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Eine Schule als Zufluchtsort bei Wirbelstürmen

Caritas Schweiz und MBE haben Schulen für erste und zweite Klassen errichtet. Luigi Jorio swissinfo

Schulgebäude, die mit Schweizer Hilfe im Irrawaddy-Delta in Myanmar errichtet wurden, sind nicht nur die modernsten in der Region. Im Fall von Naturkatastrophen wie Zyklonen oder Erdbeben können sie auch als Schutzunterkünfte dienen.

Ein Geschlinge von Wasserpflanzen hat sich im Propeller verheddert. Der Motor, eigentlich für einen Traktor gedacht, stottert. Drei schwache Umdrehungen noch, dann herrscht Stille. Man hört das Rauschen von Blättern im Wind. In den Palmen am Ufer des Flusses fängt ein kleiner Vogel an zu singen.

Der Bootsführer zieht erneut an der Kurbel; der Motor springt wieder an. Die Reise mit dem Boot durch diesen Arm des Irrawaddy, des grossen Flusses, der Myanmar durchquert, beginnt. Vorsichtig fahren wir dem schlammigen Kanal entlang. Die Hindernisse, denen man aus dem Weg gehen will, sind so gross wie das Boot – Wasserbüffel, die Abkühlung suchen.

«Früher gab es viel mehr Tiere. Doch Kühe und Büffel wurden von Nargis hinweggefegt», erklärt U Win Min Oo von der Myanmar Business Executives Association (MBE), einer lokalen Freiwilligen-Organisation, gegenüber swissinfo.ch.

Der Zyklon, der im Mai 2008 das Irrawaddy-Delta verwüstete, hat mehr als 130’000 Menschen getötet. Die Hütten aus Laub und Bambus konnten dem Wind, der mit bis zu 200 Kilometern pro Stunde über das Land fegte, nicht standhalten.

«Ein Jahr nach Nargis waren die Zeichen des Desasters noch klar zu sehen. Von den Palmen waren nur Strünke übriggeblieben», sagt U Win Min Oo.

Tsunami-Test

In Kyaik Ka Bar hatte Nargis zwar keine Menschenleben gefordert, doch der Wasserpegel des Flusses war innerhalb einer halben Stunde um einen Meter angestiegen. «Wir waren gewarnt worden, aber viele Leute dachten, es werde bloss ein normaler Sturm sein», erinnert sich Khin Maung Oo, ein Mitglied des für das Schulhaus zuständigen Komitees.

«Wir suchten Zuflucht im Tempel, der auf einer Anhöhe liegt, und auf den Dächern. Wir verloren aber allen eingelagerten Reis und das Wasser zerstörte die Ernte.» Auch ältere Menschen im Dorf hätten nie zuvor so etwas gesehen, betont Khin Maung Oo.

Damit sie den starken Winden, die in der Region häufig auftreten, besser standhalten können, wurden einige Häuser mit Holz verstärkt, die Dächer fester verankert. «Doch wenn es anfängt zu regnen oder ein Sturm angekündigt wird, werden die Leute plötzlich sehr nervös.» Wie letzten April, als nach einem Erdbeben in Indonesien eine Tsunami-Warnung ausgelöst wurde.

Glücklicherweise kam es nicht zu der befürchteten Riesenwelle. Die Warnung war aber eine gute Gelegenheit, die Evakuierungspläne zu testen.

Dank Karten mit den Standorten von Gesundheitszentren, besonders soliden Gebäuden und andererseits von Häusern, wo besonders gefährdete Menschen leben, «wissen alle, wohin sie gehen, wo sie ihr Hab und Gut, ihre Nahrungsmittel aufbewahren können», erläutert Khin Maung Oo. Und im neuen Schulgebäude werden in «erster Linie Kinder, Frauen und alte Leute» Unterschlupf finden.

Myanmar, früher Burma genannt, gehört gemäss einem neuen Bericht der Asia Development Bank vom März 2012 zu den Ländern weltweit, die von den kombinierten Auswirkungen des Klimawandels am stärksten bedroht sind.

Armut und Abhängigkeit

Nach mehreren Stunden im Boot durch die schier endlosen Reisfelder im Delta kommen wir in Sein Lay Gone an, einem kleinen Dorf einige Meilen landeinwärts. Angesichts der Menge der Schaulustigen vor der neuen Schule könnte man denken, dass alle 230 Schulkinder hier sind, um uns zu treffen.

Die fröhliche und herzliche Atmosphäre wird etwas angespannter, als der Ingenieur von MBE und die Gemeindevertreter beginnen, über das Instandhalten der Schule zu sprechen. «Unsere Botschaft ist, dass es ihre Schule ist. Sie müssen sich darum kümmern», betont U Win Min Oo.

Geeignete Komitees für die Betreuung der Schulen zu organisieren, was andernorts mit Erfolg geschah, sei hier nicht so einfach. Einerseits sei das Gebiet vom Zyklon besonders hart getroffen worden und habe viel Hilfe von verschiedenen Ländern und Organisationen erhalten, erklärt U Win Min Oo. «Und so hat sich eine gewisse Mentalität der Abhängigkeit etabliert.»

Andererseits müsse man sagen, dass diese Gemeinde sehr arm gewesen und es immer noch sei. Als die akute Notsituation vorbei und die Wiederaufbauphase abgeschlossen war, zeigte sich die Realität des Alltags wieder.

«Wir brauchen Arbeit, besonders nach der Erntezeit», erklärt ein Reisbauer und beklagt den Rückgang der Produktion – wegen dem extrem versalzenen Boden, was eine Nachwirkung des Wirbelsturms ist, der die Felder mit Meerwasser überflutet hatte.

Um den Bauern neue Einkommenschancen zu erschliessen, hat die Partnerorganisation der Caritas Schweiz Mikro-Kredit-Programme und Projekte zum Erlernen handwerklicher Fähigkeiten gestartet. «So können sie zum Beispiel lernen, Maschinenbestandteile oder landwirtschaftliche Fahrzeuge zu reparieren», erläutert U Win Min Oo.

Was den Bauern vor allem Sorgen macht, ist aber nicht der künftige Unterhalt der Schule, die noch in neuem Glanz da steht und keine Risse hat. Seit einigen Tagen tauchten im Fluss Salzwasserfische auf, die «Ngaty». «Normalerweise deutet dies darauf hin, dass schlechtes Wetter im Anzug ist», erklärt ein Fischer.

Sollte ein weiterer Zyklon die Region treffen, würden die Häuser einfach wieder hinweggefegt, räumt U Win Min Oo ein. «Doch heute haben die Leute wenigstens einen sicheren Zufluchtsort.»

Auch die Humanitäre Hilfe des Bundes (HH) war in der Wiederaufbau-Phase im Irrawaddy-Delta engagiert.

Die Direktion für Zusammenarbeit und Entwicklung (DEZA) hat bisher 25 Schulhäuser errichtet. Bis im Frühjahr 2013 sollen 10 weitere folgen. Die Gebäude bieten Platz für etwa 4500 Schulkinder.

Im Fall von Wirbelstürmen oder Erdbeben dienen die Schulen als Schutzunterkünfte für die Bevölkerung. Jedes Gebäude kann etwa 700 bis 1000 Personen Schutz bieten und ist ausgerüstet mit Zisternen und einem System zum Filtern des Wassers.

Die Gebäude sind so konzipiert, dass sie Winden mit Geschwindigkeiten von 200 Kilometern pro Stunde sowie Erdbeben bis zu einer Stärke 6 auf der Richter-Skala widerstehen können sollen.

Seit 2009 lag das Budget für die Aktivitäten der DEZA/HH in Myanmar pro Jahr bei etwa 6 Mio. Franken.

Am 2. Mai 2008 traf der Zyklon Nargis mit voller Wucht auf die Küste Myanmars und hinterliess im Irrawaddy-Delta eine Spur der Verwüstung. 

Es war einer der verheerendsten Wirbelstürme in der Geschichte Asiens: Mit einer Stärke 4 (Skala 1 bis 5) fegte der Sturm mit bis zu 200 Kilometern pro Stunde über die Region hinweg.

95% der Häuser und Hütten im Delta wurden zerstört. Schätzungsweise 130’000 Menschen kamen ums Leben. Weitere 2,5 Millionen Menschen waren sonst von den Auswirkungen des Sturms betroffen.

Die internationale Gemeinschaft verurteilte die Haltung der damaligen Militärregierung und warf ihr vor, die Hilfsbemühungen zu behindern.

Die Glückskette, die nationale Spendenorganisation der SRG/SSR, sammelte Spenden in Höhe von insgesamt 8,7 Mio. Franken. 

(Übertragung ins Deutsche: Rita Emch)

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