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«Einbindung – das beste Mittel gegen Fundamentalismus»

Uni-Rektor Guido Vergauwen: "Eine Ausbildung für alle, die Kenntnisse über den Islam erwerben wollen." Keystone

"Imamausbildung", "Hassprediger": Das an der Universität Freiburg geplante Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft löst Ängste aus. Das neue Angebot sei auf den Dialog zwischen den Religionen ausgerichtet, entgegnet Rektor Guido Vergauwen.

Die neue Ausbildung richte sich generell an Personen, die in ihrem beruflichen Umfeld mit Muslimen in Kontakt stünden, also auch an Schweizer, erklärt Vergauwen. Hassprediger würden sich nicht akademisch einbinden lassen. Der 69-jährige Belgier ist Professor für Fundamentaltheologie und seit 2007 Rektor der Universität Freiburg. 

Herr Vergauwen, geht es beim geplanten Lehrgang um eine Ausbildung für Imame?

Guido Vergauwen: Der Begriff «Imamausbildung» greift zu kurz, die Ausbildung richtet sich an ein breites Publikum. Wir denken an Betreuungspersonen von muslimischen Gemeinschaften, das sind Imame, aber auch Sozialarbeiter, Lehrkräfte in den Schulen oder Spitalmitarbeitende.

Imame sind beispielsweise angesprochen, wenn sie sich kundig machen wollen über das schweizerische Religionsrecht. Im Prinzip richtet sich die Ausbildung an alle, auch an Schweizerinnen und Schweizer, die Kenntnisse über den Islam erwerben und beispielsweise wissen wollen, wie sie Menschen muslimischen Glaubens begegnen sollen.

Dann natürlich an muslimische Studierende, die ihre Religion vertiefen möchten, das sind oftmals Muslime der zweiten und dritten Generation, und an Theologen, die aus erster Hand etwas über den Islam wissen möchten. Der Lehrgang wird selbstverständlich Frauen und Männern offen stehen. 

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Was für Inhalte sollen denn vermittelt werden? 

G.V.: Es wird natürlich um Kenntnisse des Korans gehen, wobei noch zu klären ist, wie diese ohne Arabischkenntnisse vermittelt werden können. Auf dem Programm stehen aber auch Religionsrecht, Pädagogik, Soziologie, Integrationsprobleme von Migranten, Fragen der zweiten und dritten Generation von Muslimen – eine ganze interdisziplinäre Palette von Themen, die wir nach Möglichkeit modular aufbauen werden.

Die Veranstaltungen zum interreligiösen Dialog, die in Verbindung mit der Theologischen Fakultät durchgeführt werden sollen, sollen schwerpunktmässig eine sozialethische Perspektive haben und bei verbindenden Alltagsfragen ansetzen.

Es geht also um einen Lehrgang für Menschen, die im Kontakt mit Muslimen sind. Braucht es bestimmte Voraussetzungen dafür? 

G.V.: Es gibt drei Stufen für Weiterbildungen: Zertifikate, Diplome und den «Master of advanced studies» (MAS). Die ersten beiden sind für alle zugänglich. Um den MAS zu absolvieren, muss man bereits einen universitären Masterabschluss haben. Wir hoffen, die drei Stufen schrittweise einführen zu können.

Das Projekt, das der Universität Freiburg angegliedert sein soll, wurde mittels parlamentarischer Vorstösse angeregt.

Die mit der Ausarbeitung betraute Arbeitsgruppe unter Führung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) stellt ihr Konzept an einer Tagung vor.

Diese findet am 13. März zum Thema «Auf dem Weg zum Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft» an der Universität Freiburg statt.

Wie werden Muslime in die Planung des Lehrgangs einbezogen? 

G.V.: In der Arbeitsgruppe, welche das Staatssekretariat zusammengestellt hat, sind Imame und muslimische Gläubige vertreten. Man hat versucht, repräsentative Personen zu finden, die islamische Gemeinden betreuen. Das sind Personen aus dem Bundesamt für Migration und aus dem akademischen Milieu. Offizielle islamische Organisationen sind in der Arbeitsgruppe nicht vertreten.

Nach der Tagung vom 13. März, an der das Konzept des Zentrums vorgestellt wird, werden wir mit Vertretern aus islamischen Organisationen zusammensitzen. Ich vermute, dass sie ziemlich schnell ein Mitspracherecht verlangen werden, wenn es darum geht, islamische Gelehrte nach Freiburg zu holen. Dann möchten sie wahrscheinlich Personen auswählen, die sie als authentisch und glaubwürdig ansehen. Das sind zwei Worte, die für die islamischen Organisationen und auch für die muslimischen Mitglieder der Arbeitsgruppe von grosser Bedeutung sind. 

Werden sie ein Mitspracherecht bekommen? 

G.V.: Die Dozenten zu bestimmen, ist das Recht und Privileg der Universität. Aber man kann Muslime konsultieren und die Wahl sorgsam vornehmen, um die Authentizität und Glaubwürdigkeit der Dozenten zu gewährleisten.

In der Bevölkerung kursieren Ängste, dass an einer Schweizer Universität Hass-Prediger ausgebildet werden könnten. Wie begegnen Sie diesen? 

G.V.: Das beste Mittel gegen Fundamentalismus ist die Akademisierung der Theologie. Das hat das Christentum bereits im 13. Jahrhundert gelernt. Diese Erfahrung wird vermutlich auch der Islam machen. Hassprediger werden sich nicht akademisch einbinden lassen, das gilt ebenso für katholische Fundamentalisten, die auch nicht an die Universitäten kommen. Die akademische Einbindung einer Religion, die Rationalisierung des Bekenntnisses ist die beste Gewähr gegen Fundamentalismus. 

Wie wird das Projekt finanziert? 

G.V.: Das Projekt geht auf eine parlamentarische Anfrage aus dem Jahr 2009 zurück. Der Bund selber wollte also dieses Projekt, deshalb haben wir eine kurzfristige Anlauffinanzierung von Seiten des Bundes erhalten.

Danach sollte die Weiterbildung innerhalb von sechs bis zehn Jahren ein Bestandteil des Angebots der Theologischen Fakultät werden. Wir werden dabei mit Institutionen in der ganzen Schweiz, die in diesem Bereich kompetent sind, zusammenarbeiten und hoffen, dass diese auch zur Finanzierung beitragen werden. 

Es wurde ja bereits Kritik laut, dass Steuergelder für die «Imamausbildung» verwendet werden könnten. 

G.V.: Das ist mit den genannten Präzisierungen tatsächlich der Fall. Dasselbe gilt allerdings auch für katholische oder reformierte Theologen. Solange man theologische Fakultäten an Staatsuniversitäten hat, fliessen Steuergelder in diese Ausbildungen. Im Vergleich zu Grossprojekten der Naturwissenschaften ist das allerdings sehr wenig. 

Was sagen Sie zum Vorwurf, die Universität Freiburg soll ihren christlichen Charakter bewahren? 

G.V.: Die Universität Freiburg ist keine katholische Universität, sondern eine Universität «der Schweizer Katholiken». Katholisch ist nicht nur eine Konfessionsbezeichnung, der Begriff bedeutet «allumfassend». Wir versuchen, diese Tradition so zu gestalten, dass die Theologische Fakultät offen ist für die Herausforderungen der Gesellschaft, zum Beispiel die Ökumene und die anderen Religionen – sprich: für den interreligiösen Dialog. Das gehört zum Katholischen.

Wenn katholisch nur die Innenschau einer Tradition bedeuten würde, dann wäre das gar nicht mehr «katholisch» im eigentlichen Wortsinn. Das ist meine Überzeugung als katholischer Theologe. 

Warum wurde die Universität Freiburg als Standort gewählt? 

G.V.: Die Mehrsprachigkeit ist sicher ein Argument. Der Lehrgang soll in Deutsch, Französisch und Italienisch angeboten werden. Die Universität Freiburg verfügt aber auch über ausgewiesene Kompetenzen in den Bereichen Religionsrecht, Sozialarbeit, Sozialpolitik, Pädagogik und natürlich in der Theologie.

Die islamischen Mitglieder der Arbeitsgruppe wollten die Theologie im Projekt haben, nicht einfach nur die Religionswissenschaft. Nichts ist einem Muslim so fremd wie Religionswissenschaft, verstanden als ein sehr distanzierter Diskurs über Religion. Sie möchten auf Augenhöhe bekennende Partner. Ich denke, das muss man ernst nehmen.

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