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Einheitskasse: «Wahlfreiheit ist ein unbezahlbarer Vorteil»

Swissinfo Redaktion

Das Schweizer Gesundheitssystem sei eine Erfolgsgeschichte, sagt Thomas Zeltner. Grund dafür seien unter anderem die Vielfalt des Angebots und die freie Arztwahl, die eine hohe Qualität garantierten. Deshalb spricht sich der ehemalige Direktor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) klar gegen die Einführung einer Einheitskasse aus.

Das Schweizer Gesundheitssystem gehört zu den weltweit besten. Aber auch das beste System muss sich weiterentwickeln. Dies aber sicher nicht durch die Einführung einer Einheitskasse. Und doch wird die Schweizer Bevölkerung zum wiederholten Mal aufgerufen, darüber abzustimmen. Die letzten drei Male haben die Schweizerinnen und Schweizer jeweils ein deutliches Nein in die Urne gelegt – zuletzt im Jahr 2007. 

Krankenversicherung in zwei Stufen

Wer in der Schweiz wohnhaft ist, muss von Gesetzes wegen bei einer Schweizer Krankenversicherung mindestens eine Grundversicherung abschliessen. Diese deckt, wie es der Name schon sagt, die Grundbedürfnisse der medizinischen Versorgung. Der Leistungsumfang der Grundversicherung ist verbindlich im Krankenversicherungsgesetz geregelt. Während die versicherten Leistungen also überall die gleichen sind, unterscheiden sich die verschiedenen Krankenversicherungen jedoch beachtlich bei ihren Dienstleistungen. 

Wer sich umfassender versichern möchte, kann zusätzliche Wünsche und Bedürfnisse mit einer Zusatzversicherung abdecken. Diese kann bei der gleichen oder bei einer anderen Krankenversicherung abgeschlossen werden. Zusatzversicherungen gibt es unter anderem für zusätzliche Leistungen und mehr Komfort bei einem Spitalaufenthalt, für erweiterte Leistungen im ambulanten Bereich wie zum Beispiel für Vorsorgeuntersuchungen, Beiträge an Brillen und Kontaktlinsen sowie Leistungen im Ausland in Form einer Reise- und Ferienversicherung. 

Thomas Zeltner

Thomas Zeltner war von 1991-2009 Direktor des Bundesamtes für Gesundheit. Er berät die Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und den Schweizer Bundesrat. Seit 2013 ist Zeltner Präsident der Krankenkasse KPT sowie der Blutspende SRK Schweiz. Zudem ist er Mitglied des Vorstandes der Schweizerischen Akademien der Wissenschaft und lehrt am Graduate Institute (Genf) und an der Harvard Universität (Boston). Er hat Medizin und Recht studiert.

Gesundheitssystem Schweiz: eine Erfolgsgeschichte

Das Schweizer Gesundheitssystem gehört zur Weltspitze. Mehr als drei Viertel der Bevölkerung sind mit dem heutigen System zufrieden. Das kommt nicht von ungefähr. Internationale Vergleiche zeigen: In keinem anderen Land ist der Zugang zur medizinischen Versorgung so gut. In der Schweiz erhalten Patientinnen und Patienten am schnellsten einen Termin beim Hausarzt, werden im Notfall und bei einem Unfall rasch behandelt und wer an Krebs erkrankt, erhält schnell die notwendige Krebstherapie. Das ist wesentlich, denn in solchen Fällen kann eine rasche Reaktionszeit entscheidend sein.

Es ist also kein Wunder, dass die Menschen in keinem Land der Welt mit der ärztlichen Betreuung so zufrieden sind wie in der Schweiz. Ein starkes Argument für unser heutiges System. Ein System, das wir deshalb in seinen Grundelementen unbedingt erhalten wollen.

Das Schweizer Gesundheitswesen muss sich aber auch weiterentwickeln. Die Zunahme der Zahl chronisch kranker Menschen erfordert neue Versorgungsmodelle und mehr Krankheitsprävention.

Das Schweizer Gesundheitssystem ist schuldenfrei und garantiert allen Bewohnern Gesundheitsleistungen von hoher Qualität.
Thomas Zeltner

Initiative für eine Einheitskasse in der Schweiz

Die Einheitskasseninitiative wurde von einem Trägerverein aus Patientenorganisationen, Parteien, Berufsfach- und Branchenverbänden sowie Gesundheitsorganisationen und Gewerkschaften lanciert. Sie sehen das Schweizer Gesundheitssystem selbst als Patienten, der kuriert werden muss. Auch hier zeigt der Blick über die Grenze, dass es gerade staatliche Einheitskassen sind, die Schulden in Milliardenhöhe angehäuft haben wie zum Beispiel in Frankreich. In Österreich wird die Verschuldung mit einem Sanierungspaket bekämpft, das von den Steuerzahlenden finanziert werden soll. Und in England ist der Zugang zu manchen medizinischen Leistungen nicht für alle garantiert. Eine Standardoperation wie zum Beispiel beim grauen Star wird nur unter bestimmten Voraussetzungen bezahlt.

Und das Schweizer Gesundheitssystem? Es ist schuldenfrei und garantiert allen Bewohnern unabhängig von Alter, Einkommen oder Gesundheitszustand Gesundheitsleistungen von hoher Qualität.

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Wahlfreiheit erhalten

Unsere Bevölkerung verfügt heute über ein grosses Privileg: Sie wählt ihren Arzt und damit ihre Therapie selbst. Das heisst: Sie hat es selbst in der Hand, wem sie ihre Gesundheit anvertraut. Bei einem so wichtigen und persönlichen Thema ist das ein unbezahlbarer Vorteil. Weiter wählt sie ihre Krankenversicherung und ihr Versicherungsmodell selbst. Warum ist das wichtig? Aus zwei Gründen: Erstens unterscheiden sich die Dienstleistungen der Krankenversicherungen teilweise doch recht deutlich und zweitens gibt es auch in der Grundversicherung unterschiedliche Modelle für unterschiedliche Bedürfnisse. 

Vielfalt erhalten

Doch der Reihe nach: Bei manchen Krankenversicherungen werden die Rechnungen innert zwei Wochen rückerstattet, bei anderen können diese erst Ende des Jahres oder bei Erreichen der Jahresfranchise eingesandt werden. Bei manchen Krankenversicherungen können die Medikamente in der Apotheke mit der Versichertenkarte bezogen werden, bei anderen sind die Medikamente beim Bezug selbst zu bezahlen. Bei manchen Krankenkassen macht eine Online-Plattform die Kommunikation und die Organisation der Versicherungsgeschäfte einfacher, andere bieten diesen Service nicht an. Warum das? Ganz einfach, der Wettbewerb fordert von den Krankenversicherungen, für ihre Kundinnen und Kunden das Beste zu geben. Das Beste bedeutet in diesem Fall die besten Dienstleistungen und die besten, innovativsten Produkte.

Es geht darum, ein gut funktionierendes Gesundheitssystem zu erhalten.
Thomas Zeltner

Ebenso wichtig ist die Vielfalt des Angebots bei den Versicherungsprodukten – auch in der Grundversicherung: Die Schweizer Bevölkerung besteht nicht aus Einheitskunden, sondern aus Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Wer Wert darauf legt, stets vom Arzt seines Vertrauens behandelt zu werden und Prämien sparen will, wird sich für ein Hausarztmodell entscheiden. Wer gerne von den Vorteilen einer Gruppenpraxis profitiert, wird ein günstigeres HMO-Modell wählen. Und wer keine Einschränkung bei der Arztwahl möchte, bleibt bei der klassischen Grundversicherung. All dies ist möglich. Noch.

Worum geht es also bei der Abstimmung am 28. September 2014 wirklich? Es geht darum, ein gut funktionierendes Gesundheitssystem zu erhalten, mit dem die grosse Mehrheit der Bevölkerung zufrieden ist. Es geht darum die Vielfalt zu erhalten, damit zum Wohl der Versicherten ein gesunder Wettbewerb stattfinden kann, der die Qualität des Angebots hoch hält. Und es geht ganz besonders darum, den Menschen in der Schweiz zu erhalten, was ihnen seit jeher am Herzen liegt: ihre Wahlfreiheit.

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