Expo Milano als politischer Spielball
Am 28. September entscheidet das Tessiner Stimmvolk über die Beteiligung an der Weltausstellung in Mailand 2015 mit öffentlichen Geldern. Die Referendumsabstimmung über einen eigentlich bescheidenen Kredit spiegelt das schwierige Verhältnis des Südkantons zu seinem Nachbarland Italien.
Vom Südzipfel der Schweiz in Chiasso bis zum Ausstellungsgelände der Weltausstellung in Mailand-Rho sind es nur 40 Kilometer. Die Behauptung ist daher treffend: Die Expo Milano findet vor der Haustür des Kantons Tessin statt.
Vom 1. Mai bis 31. Oktober 2015 wird sich die Expo unter dem Thema «Den Planeten ernähren, Energie für das Leben» den grossen Ernährungsfragen dieser Welt widmen. 20 Millionen Besucher werden erwartet. 75 Prozent aus Italien, 25 Prozent aus dem Ausland, davon 40 Prozent aus der Schweiz.
Offene Fragen
Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats hat sich im August mit der Teilnahme der Schweiz an der Weltausstellung 2015 in Mailand befasst, einige strittige Punkte diskutiert und sich von der Bundesverwaltung über den Stand der Vorbereitungen informieren lassen.
Dabei zeigte sich, dass auch bei der nationalrätlichen Kommission gewisse Zweifel in Bezug auf die Expo bestehen. Zumindest wurde die Verwaltung aufgefordert, zu einigen Fragestellungen zusätzliche Auskünfte zu erteilen.
Diskutiert wurden Themen wie die Reduktion der ursprünglichen Anzahl Silotürme, die von der Mailänder Staatsanwaltschaft bereits aufgedeckten Skandale im Zusammenhang mit den verschiedenen Bauaufträgen, die Frage, ob das Projekt dem vorgeschlagenen Motto entspricht und selbst nachhaltig ist, sowie das Referendum betreffend die finanzielle Beteiligung des Kantons Tessin.
Dieses Jahr waren diverse Personen in Mailand unter dem Vorwurf der Korruption und Begünstigung im Zusammenhang mit der Expo verhaftet worden. Hinlänglich bekannt sind auch die Verspätungen auf der Grossbaustelle. Für diverse Gastrobetriebe an der Expo haben sich noch keine Betreiber gefunden.
Die Eidgenossenschaft hat schon früh ihre Beteiligung an der Expo mit einem Kredit von 23 Millionen Franken zugesagt, im Januar 2012 hat eine Jury das Projekt «Confooderatio Helvetica» ausgewählt, das sich nun als Schweizer Pavillon in der Bauphase befindet.
Tessin hinkt hinterher
Während die Eidgenossenschaft in Sachen Expo Milano den Turbo eingeschaltet hat, hinkt der Kanton Tessin den Entwicklungen hinterher. Gut 200 Tage vor der geplanten Eröffnung der Weltausstellung ist noch nicht einmal sicher, ob sich der Kanton mit öffentlichen Geldern an der Expo Milano beteiligen wird.
Diese Frage wird erst am 28. September in einer Referendumsabstimmung entschieden. Der Grosse Rat hatte Mitte April einen Kredit über 3,5 Millionen Franken für die Beteiligung an der Expo gesprochen, doch die Lega dei Ticinesi ergriff mit Unterstützung der Grünen und der Schweizerischen Volkspartei (SVP) erfolgreich das Referendum. Eindrückliche 12’698 gültige Unterschriften wurden gesammelt – 7000 reichen im Kanton Tessin zum Zustandekommen eines Referendums.
Abgestimmt wird letztlich nur noch über 2,2 Millionen Franken, da durch die Lancierung des Referendums bereits einige Projekte gestorben sind. Die Zeit reicht schlicht nicht mehr aus, diese zu realisieren.
Schwieriges Verhältnis zu Italien
Die Lega war der Ansicht, man dürfe kein Geld ins «konkursite Italien» schaufeln, zumal die Weltausstellung mafiös unterwandert sei. Auch Grünen-Koordinator Sergio Savoia ist der Meinung: «Es reicht jetzt, Gelder aus dem Fenster zu werfen.» Während im Sozialen gekürzt würde, sei plötzlich viel Geld für solche Megaprojekte vorhanden.
Zudem wird argumentiert, dass eine Weltausstellung ein überholtes Konzept darstelle. Vor allem dürften in einer historischen Situation, in der Italien Versprechen gegenüber der Schweiz nicht einhalte (z.B. die Realisierung der Bahnlinie Stabio-Arcisate) oder die Schweizer Wirtschaft mit schwarzen Listen gängele, keine Geschenke ans Nachbarland gemacht werden.
Tatsächlich spiegelt das Referendum ein grosses Unbehagen im Kanton Tessin gegenüber dem Nachbarland. Dies war schon bei der massiven Annahme der SVP-Masseneinwanderungsinitiative im Februar 2014 deutlich geworden. In keinem anderen Kanton war der Ja-Stimmen-Anteil höher (68,2 Prozent). Das Votum war ein klarer Protest gegen Italien und vor allem gegen die massive Präsenz von Grenzgängern im Südkanton.
Regierung verteidigt Expo-Kredit
Diese Anti-Italien-Stimmung ist im Kanton Tessin deutlich spürbar. Aber sie wird nicht von allen geteilt. Regierungspräsident Manuele Bertoli (Sozialdemokratische Partei) kritisierte in seiner 1.-August-Rede diese Einstellung seiner Landsleute mit scharfen Worten. Dafür zog er den Zorn von SVP und Lega auf sich.
Die Kantonsregierung verteidigt auf alle Fälle den Kredit für die Weltausstellung in Mailand. «Wir können einfach nicht nicht dabei sein», sagt Regierungsrat Paolo Beltraminelli (Christlichdemokratische Volkspartei). Die Expo Mailand stelle eine einmalige und unwiederholbare Chance für den Kanton Tessin dar, sich gegenüber der Weltöffentlichkeit zu präsentieren.
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Weltausstellungen gestern und heute
Zudem soll vermieden werden, dass der Kanton gegenüber dem Bund und seinen Partnerkantonen eine «brutta figura» – eine schlechte Figur – macht. Denn im Schweizer Pavillon werden die Gotthard-Kantone Tessin, Graubünden, Wallis und Uri mit einem eigenen Themenbereich «Wasser» vertreten sein. Der Vertrag wurde bereits unterzeichnet.
Notgroschen
Um wenigstens diesen institutionellen Pflichten nachkommen zu können, falls der Kredit an der Urne gebodigt werden sollte, hat der Regierungsrat vorsorglich eine Sammlung bei privaten Institutionen (Handelskammer, Bankiervereinigung, etc.) lanciert sowie eine Defizitgarantie über eine Million Franken aus dem Swisslos-Fonds garantiert. Das Bundesgericht hat eine Beschwerde der Lega dei Ticinesi gegen diese Garantie aus dem Swisslos-Fonds abgewiesen.
Trotz diesem Notgroschen kämpft die Regierung für eine Annahme des Kredits durch die Stimmbürger. Denn die Alternativ-Lösung würde maximal 1,5 Millionen Franken in die kantonale Expo-Kasse spülen. Mit der Annahme des Kredits wären es 2,2 Millionen. Der Mehrbetrag kommt Projekten zugute, die in Hinblick auf die Expo noch verwirklicht werden können.
Auch Wirtschaftsverbände sowie die bürgerlichen Parteien setzen sich vehement für die Annahme des Expo-Kredits ein und haben ein Unterstützerkomitee gegründet. Ob die Stimmbürger diesen Appellen folgen, wird sich aber erst am 28. September zeigen.
Präsenz Schweiz sucht Mitarbeiter
Die Stelle für Landeskommunikation Präsenz Schweiz sucht insgesamt 52 Mitarbeitende, die während der sechsmonatigen Weltausstellung zwischen Mai und Oktober 2015 den Schweizer Pavillon animieren und die Öffentlichkeitsarbeit betreuen: Mitarbeiter für Event Management, Guest Relations, Kommunikation und Administration.
Die Brutto-Monatssaläre reichen von 1600 Franken für Gästebetreuer bis maximal 2700 Franken für Angestellte in Führungspositionen. Dazu kommt eine Verpflegungspauschale von 37,50 Franken pro Tag sowie gratis Unterkunft in einer Vierer-Wohngemeinschaft. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) finanziert zudem die An- und Abreise nach Mailand.
Diese Ansätze haben im Kanton Tessin zu heftigen Diskussionen geführt. Einige Politiker sprechen von Dumping-Löhnen des Bundes, zumal Berufserfahrungen und Mehrsprachigkeit verlangt sind.
Präsenz Schweiz wehrt sich gegen die Vorwürfe. «Diese Löhne sind ortsüblich und vergleichbar mit den anderen Expo-Teilnehmerländern», sagt EDA-Mitarbeiter Andrea Arcidiacono, der für das Expo-Programm in Mailand verantwortlich zeichnet.
Die Rekrutierungskampagne ziele namentlich auf junge Schweizer, die Erfahrungen in einem internationalen Ambiente sammeln wollten. Bisher sind mehr als 500 Bewerbungen eingegangen.
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