Erste Häuser für misshandelte Männer und Väter
Aktuell öffnen gleich zwei "Männer-Häuser" in der Schweiz ihre Pforten. Gewalt von Frauen gegen Männer soll nicht länger ein Tabuthema sein, sagen ihre Leiter. Laut Experten bleiben jedoch Frauen häufiger Opfer häuslicher Gewalt.
«Zwüschehalt», «Zwischenhalt», heisst das erste Haus für misshandelte Männer in der Schweiz, das am 10. Dezember, dem internationalen Tag der Menschenrechte, in der Nähe von Aarau eröffnet wurde.
«Das ist natürlich kein Zufall», sagt Olivier Hunziker, Präsident des Vereins «Verantwortungsvoll erziehende Väter und Mütter» (VeV), der dieses Projekt finanziert.
Das Haus in der Nähe von Aarau (der genaue Standort wird bewusst geheim gehalten) bietet Platz für bis zu zehn Personen, Männer und Kinder. Die Unterbringung ist für verschiedene Zeiträume möglich, im Prinzip sollten es jedoch nicht mehr als zwei Monate sein. Zur Verfügung stehen auch eine Beratung und praktische Hilfe, auch bei der Suche nach einem neuen Wohnsitz.
Hin- und hergerissen
Drei Tage später öffnet auch ein «Anderes Männerhaus» seine Türen im zürcherischen Erlenbach. Die beiden Projekte sind total unabhängig voneinander. Das ehemalige Restaurant in der Nähe des Hafens ist in erster Linie für Männer konzipiert, die über Nacht nach einer Trennung Wohnung und Familie verloren haben.
«Ja, oft kann man zwischen Trennung und schwierigen Missbrauchsfällen fast nicht unterscheiden», erklärt Olivier Hunziker. Alle Opfer hätten das Recht, zu kommen.
«Wir wissen, wie verheerend sich Konfliktsituationen auswirken können», sagt Hunziker, selber geschieden. Er teilt das Sorgerecht für die Kinder mit seiner Ex-Gattin.
Vor allem die Männer fühlten sich oft hin- und hergerissen zwischen «wegen der Kinder nach Hause zurückkehren» und «nicht zurückkehren».
André Müller, der Leiter des Hauses hat selbst unter Gewaltanwendung seiner ehemaligen Freundin gelitten. «Bis auf Ohrfeigen wurde ich nicht körperlich misshandelt. Ich habe jedoch eine extreme psychische Gewalt erlebt», erklärte er.
Der Fakt, dass der Koch eine Ohrfeige nicht als physische Gewalt empfinde, sei in den Augen der meisten Leute typisch. «Für viele ist Gewalt etwas anderes», erklärt Olivier Hunziker.
Über die Schande sprechen
Elsbeth Aeschlimann, Leiterin der «Opferberatung Zürich», welche die Fälle von männlichen Gewaltopfern betreut (nicht nur von häuslicher), sagt, betroffene Männer seien stärker isoliert als Frauen.
«In Fällen von häuslicher Gewalt wagt ein Mann oft nicht, über dieses Problem zu sprechen. Seine Umgebung meint meist, er müsse doch in der Lage sein, das selbst zu lösen. Dadurch fühlt er sich noch mehr entmutigt und herabgesetzt.»
Laut Olivier Hunziker «bringen die Menschen oft zu wenig Verständnis auf, wenn es um physische Gewalt geht. Auch wenn Polizisten wegen einer Auseinandersetzung gerufen werden, sind sie sich oft nicht im Klaren über die Situation. Wenn es jedoch klar ist, dass das Paar getrennt werden muss, nehmen sie meist den Mann mit».
6% der Fälle häuslicher Gewalt
Cornelia Kranich, Co-Verantwortliche der kantonalzürcherischen Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt (IST) ist damit nicht einverstanden. «Das Prinzip ist in allen Fällen gleich: Wer Gewalt anwendet, muss gehen. Das setzen wir konsequent um, auch wenn es manchmal kompliziert ist, gerade wenn Kinder beteiligt sind.»
Die Beamtin zeigt sich überrascht über die von der Vereinigung VeV präsentierten Zahlen in Bezug der auf von Frauen gegen Männer ausgeübten Gewalt. Das seien 39% der Fälle häuslicher Gewalt im Kanton St. Gallen, 25% in Zürich, 20% in Basel und 19% in Freiburg.
«Bei den 1625 Polizei-Interventionen wegen häuslicher Gewalt im Jahr 2008 haben Männer in 25% der Fälle Anzeige gegen ihre Partnerin eingereicht», erklärt Cornelia Kranich.
«Aber in 1065 der von der Polizei ergriffenen Schutzmassnahmen –Wegweisen von der Wohnung während 14 Tagen und /oder Kontaktverbot, wurden 67 gegen Frauen ausgesprochen, das entspricht 6% der Fälle.»
Platzmangel in Frauenhäusern
Cornelia Kranich und Elsbeth Aeschlimann begrüssen die Schaffung der neuen Männerhäuser. «Sie bieten Platz für ein Gespräch und um Rat zu holen. Das ist sehr gut», sagt Aeschlimann. Das helfe auch, um den Druck zu erhöhen, der manchmal dazu führe, dass auf Gewalt verzichtet werde.
«Es ist auf jeden Fall positiv, dass solche Ort entstehen», sagt Kranich. «Aber auf privater Basis.» Denn man dürfe nicht vergessen, dass in den Frauenhäusern ein schrecklicher Platzmangel herrsche, und dass die Fälle, bei denen Frauen flüchteten, meist viel krasser seien.
Für Elsbeth Aeschlimann ist es wichtig, das Klischee von der «netten Frau und dem gemeinen Mann» auszuräumen – ohne jedoch ins Gegenteil zu verfallen. «Die männlichen Opfer befinden sich dort, wo die Frauen vor 20 Jahren waren. Sie müssen für die Anerkennung ihres Leidens kämpfen.»
Ariane Gigon, Zürich, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Etienne Strebel)
Das erste Haus für geschlagene Männer in der Schweiz öffnet am 10. Dezember 2009 seine Türen.
Es befindet sich in der Nähe der Stadt Aarau und heisst «Zwüschehalt» (Zwischenhalt).
Finanziert wird das Projekt mit einigen 10’000 Franken pro Monat vom Verein Verantwortungsvoll erziehende Väter und Mütter (VeV).
Das Haus ist offen für Männer, die Gewalt ausgesetzt sind wie auch für solche, die ihre Wohnung wegen einer Trennung verlassen mussten. Das Haus arbeitet mit der Polizei zusammen.
Ein weiteres Männerhaus, jedoch nur für geschiedene Männer, wird Mitte Dezember in Erlenbach am Zürichsee eröffnet, auf Initiative eines Pfarrers.
Die beiden Häuser sind vollkommen unabhängig voneinander entstanden.
Die 17 Frauenhäuser der Schweiz sind derzeit total überlastet und haben zu wenig Plätze.
Gewalt von Frauen gegen Männer ist ein Tabuthema und ein noch kaum bekanntes Phänomen.
2008 waren im Kanton Zürich 6% der 1065 Schutzmassnahmen wegen häuslicher Gewalt auf Grund von Angriffen von Frauen auf Männer.
Diese Zahlen müssen allerdings mit grosser Vorsicht interpretiert werden, präzisieren die Zürcher Behörden: die Anzahl der Anklagen ist nicht gleich wie jene der Fälle, in denen Massnahmen ergriffen wurden.
«Wir vermuten, dass es eine grosse Grauzone gibt», gibt Elsbeth Aeschlimann, Direktorin der Opferberatung Zürich, zu bedenken.
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