Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Präsenz eines Schweizer Dorfes in der US-Stadt Louisville

Franz Pirker, Bezirksammann von Einsiedeln, präsentiert am 11. Juni 2016 am Infoabend in Einsiedeln die Urkunde, die er vom Stadtpräsidenten von Louisville, Greg Fischer, fürs Klosterdorf erhalten hat. Rechts im Bild Vicky Ullrich-Birchler (l.), die das Geschenk aus Louisville mitbrachte, und Susann Bosshard-Kälin, Mitinitiantin des Projekts und Autorin dieses Artikels. Martina Reichmuth

Mehr als 3000 Einwohnerinnen und Einwohner des Dorfes Einsiedeln im Kanton Schwyz wanderten zwischen 1850 und 1950 vornehmlich nach Übersee aus, die meisten in die USA. Und viele dieser Menschen zogen in eine einzige Stadt – nach Louisville in Bundesstaat Kentucky. Ein Multimedia-Projekt geht nun den gegenseitigen Beziehungen nach.

Birchler, Bisig, Fuchs, Kaelin, Ochsner, Oechslin, Schoenbaechler, Zehnder… Wer die so genannten White Pages durchblättert, das städtische Telefonbuch von LouisvilleExterner Link, findet auch im Jahr 2015 noch über 500 Einsiedler Namen. Eine Autostunde von Louisville entfernt liegt zudem das Kloster St. Meinrad; 1852 haben die Benediktiner des Klosters EinsiedelnExterner Link in Indiana dieses Tochterkloster gegründet.

Susann Bosshard-Kälin

Die Journalistin und Buchautorin hat zum Thema zwei Bücher auf Deutsch und Englisch publiziert.

«westwärts – Begegnungen mit Amerika-Schweizerinnen»; eFeF Verlag, Wettingen 2009

«westward – encounters with Swiss American women», SAHS, Washington 2010

«Emigrant Paths – Encounters with 20th Century Swiss Americans» SAHS, 2013

«Nach Amerika – Lebensberichte von Schweizer Auswanderern»; Limmat-Verlag, 2014

Diese Informationen schienen mir bemerkenswert. Sie veranlassten mich dazu, meine frühere Arbeit zur Schweizer Auswanderung des 20. Jahrhunderts im Hinblick auf die Vereinigten Staaten, die ich in enger Zusammenarbeit mit Professor Dr. Leo Schelbert in Chicago (Auslandschweizer des Jahres 2006) in zwei Büchern realisiert hatte, mit einem weiteren Projekt fortzuführen.

Einsiedeln anderswo

Im Projekt «Einsiedeln anderswo»Externer Link wird nun den gegenseitigen Beziehungen von Nachkommen von Einsiedler Einwanderern in Louisville mit deren Verwandten in Einsiedeln nachgegangen – in der Gegenwart, aber mit einer historischen Dimension. An Beispielen wird aufgezeigt, wie Nachkommen von Ausgewanderten am Anfang des 21. Jahrhunderts mit dem Herkunftsort und -land in Verbindung stehen.

Und gleich zu Beginn des Projekts zeigte sich: Die Nachkommen in Louisville – oft in der dritten bis fünften Generation – sind erstaunlicherweise noch immer stark verbunden mit der alten Heimat. Obwohl nur Einzelne deutsch sprechen und die meisten noch nie in der Schweiz waren, sind sie stolz, «Schweizer und Einsiedler» zu sein.

«Fünf vor zwölf»

Aber das Wissen und die Erinnerungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen an die frühere «Schweizer Community» in Louisville schwinden zusehends. Es ist «fünf vor zwölf», höchste Zeit also, das noch Vorhandene zu erfassen, zu dokumentieren und die alte mit der neuen Heimat (wieder) zu verbinden.

So gründete ich im Frühjahr 2015 zusammen mit, Heinz Nauer, Historiker, der an der Universität Luzern mit einer Geschichte des Benziger Verlags Einsiedeln doktoriert, Paolo de Caro, Designer und Fotograf sowie Martina di Lorenzo, Kamerafrau, den Verein «Einsiedeln anderswo». Seit ein paar Monaten ist auch die Regisseurin und Filmemacherin Claudia Steiner («Tönis Brautfahrt», 2013) mit im Team.

Projekt hüben wie drüben angekommen…

In Text, Bild und Ton fassen wir die Verbindungen zwischen Louisville und Einsiedeln zu einem multimedialen Zeitdokument zusammen. Im April und August 2015 besuchte das Team «Einsiedeln anderswo» zu Recherchezwecken zweimal die Stadt am Ohio River.

Und das Interesse war sehr gross: Am Infoabend Mitte April in Louisville fanden sich nicht weniger als 100 Menschen mit Einsiedler-Wurzeln ein, die am Projekt mitmachen wollten. Erste Gespräche und Interviews mit Menschen verschiedener Generationen in Familien einsiedlerischer Herkunft, fotografische und filmische Aufnahmen sowie historische Recherchen in den Archiven und Bibliotheken vor Ort wurden realisiert.

Auch die zweite Reise war intensiv: So wurde der Swiss Picnic am 1. August 2015 wieder ins Leben gerufen und bot die willkommene Gelegenheit, das Schweizerische in Louisville zu pflegen; wiederum öffneten die Louisville-Einsiedler ihre Türen für Begegnungen und Interviews.

So feierten die Schweizer im Swiss Park in Louisville anno 1933. zvg
Der wieder auferstandene Swiss Picnic in Louisville, 2015. …ein grosses Fest! Paolo de Caro

Ein Jahr später, Mitte Juni 2016, kam das Projekt definitiv auch in Einsiedeln an: 100 Menschen nahmen an der Veranstaltung teil, an der das Projekt der Öffentlichkeit in Beisein zweier Gäste aus Louisville vorgestellt wurde.

Und die Überraschung: Vicky und Bob Ullrich-Birchler – Vicky hat vierfach Einsiedler Wurzeln in den Familien Birchler, Zehnder, Oechslin und Schaedler – überbrachten dem Einsiedler Bezirksammann am Event eine offizielle Urkunde des Stadtpräsidenten von Louisville, Greg Fischer mit. Auf dieser werden die Verbindung zwischen Louisville und Einsiedeln und das Klosterdorf als Ort geehrt, aus dem vor über 150 Jahren Menschen in die noch junge Stadt Louisville auswanderten. Durch ihre erfolgreichen Tätigkeiten unter anderem als Milchproduzenten und Bauern, durch ihre harte Arbeit und ihre starken Werte hätten sie zum Wachstum der damals noch jungen Stadt beigetragen.

Die Einsiedler Einwanderer in Louisville waren erfolgreich in der Milchwirtschaft. zvg

… und trägt Früchte

Das multimediale Projekt – das erste dieser Art im Kanton Schwyz – hat zügig Fahrt aufgenommen und trägt erste Früchte. So ist mit der zweisprachigen Homepage www.einsiedeln-anderswo.ch eine «virtuelle Brücke» zwischen der Schweiz und Amerika entstanden, die in Deutsch und Englisch Kurzporträts der «Einsiedler»-Gemeinschaft, eine historische Orientierung und aktuelle Informationen zum Projekt bietet und laufend erweitert wird.

Auf der zweisprachigen Facebook-SeiteExterner Link können sich Interessierte austauschen; sie wird regelmässig mit historischen und aktuellen Informationen rund um die Beziehungen zwischen Einsiedeln und Louisville bespielt. Ab Herbst 2016 ist zudem beabsichtigt, einen Dokumentarfilm zum Thema «Einsiedeln anderswo» zu realisieren – wenn sich die dafür nötigen Finanzen finden lassen… Und auch ein Austausch von Kulturschaffenden von Einsiedeln nach Louisville und umgekehrt ist angedacht; erste Ideen liegen auf dem Tisch.

Externer Inhalt
Projekttrailer «Einsiedeln anderswo (Engl.); Realisation: Martina Di Lorenzo

Das Projekt «Einsiedeln anderswo» ist sowohl in Einsiedeln als auch in Louisville in den beteiligten und interessierten Kreisen gut angekommen. Die Initiantinnen und Initianten hoffen nun auf weitere fruchtbringende Aktivitäten diesseits und jenseits des Atlantiks. Damit die Einsiedler-Wurzeln in Amerika und in der Schweiz auch im 21. Jahrhundert nicht vergessen gehen.

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