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«Es ist der Zusammenprall von Sex und Gewalt»

Ursula Andress: Die Berner Schönheit verdankt ihre Karriere jenen zwei Stücken Stoff, die sie in "Dr. No" getragen hat. EDITORIAL USE ONLY

Vom "frauenfeindlichen Soziopathen" bis zum "tödlichen Komiker"; alle haben eine Meinung zu James Bond, jenem britischen Spion, der in diesem Jahr seine 50 Jahre auf der Leinwand feiert. Nicht wenige allerdings wünschen sich den Bilderbuch-Macho ins Pfefferland.

«Ich halte Sie für einen sexistischen, frauenfeindlichen Dinosaurier. Ein Relikt des Kalten Krieges, dessen jungenhaftem Charme – der auf mich wirkungslos bleibt – die junge Frau, die Sie beurteilen sollte, wohl erlegen ist.»

Diese Einschätzung stammt von M, James Bonds Chefin im Film Goldeneye (1995). Es war nicht nur der erste Auftritt von Pierce Brosnan als 007, sondern auch das erste Mal, dass dieser eine Frau als Chefin hatte. Judi Dench wurde durch dieses Zitat auf einen Schlag weltbekannt.

Bis dahin waren Frauen in der Welt des James Bond nie mehr als die Füllung von Bikinis gewesen, die er in der Folge meistens verführte und dann zu retten versuchte – nicht immer erfolgreich.

Als Frauenfigur einen Bond-Film zu überleben, ist bereits eine Kunst für sich. «Kein Sex», ist der wichtigste Tipp, den Kimberly Neuendorf an Bond-Girls gibt. Die Professorin für Kommunikation an der Cleveland State University ist Autorin des Buches «Geschüttelt und gerührt: Eine Inhaltsanalyse der Frauenporträts in James-Bond-Filmen».

«Zudem muss die Frau gegen Ende des Filmes moralisch gut werden. Einige Charaktere tun sich mit Bond zusammen und versuchen dann, ihn zu töten. Das ist das Dümmste: Wer versucht, Bond zu töten, ist tot!»

Neuendorf hat zusammen mit anderen Forschenden die Rollen von 200 weiblichen Charakteren in 20 Bond-Filmen analysiert. Sie haben festgestellt, dass es für Frauen im Verlauf der Jahre zu mehr sexuellen Aktivitäten und grösseren Schäden gekommen ist. Die Frauen-Charaktere selber haben sich aber nicht stark verändert.

«Gesellschaften haben sich über die Kulturen hinweg verändert, was die physischen Charakteristiken von Frauen betrifft, die als attraktiv gelten», so Neuendorf gegenüber swissinfo.ch. «Das hatte auf die Bond-Girls keinen Einfluss. Sie blieben jung, schlank und schön.»

«Gut positionierte Marke»

Die Erkenntnis, dass Bond-Filme formelhaft aufgebaut sind, ist kaum neu: Bereits 1979 hatte der italienische Philosoph und Schriftsteller Umberto Eco eine Liste von neun «Bewegungen» aufgezeichnet, die in jedem Bond-Roman vorkommen (siehe rechte Spalte).

Es scheint offensichtlich, dass Produzenten Mühe damit haben, an einer solchen Erfolgsformel herumzuschrauben. Seit 1962 haben die 22 offiziellen Bond-Filme rund 4,8 Mrd. Franken an Einnahmen generiert – inflationsbereinigt sogar 12 Mrd. Fr. – und sind damit zur zweiterfolgreichsten Filmserie aller Zeiten geworden, gleich nach «Harry Potter».

«Zuallererst sind es ausgezeichnete Unterhaltungsfilme», sagt Jeremy Black, Geschichtsprofessor an der Exeter University in Grossbritannien und Autor des Buches «The Politics of James Bond: Von Flemings Romanen auf die grosse Leinwand». «Es ist eine gut positionierte Marke. Zudem werden die Filme überall auf der Welt verstanden, ein sehr wichtiger Faktor.»

Mehr Gewalt

Das heisst aber nicht, dass die Filme – und besonders Ian Flemings Romane – nicht gealtert sind. Black weist auf das Kettenrauchen und den beiläufigen Rassismus in früheren Episoden hin. «Es sind Romane ihrer Zeit», so Black.

Eine weitere Veränderung, die Black bedauert, ist die zunehmende Gewalt in den Filmen. «Sie versuchen, auf die Herausforderung der ‹Jason Bourne›-Agentenfilme zu antworten. Zudem wünscht sich ein Grossteil des Publikums keine anspruchsvollen Diskussionen.»

Schliesslich bestehe ein Unterschied zwischen Romanfigur und Filmfigur Bond: «Der Roman-Bond liebt es nicht, Menschen umzubringen, was man in den Filmen nicht wirklich merkt.»

Eine der Stärken und Anziehungskräfte des Charakters Bond ist für Black die Tatsache, dass er von verschiedenen Publika unterschiedlich ausgelegt werden kann.

So beschrieb ein Kritiker den von Roger Moore verkörperten Bond etwa als «tödlichen Komiker». Und für John Le Carré, den Meister der Spionageliteratur, der an der Berner Universität studiert hatte, ist Bond der «ultimative Prostituierte».

Schauspieler Matt Damon, der «Jason Bourne» in den ersten drei Episoden dieser Serie verkörperte, ist kein Bond-Fan. 2009 bezeichnete er die Figur Bond als «imperialistischen, frauenfeindlichen Soziopathen, der Frauen an die Wäsche geht, Martinis säuft und Menschen umbringt. Er ist widerlich.»

Kult-Bikini

Doch Bond ist im letzten halben Jahrhundert nur mit der Zeit gegangen, wie der Rest der Welt. Als die Schweizerin Ursula Andress in «Dr. No» im Oktober 1962 wie Aphrodite aus dem Meer stieg, konnten die Frauen zwar die Läden stürmen und das gleiche weisse Bikini kaufen, das sie trug. Das Wahl- und Stimmrecht auf nationaler Ebene wurde ihnen aber erst ein knappes Jahrzehnt später zugesprochen.

Der Bikini «hatte einen grossen Einfluss», sagt Neuendorf. «Er gab damals viel zu reden, denn es ging nicht allein um das Kleidungsstück, sondern auch darum, wie Andress es getragen hat – die Sexualisierung der Frauen. Sie trug ja auch einen Dolch im Schaft…»

Trotzdem ist die Verbindung von Sex und Gewalt – wer erinnert sich nicht an den immer ähnlichen Filmvorspann mit den Silhouetten nackter, tanzender Frauen mit riesigen Pistolen in der Hand – nicht unproblematisch.

Neuendorf erwähnt etwa die «Vorahnung des Sterbens», die laut einigen Kulturtheoretikern von den Bond-Filmen in Teenager-Horrorfilme der 1970er- und 80er-Jahre wie «The Texas Chain Saw Massacre» und «A Nightmare on Elm Street» hinübergeschwappt sind.

«Es ist die Vorahnung, dass die Charaktere, die sich sexuell vergnügen – besonders junge Frauen – jene sind, die vom Bösewicht umgebracht werden. Das hat ernüchternde Konsequenzen: Frauen können nicht einfach nach Wunsch Sex haben. Sollten sie dies tun, werden sie bestraft», so Neuendorf.

«Es ist dieser der Zusammenprall von Sex und Gewalt. Die Bond-Filme waren unter den ersten solcher Filme, vielleicht waren sie Vorboten dieser Trends.»

Wirklichkeitsflucht

Doch wie ernst kann man Filme nehmen, in denen die Frauen Namen tragen wie Plenty O’Toole, Holly Goodhead oder Pussy Galore? Ist Bond letztlich nicht mehr als ein Teenager-Traum von Gadgets und jungen Frauen? Nichts mehr als sinnloser Spass – eine Flucht aus der Wirklichkeit in eine Welt, in der das Gute immer siegt?

«Worum es bei James Bond letzten Endes geht, ist die Tatsache, dass er eigenhändig die Welt rettet – etwas, was in der Realität normalerweise nicht vorkommt», erklärt Bond-Kenner Black.

Für beide, Black wie auch Neuendorf, ist Sean Connery der beste aller Bond-Darsteller. Auch wenn Black ergänzt, dass Timothy Dalton für ihn am nächsten an den Bond aus den Romanen herangekommen ist: «Ein eher dunkler, introvertierter, romantischer Held.» Neuendorf ist etwas direkter: «Es ist das Funkeln in den Augen!»

1979 analysierte der italienische Semiotiker und Literaturkritiker Umberto Eco die Erzählstruktur von Ian Flemings Bond-Romanen. Die Resultate sind meistens auch auf die Filme anwendbar.

Laut Eco sind den Charakteren in Bond-Romanen spezifische Rollen zugeschrieben. «Die Erzählstruktur der Romane hält sich an eine Folge von ‹Bewegungen›, … die einem perfekt vorgegebenen Muster folgen», schrieb Eco.

Eco listet die Bewegungen auf:

A: M (Bonds Chef) gibt Bond eine Aufgabe

B: Bösewicht (oder Stellvertreter) zeigt sich Bond

C: Bond testet den Bösewicht, oder umgekehrt

D: Frau zeigt sich Bond

E: Bond nimmt sich Frau (erobert sie oder beginnt mit Verführung)

F: Bösewicht nimmt Bond gefangen (mit oder ohne Frau)

G: Bösewicht foltert Bond (mit oder ohne Frau)

H: Bond besiegt Bösewicht (bringt ihn oder Stellvertreter um oder hilft dabei)

I: Bond erholt sich und amüsiert sich mit Frau, die er danach verliert

Laut Eco erscheinen diese Bewegungen in allen Bond-Romanen, auch wenn sie mehrmals stattfinden können und nicht immer in der gleichen Reihenfolge auftreten.

«Dr. No» kann als Archetypus des Bond-Romans bezeichnet werden, verläuft er doch genau nach dem Muster ABCDEFGHI.

(Quelle: Umberto Eco: The Role of the Reader: Explorations in the Semiotics of Texts, 1979)

(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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