Erleichterte Einbürgerung, eine bittere Pille?
Die erleichterte Einbürgerung für Ehepartner von Schweizerinnen und Schweizern wurde früher als einfacher Weg zur Staatsbürgerschaft betrachtet. Doch die Bewertung der Integration entwickelt sich nun teils zu einem beschwerlichen, intrusiven Verfahren: Denn beim Umgang der lokalen Behörden mit Antragstellern gibt es markante Unterschiede.
Pro Jahr werden etwa 8000 Personen, die in der Schweiz leben, aufgrund des erleichterten Verfahrens eingebürgert, das ist etwa ein Viertel aller Einbürgerungen. swissinfo.ch hat mit einigen Antragstellern gesprochen, von denen zwei noch auf ihren Entscheid warten. Obschon nicht repräsentativ, weist diese Stichprobe auf ein System hin, dem es an Fairness und Konsistenz mangelt.
Einige Antragstellende, wie etwa Kularp Saipopoo aus Thailand, die seit 2009 in einem Dorf im Kanton Bern lebt, fand das Verfahren effizient und unkompliziert. «Mein Interview dauerte etwa eine halbe Stunde, und die Leute waren wirklich sehr nett. Der Polizist wollte nur wissen, wie mein Mann und ich uns getroffen haben, und was ich hier in der Schweiz mache.» Saipopoos Antrag wurde 2014 innerhalb von sieben Monaten stattgegeben.
Janet Wertli, eine Britin, die nach Aufenthalten in den USA und in Asien in den letzten zwei Jahren in einer kleinen Pendlergemeinde im Kanton Aargau lebte, machte ähnliche Erfahrungen. Sie erhielt ihren Schweizer Pass kurz vor Weihnachten 2014, etwa fünf Monate, nachdem sie ihren Antrag eingereicht hatte. Wie Saipopoo musste Wertli keine Fragen zur Schweizer Politik oder Kultur beantworten. Ihr Interview dauerte nur ein paar Minuten.
«Es ist ein kleiner Ort, und wir kennen die Leute im Gemeindebüro. Unser Vermieter schrieb eine Empfehlung, und ich hatte eine Auswahl von Fotografien eingeschickt, die unsere enge Beziehung zur Schweiz über die Jahre illustrierten», erklärte sie gegenüber swissinfo.ch.
«Ist Ihre Frau eine Prostituierte?»
Andere, wie etwa Carlos (Name geändert), ein Antragsteller aus Lateinamerika, der seit vier Jahren mit einer Schweizerin verheiratet ist, fanden das Verfahren unklar und aufdringlich. Carlos lebt in einem städtischen Gebiet im Kanton Bern. Er wollte nicht, dass sein Name und sein Herkunftsland in diesem Artikel erwähnt werden, während sein Antrag noch hängig ist.
Er war nicht zu Hause, als die Polizei im Dezember 2014 unangemeldet bei ihm zuhause vorbeikam. Später erschien er im lokalen Gemeindebüro zu einem Interview. Carlos war schockiert über die erste Frage, welche die Polizistin stellte: «Ist Ihre Frau eine Prostituierte?»
«Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Die Polizeibeamtin tippte alles in ihren Computer. Sie sagte: ‹Entschuldigung, dies sind einfach die Fragen auf dem Formular›. Aber ich habe noch nie gehört, dass jemandem diese Frage gestellt wurde. Ich dachte auch, dass sie aufgrund der Dokumente, die ich eingereicht hatte, all die notwendigen Informationen über uns bereits hatten. Sie wussten, wo meine Frau arbeitet.»
«Ich lebe seit acht Jahren in der Schweiz und bin seit vier Jahren verheiratet. Wir haben noch keine Kinder – weil ich eine Umschulung mache und zuerst qualifiziert sein wollte. Ich denke, das machte sie misstrauisch, und es wurde zum Schwerpunkt der Befragung», sagte Carlos.
Das Staatssekretariat für Migration legt zwar die Kriterien fest, aber der Entscheid, ob die Einbürgerung erfolgt, fusst auf einem vom jeweiligen Kanton erstellten Bericht über den Antragsteller, die Antragstellerin. Gewisse Kantone delegieren diese Aufgabe an die Gemeinden, und die verschiedenen Kantone und Gemeinden gehen mit unterschiedlichem Eifer an diese Aufgabe heran.
Nach Angaben des Staatssekretariats für Migration stellt die Eidgenossenschaft den Kantonen für den Bericht ein Musterformular zur Verfügung. «Die Kantone sind frei, diese Fragen zu nutzen oder nach eigenem Ermessen abzuändern. Es gibt keinen standardisierten Fragenkatalog», bekräftigte das Staatssekretariat in einer E-Mail an swissinfo.ch.
Integration ist ein nicht-juristischer Begriff, der ein breites Spektrum von Kriterien umfasst. Der Entscheid für eine erleichterte Einbürgerung fusst nach Angaben des Staatssekretariats für Migration (SEM) auf einer Gesamteinschätzung des individuellen Falls. Die Antragsteller müssen:
Die Grundsätze der Verfassung respektieren.
Die Rechtsordnung beachten (frühere oder ausstehende strafrechtliche Verfolgung oder Schuldeneintreibung verunmöglichen die Einbürgerung).
Am Sozialleben der Gemeinde teilnehmen.
Ausreichende Sprachkenntnisse haben (Mittelstufe, A2/B1).
Beruflich integriert sein (d.h. eine Stelle haben oder studieren).
Über Kenntnisse des politischen Systems der Schweiz, der Kultur und Traditionen des Landes verfügen.
Die Kantone können auch verlangen, dass Antragsteller für sich selbst aufkommen müssen, d.h., nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind.
Von der erleichterten Einbürgerung können vor allem ausländische Ehepartnerinnen/Ehepartner von Schweizern und Schweizerinnen profitieren sowie Kinder eines schweizerischen Elternteils, die das schweizerische Bürgerrecht noch nicht besitzen.
Eine 2012 von der Eidgenössischen Kommission für Migration in Auftrag gegebene Studie kam zum Schluss, dass 2010 etwa 900’000 Menschen in der Schweiz lebten, die eine Einbürgerung hätten beantragen können. Insgesamt wurden 2011 in der Schweiz 36’000 Menschen eingebürgert.
«Wirklich aufreibend»
Gabrielle, eine Bürgerin der Europäischen Union (sie will ihren Namen und ihre Nationalität nicht nennen), spricht zwei der Schweizer Landessprachen fliessend und hatte in der Schweiz immer eine Arbeitsstelle. Sie sagt auch, dass sie das Land liebe. Doch jetzt, 15 Monate, nachdem sie ihren Antrag eingereicht hat, bedauert sie, sich je um die Einbürgerung bemüht zu haben.
Anfang Jahr wurde Gabrielle zu einer Befragung bei den kantonalen Immigrationsbehörden in der Westschweiz aufgeboten.
Da sie schon fast zwanzig Jahre im Kanton lebt und arbeitet und drei Kinder hat, die in der Schweiz geboren wurden, hatte Gabrielle gehofft, das Interview würde nur eine Formalität sein. Stattdessen fand sie es «wirklich aufreibend».
«Das Interview dauerte eineinhalb Stunden, und es war extrem eindringlich. All diese Fragen über meine Ehe, Familie, meinen Lebensstil, es war mehr wie ein Interview, mit dem Scheinehen aufgedeckt werden sollen. Die Frau, die mich befragte, hatte auch die Monate zusammengezählt, um mir zu demonstrieren, dass unser erstes Kind vor unserer Heirat empfangen worden war.»
«Die Fragen zum allgemeinen Wissen über die Schweiz waren in Ordnung. Doch als es um Details der Lokalpolitik und um Namen von Politikern ging, brachte ich alles durcheinander. Ich fand es wirklich stressig.» Letztlich wurde Gabrielles Antrag wegen einer nicht bezahlten Steuerrechnung suspendiert.
Die Fragen über Politik und Allgemeinwissen über die Schweiz dürften nun zum Standard werden, nachdem das Parlament im Juni 2014 entschieden hatte, die Messlatte für die erleichterte Einbürgerung höher anzulegen. So müssen diese Antragsteller die gleichen Integrationsanforderungen erfüllen wie jene eines ordentlichen Verfahrens. Neue Richtlinien werden zur Zeit erarbeitet.
Gemischte Ehen
Der Pool potentieller Kandidaten und Kandidatinnen für eine erleichterte Einbürgerung wird immer grösser. Mehr als eine von drei Ehen in der Schweiz sind heute national gemischt. 2014 heirateten in der Schweiz 15’706 Schweizer Bürgerinnen und Bürger Ausländer und Ausländerinnen, bei einer Gesamtzahl von 41’223 Eheschliessungen.
Der Soziologe Gianni D’Amato vom Schweizer Forum für Migration und Bevölkerungsstudien an der Universität Neuenburg sagt, wer für die erleichterte Einbürgerung in Frage komme, sei immer noch privilegiert, da diese Leute nur die Kriterien des Bundes, und nicht jene der Kantone und Gemeinden erfüllen müssten.
«Dennoch kann es knifflige Fragen geben. Diese werden sich auf Sprachkenntnisse, politisches, staatskundliches Wissen und die finanzielle Situation beziehen. Wer nicht auf diese Weise unter die Lupe genommen werden will, muss sich mit dem Status des Quasi-Bürgers zufrieden geben, mit einer Niederlassungsbewilligung.»
Als das Thema der Einführung von Integrationsanforderungen für Kandidaten einer erleichterten Einbürgerung 2013 und 2014 debattiert wurde, wollte die Regierung nur, dass die Integrationskriterien überprüft würden. Wenn die gleichen Kriterien zum Zuge kämen wie bei der ordentlichen Einbürgerung, könne man das Verfahren kaum noch als erleichtert bezeichnen, hatte Justizministerin Simonette Sommaruga argumentiert.
Doch das hatte das Parlament nicht überzeugen können, der Ständerat folgte dem Nationalrat und stimmte für eine Verschärfung der Vorgaben für die erleichterte Einbürgerung: Die Antragsteller müssen nun die gleichen Integrationskriterien erfüllen wie Antragsteller im ordentlichen Einbürgerungsverfahren.
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Wie man Schweizer wird
«Aus Liebe zur Schweiz»
Die Mitte-Rechts-Partei FDP-Die Liberalen, aus deren Reihen der Antrag für die Reform stammte, erklärte die Gründe für die Änderungen in einer leidenschaftlich gehaltenen ErklärungExterner Link, die am Vorabend der Abstimmung im Nationalrat veröffentlicht wurde. Unter anderem heisst es dort:
«Das Projekt des Bundesrats zur Revision des Bürgerrechtsgesetzes nimmt ein wichtiges Anliegen der FDP auf: Für die Einbürgerung sind aus ihrer Sicht nachweisbare Integrationsbemühungen notwendig: Kenntnisse des schweizerischen Lebensstils, von mindestens einer Landessprache sowie eine nachweislich erfolgreiche Integration in unsere Gesellschaft.»
«Integration verstehen wir als Kernaufgabe des Staates nach dem Grundsatz ‹Fordern und Fördern›. Die Fraktion hat heute ihren Willen dazu bekundet und wird sich auch in Zukunft für eine harte, aber faire Ausländerpolitik einsetzen – aus Liebe zur Schweiz.»
Das ordentliche Einbürgerungsverfahren in der Schweiz hat heute den Ruf, teuer, anspruchsvoll und in gewissen Fällen gar kapriziös zu sein.
Letzten Oktober wurde einem pensionierten amerikanischen ProfessorExterner Link, der schon rund 40 Jahre in der Schweiz lebt und dessen Kinder hier gross wurden, die Einbürgerung verwehrt: Die Wohngemeinde Einsiedeln hatte das Gesuch mit der Begründung abgelehnt, er sei nicht genügend integriert.
«Heute beantragen weniger Leute, die dafür in Frage kommen, eine Einbürgerung, denn praktisch alles, das kommuniziert wird, läuft darauf hinaus, dass die ordentliche Einbürgerung schwierig und hart ist», sagt D’Amato. Das sei der hauptsächliche Grund, der viele Leute davon abhalte, das Verfahren überhaupt in Angriff zu nehmen.
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
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