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“Es gibt kein Recht auf Hilfe von einer Schweizer Vertretung im Ausland”

David Grichting, Direktor der Konsularischen Direktion im EDA
Seit April 2023 ist der Walliser David Grichting Direktor der Konsularischen Direktion des EDA. Danielle Liniger

Auf den neuen Direktor der Konsularischen Direktion des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), David Grichting, warten zahlreiche Herausforderungen. Der Walliser wird speziell die von der Bundesverwaltung beschlossenen Budgetkürzungen umsetzen und sich mit dem zunehmenden Alter der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer auseinandersetzen müssen.

SWI swissinfo.ch: Sie arbeiten seit April 2023 in Bern. Erzählen Sie uns etwas über Ihren Werdegang.

David Grichting: Nach einigen Jahren als Berater in der Privatwirtschaft wollte ich mich beruflich verändern. Bevor ich meine jetzige Stelle antrat, hatte ich die Gelegenheit, mich in Israel weiterzubilden, unser Konsulat im Kosovo zu leiten, die Finanzabteilung des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA in Bern zu führen und unsere Botschaft in Astana, Kasachstan, zu leiten.

Die Arbeit im EDA ist sehr interessant und vielseitig. In der Konsularischen Direktion stehen menschliche Schicksale im Mittelpunkt. Wir erbringen konkrete und direkte Dienstleistungen für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Bei uns geht es um den Service Public und nicht um Profit.

Was ist die konkrete Rolle der Konsularischen Direktion?

Wir haben eine doppelte Rolle. Einerseits geht es darum, effiziente und kundenorientierte konsularische Dienstleistungen zu erbringen.

Andererseits sind wir die zentrale Anlaufstelle für die Anliegen der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer.

Kann die Diaspora auch eine Unterstützung für Diplomatinnen und Diplomaten in den Ländern sein, in denen sie stationiert sind?

Unsere Landsleute auf der ganzen Welt zeigen uns in der Tat eine andere Perspektive auf die Länder, in denen sie leben. Diese Menschen können uns helfen, sie besser zu verstehen und sie sind eine wichtige Informationsquelle.

Zudem vermitteln sie unsere Werte im Ausland und tragen so dazu bei, das Image der Schweiz zu stärken im Hinblick auf mögliche bilaterale Kooperationen, die wir ausbauen möchten.

Zudem sind viele Honorarkonsulinnen und -konsuln Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer. Sie unterstützen uns aktiv in unserer Arbeit und engagieren sich vorbildlich für unsere Gemeinschaft.

David Grichting am Neujahrstag bei einer kasachischen Familie
Als Botschafter in Astana hat David Grichting am Neujahrstag mit einer kasachischen Familie zu Abend gegessen. Lisa Wermelinger

Schweizerinnen und Schweizer verhalten sich im Ausland nicht immer vorbildlich. Gab es auch heikle Situationen?

Im Jahr 2022 haben wir 1817 Fälle von konsularischem Schutz behandelt. Es gibt immer wieder Schweizerinnen und Schweizer, die irgendwo auf der Welt in Schwierigkeiten geraten. Manchmal aus finanziellen, aus familiären oder aus rechtlichen Gründen.

Fälle konsularischen Schutzes betreffen vor allem Reisende. Die Schweizerinnen und Schweizer reisen pro Person und Jahr rund zweimal ins Ausland. Das entspricht fast 16 Millionen Ausreisen.

Vor zwanzig Jahren reisten die meisten Menschen im Rahmen von Pauschalreisen. Heute werden die Reisen individuell gebucht und die Destinationen immer exotischer.

Schweizer Touristinnen und Touristen verfügen bei Problemen nicht immer über ein Netzwerk vor Ort und können sich manchmal nur schwer selbst helfen.

In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig, daran zu erinnern, dass kein Anspruch auf Unterstützung durch die Auslandvertretungen besteht. Dies ist im Auslandschweizergesetz festgehaltenExterner Link.

Wenn wir können, sind wir natürlich da, um so umsichtig wie möglich zu helfen. Aber ein Auslandaufenthalt, ob kurz oder lang, will vorbereitet sein.

Was können die Botschaften in solchen Fällen tun?

Die Schweiz verfügt über ein Netz von 167 Vertretungen und über 200 Honorarkonsulinnen und -konsuln.

Wir verfügen also über ein grosses Netz, das – wenn die Voraussetzungen erfüllt sind – Schweizerinnen und Schweizern in Not helfen kann, indem es ihnen konsularischen Schutz gewährt.

Wir stellen beispielsweise Passierscheine aus, kontaktieren Angehörige in der Schweiz, leisten in gewissen Fällen soziale Unterstützung, vermitteln Anwältinnen und Anwälte oder besuchen Schweizerinnen und Schweizer im Gefängnis.

Hat die Einführung von künstlicher Intelligenz (KI) bereits Auswirkungen auf die Arbeitsweise der Konsularischen Direktion?

In der Bundesverwaltung steckt die KI noch in den Kinderschuhen. Die Debatte über die Informationssicherheit ist noch nicht abgeschlossen.

Wir sind uns des Mehrwerts bewusst, den KI für bestimmte konsularische Dienstleistungen bringen kann.

Ich glaube, dass die KI, ähnlich wie die Digitalisierung vor einigen Jahren, uns in die Lage versetzen wird, einige einfache Dienstleistungen zu verbessern, so dass mehr Zeit für Fälle bleibt, die eine physische Präsenz erfordern, wie etwa konsularischer Schutz.

Denn während die Auslandschweizergemeinschaft in 20 Jahren um 30% gewachsen ist und die Visumanträge jährlich um 5% zunehmen, ist die Zahl der Konsulatsmitarbeitenden stabil geblieben.

Es ist daher unerlässlich, Instrumente zu finden, die es uns erlauben, unsere Dienstleistungen zu optimieren und mit den vorhandenen Ressourcen mehr zu erreichen.

Anfang 2023 hat der Bundesrat beschlossen, dass jedes Departement ab diesem Sommer 2% seiner laufenden Ausgaben einsparen muss. Das EDA hat gegenüber SWI swissinfo.ch erklärt, dass das Aussendepartement jährlich 10 Mio. Fr. einsparen muss (2% des Jahresbudgets von 495 Mio.). Wo sollen diese Kürzungen vorgenommen werden?

Das EDA priorisiert die Massnahmen nach den aussenpolitischen Interessen der Schweiz und den verfügbaren Ressourcen. Im Rahmen der Ausarbeitung der konkreten Massnahmen bleibt das Generalkonsulat in Chengdu (China) vorläufig geschlossen, und das EDA prüft die Schliessung der Botschaft in La Paz (Bolivien).

Der Entscheid über die Notwendigkeit der Schliessung dieser Vertretungen wurde um ein Jahr verschoben und wird zu gegebener Zeit neu beurteilt.

Das Aussennetz ist der grösste Ausgabenposten des EDA, obwohl eine Vertretung für eine Schweizer Bürgerin oder einen Schweizer Bürger durchschnittlich nur 37 Rappen pro Jahr kostet.

Titelbild der Broschüre Für einen sorgenlosen Ruhestand im Ausland
Die EDA-Broschüre “Für einen sorgenlosen Ruhestand im Ausland” behandelt die verschiedenen Aspekte, die es zu berücksichtigen gilt, wenn man seinen Lebensabend im Ausland verbringen möchte. EDA

Angesichts der Alterung der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer hat das EDA beschlossen, im Frühjahr 2022 eine Sensibilisierungskampagne mit dem Titel “Für einen sorgenlosen Ruhestand im Ausland”Externer Link zu lancieren. Wo stehen Sie heute?

Von den 800’000 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern sind rund 23% über 65 Jahre alt. Das sind mehr als 183’000 Personen.

Zudem stellen wir fest, dass sich immer mehr Schweizerinnen und Schweizer nach ihrer Pensionierung im Ausland niederlassen. Wir möchten, dass unsere Vertretungen über die Mittel verfügen, um diese spezifische Bevölkerungsgruppe anzusprechen.

Mit Broschüren, Videos und Webinaren, die wir jetzt starten, wollen wir sie an das Prinzip der Eigenverantwortung erinnern. Und damit die Menschen sich selbst helfen können, müssen wir sie auf bestimmte Dinge aufmerksam machen.

Das Material wird von den Konsulaten verteilt, wenn sich Schweizerinnen und Schweizer dort melden. Wir planen, in den Vertretungen Veranstaltungen für Schweizerinnen und Schweizer zu organisieren, die im Ausland das Rentenalter erreichen.

In der Schweiz arbeiten wir auch daran, dass Rentnerinnen und Rentner diese Informationen von ihrer Gemeinde erhalten, wenn sie ihren Umzug ins Ausland melden.

Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

Laut einem Bericht im Blick vom 24. AugustExterner Link hat die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) den Bund im Zusammenhang mit der neuen Schweizer Botschaft in Peking (China) ermahnt. Diese soll 48 statt der ursprünglich geplanten 25 Mio. Fr. kosten.

Für den Bau oder die Renovierung der Aussenvertretungen zuständig sind das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) und das Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL).

Auf Anfrage von SWI swissinfo.ch erklärt das BBL, die Kostenschätzung von 25 Mio. Fr. basiere auf einer Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2017. Seither hätten sich “die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wesentlich verändert”.

“Die Kostenschätzung für April 2022 in Höhe von 48 Mio. Fr. berücksichtigt somit den Einfluss der Covid-19-Pandemie und mögliche Preissteigerungen. […] Unter Berücksichtigung der chinesischen Märkte und der weltweiten Inflationsschwankungen ist dies das wahrscheinlichste Szenario für die zukünftige Entwicklung”, schreibt das BBL.

2019 renovierte die Schweiz ihre Botschaft in Moskau für 42 Mio. Fr. und eröffnete 2020 eine Botschaft in Minsk, Belarus.

Seitdem ist Russland mit Unterstützung von Belarus in die Ukraine eingefallen und hat die Karten der europäischen Diplomatie neu gemischt.

Auf die Frage nach der Notwendigkeit dieser Investitionen und der Aktivitäten der beiden Botschaften antwortet das EDA, das “für die Umsetzung der aussenpolitischen Strategie der Schweiz verantwortlich” ist, dass es eine universelle Aussenpolitik verfolge.

Aus diesem Grund sei die Schweiz auch in schwierigen Kontexten präsent, wie zum Beispiel in Belarus und in Russland.

Laut einer EDA-Sprecherin “spielen diese Botschaften eine wichtige Rolle, um die Interessen der Schweiz auch in Kriegszeiten bestmöglich zu wahren”.

“Ihr Tätigkeitsbereich ist den Umständen leicht angepasst, entspricht aber grundsätzlich den üblichen Aufgaben einer schweizerischen Vertretung im Ausland.”

Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

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