randa eingeschriebenen Kindern haben 84 Portugiesisch als Muttersprache und kaum 32 Deutsch.

Imboden, der Mitglied des Gemeinderates von Täsch ist, bezeichnet den Kontakt mit den Portugiesen als «gut». Es gebe jedoch wenig Gemeinsamkeiten. «Wenn es am gleichen Ort eine starke Konzentration von Menschen derselben Nationalität gibt, treten alltägliche Probleme auf», hält er fest. «Die Menschen derselben Nationalität führen ein eigenes Leben, mit ihren eigenen Vereinen, ihren eigenen Restaurants und Begegnungsstätten.»

Wenn man Claudius Imboden fragt, ob die Portugiesen gut integriert seien, muss er ein paar Sekunden nachdenken. «Es ist sehr schwierig, auf diese Frage eine Antwort zu geben», sagt der Gemeinderat. Das Hauptproblem der portugiesischen Gemeinschaft sei das tiefe Niveau ihrer Deutschkenntnisse sowie die schwache Teilnahme an allem, was das Gemeinwesen betreffe.

Ein Beispiel: Die Gemeinde hat kürzlich die portugiesischen Eltern zu einem Informationsabend eingeladen, um ihnen die Betreuungsangebote für Kinder von Berufstätigen zu erläutern. Es kam jedoch niemand an die Veranstaltung. «Wir wissen nicht, ob diese Leute die Einladung nicht verstanden oder keine Hilfe nötig haben», sagt Imboden.

Angesichts der wachsenden Schwierigkeiten haben die lokalen Behörden eine Reihe von Massnahmen ergriffen, um die beiden Bevölkerungsteile einander näher zu bringen. «Im November 2010 haben wir das Amt eines Integrationsdelegierten eingeführt. Dieser koordiniert verschiedene Projekte: Sprach- und Integrationskurse, soziale Aktivitäten wie Begegnungen zwischen Vereinen sowie gemeinsame Feste», so Imboden.

Ein Herz, zwei Zuhause

Die Sprachkurse sind sehr gefragt. «Über 40 Personen nehmen zur Zeit an dem Kurs teil, dem zweiten, den wir organisieren», sagt Patricia Zuber, Integrationsdelegierte der Gemeinden von Randa, Täsch und Zermatt, gegenüber swsissinfo.ch.

Neben der Delegierten sitzt Yolanda de Carvalho. Die 36-jährige Frau ist eine typische Vertreterin der portugiesischen Gemeinschaft des Dorfes. Geboren in Aveiro, im Norden Portugals, kam sie vor 15 Jahren nach Täsch, um ihren Eltern nachzufolgen, die seit 30 Jahren in der Region leben. Bei ihrer Ankunft hörte man auf den Strassen von Täsch kaum ein Wort Portugiesisch. «Es gab dort nur drei portugiesische Familien», sagt sie gegenüber swissinfo.ch. «Erst in den letzten sechs Jahren hat die Anzahl von Portugiesen zugenommen.»

Im August 2010 gründete Yolanda de Carvalho zusammen mit anderen Landsleuten den portugiesischen Sprach- und Kulturverein von Täsch, den sie heute präsidiert. Eines der ersten Projekte des Vereins war die Realisierung eines Buches mit Texten von portugiesischen Schülerinnen und Schülern aus Täsch. Der Buchtitel fasst gut zusammen, wie sich die jungen Migranten in der Schweiz fühlen: Um coraçao com duas casas (Ein Herz, zwei Zuhause). Der Verein versucht auch, die Leute zu Deutschkursen anzuspornen.

Veränderung der Mentalität

Für die Behörden von Täsch ist nicht nur das schlechte Bildungsniveau der portugiesischen Migranten ein alltägliches Problem, sondern auch deren geringe Wahrnehmung der in der Schule angebotenen Möglichkeiten. «Die Zusammenarbeit mit den Eltern der portugiesischen Kinder muss in beiden Richtungen verbessert werden», sagt Pino Mazzone gegenüber swissinfo.ch. Er ist Leiter der Primarschule in der Region von Zermatt.

Yolanda de Carvalho glaubt auch, dass zahlreiche portugiesische Immigranten in einer technischen Berufsausbildung oder einer höheren Ausbildung keine Alternative für ihre Kinder sehen. «Es sind Arbeiter, die zu Hause zu sagen pflegen, die Tatsache, keine Universität besucht zu haben, habe sie nicht daran gehindert, in Portugal ein Haus, Autos und andere Güter zu besitzen. Für sie müssen die Kinder so früh wie möglich zu arbeiten beginnen, umso mehr als diese, weil sie im Land geboren sind, die deutsche Sprache beherrschen und deshalb besser bezahlte Arbeitsstellen haben können», so de Carvalho.

Die Mentalitäten zu verändern, ist eine langfristige Überzeugungsarbeit. Aber die Behörden von Täsch sind der Ansicht, dass die Gemeinde dies den Portugiesen schuldet. «Dank dieser Gemeinschaft konnten wir unsere Schule hier im Tal aufrechterhalten», sagt Claudius Imboden.

Persönliche Einladung

Trotz den Schwierigkeiten hat sich die Integration der Portugiesen verbessert. «Sie investieren hier, indem sie Häuser kaufen oder kleine Geschäfte errichten. Sie zeigen damit, dass sie hierhin gekommen sind, um zu bleiben», so der Gemeinderat.

Im weiteren werden jetzt nach und nach Verbindungen mit der lokalen Bevölkerung geknüpft. Als die Portugiesen vor zwei Jahren ihr erstes Weihnachtsfest organisierten, hatte es praktisch keine Gäste von aussen. «Ich war die einzige Schweizerin, die dabei war», erinnert sich Patricia Zuber.

Für Weihnachten 2011 hat der portugiesische Verein die ganze Bevölkerung eingeladen. «Der Gemeindepräsident, die Mitglieder des Gemeinderates sowie einige Gemeindemitarbeiter sind gekommen», sagt die Integrationsdelegierte. Für das nächste Mal schlägt sie vor, persönliche Einladungen zu verschicken: «Die Schweizer sind ein wenig schüchtern und wissen nicht, ob sie wirklich willkommen sind im portugiesischen Vereinslokal.»

Laut dem Bundesamt für Statistik lebten Ende 2010 212’600 portugiesische Staatsbürger in der Schweiz.

Seit 2006 wächst diese Gemeinschaft in der Schweiz rund 10% pro Jahr: 174’200 (2006), 183’000 (2007), 196’800 (2008), 206’000 (2009).

Zur Zeit sind die Portugiesen die drittgrösste ausländische Gemeinschaft in der Schweiz (12%), hinter den Italienern (16,3%) und den Deutschen (14,9%).

Die ersten Spuren der portugiesischen Präsenz in der Schweiz gehen in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurück. Es waren Studenten und Intellektuelle, die vor dem faschistischen Salazar-Regime in die Schweiz flohen. Sie konzentrierten sich vor allem in der Region Genf.

Eine erste grosse Welle von portugiesischen Immigranten erreichte die Schweiz in den 1980er-Jahren mit dem «Saisonnier»-Statut. Das heisst temporäre Arbeiter, hauptsächlich beschäftigt in den Sektoren Gastronomie, Hotellerie und Landwirtschaft.

Heute, mit dem Personenfreizügigkeits-Abkommen zwischen der Schweiz und der EU, können die Portugiesen frei in die Schweiz kommen, um zu arbeiten, und sich hier niederlassen.

(Übertragung ins Deutsche: Jean-Michel Berthoud)

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