Expo-Polemik um Nahrungsmittel-Multis
An der Weltausstellung in Mailand sollen Strategien erarbeitet werden, um die Lebensqualität von Millionen Menschen auf der Welt zu verbessern, die Nahrungsmittel-Sicherheit zu garantieren und die Umwelt zu schützen. Doch die Präsenz einiger Nahrungsmittel-Multis wird von Nicht-Regierungsorganisationen und Exponenten der Zivilgesellschaft kritisiert.
«Was machen Coca Cola und McDonald`s an der Expo?» Dieser Frage stellte man sich bereits vor der Eröffnung der Weltausstellung, und nicht nur in Italien. Eine Reihe von Kritikern sieht die Präsenz dieser Multis als unvereinbar mit den Expo-Zielen einer gesunden und nachhaltigen Ernährung. Zumal die Weltausstellung in einem Land stattfindet, das für seine mediterrane Ernährung bekannt ist.
Expo 2015
Die Weltausstellung Milano Expo 2015 findet vom 1.Mai bis 31.Oktober 2015 statt. Das Thema lautet «Den Planeten ernähren, Energie für das Leben». Es werden mehr als 20 Millionen Besucherinnen und Besucher erwartet, davon 2 Millionen aus der Schweiz. Mehr als 11 Millionen Tickets wurden bereits verkauft.
Die teilnehmenden Länder, Organisationen und Unternehmungen sollen ihre Kompetenzen im Bereich der Landwirtschaft, Nahrungsmittel-Produktion und wissenschaftlichen Forschung präsentieren. Sie sollen Modelle für eine nachhaltige Entwicklung vorstellen, damit die Menschheit in ausreichendem Mass über gesunde Nahrung verfügt.
Tausende Events sind vorgesehen, davon allein 17‘000 in der Stadt Mailand, wo das Grossereignis von der Bevölkerung mit Neugierde, aber auch gewisser Skepsis verfolgt wird.
Das Ausstellungsgelände in Rho-Pero erstreckt sich über mehr als eine Mio. Quadratmeter. 54 Länderpavillons und 9 Themen-Cluster repräsentieren 147 Teilnehmerländer und internationale Organisationen. Die Kosten belaufen sich auf rund 1,3 Mrd. Euro.
Aus Anlass der offiziellen Expo-Eröffnung am 1.Mai protestierten in Mailand Anhänger der Bewegung «NoExpo» gegen die Beteiligung von multinationalen Unternehmen, die hohen Kosten für die Weltausstellung und die Arbeitsbedingungen auf der Expo-Baustelle. Die Kundgebung artete in gewalttätige Proteste und Strassenschlachten mit der Polizei aus.
Andere Kritiker gehen noch weiter. Sie sehen in den Grosskonzernen der Agrar- und Nahrungsmittel-Industrie die Haupturheber der weltweiten Ernährungsprobleme. Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, vertrat vor einem Jahr die Ansicht, dass das ganze Ernährungssystem radikal reformiert werden müsse: «Das jetzige System zielt auf Profit-Maximierung und ist einzig aus der Sicht der Nahrungsmittel-Industrie profitabel.» Seiner Meinung nach könnte der Hunger auf der Welt besiegt werden, aber nur indem die Logik der bestehenden Marktmechanismen durchbrochen und Kleinbauern der Zugang zu Ressourcen und Märkten garantiert würde.
Die Expo-Organisatoren verteidigen die Präsenz der Nahrungsmittel-Riesen. Demnach muss die Weltausstellung alle Player der Nahrungsmittel-Branche einbeziehen, das heisst auch Coca Cola, das täglich zu 70 Millionen Mahlzeiten weltweit konsumiert wird. Coca Cola müsse die Gelegenheit haben, sein Modell von Nachhaltigkeit vorzustellen.
«Es ist für uns ein Mehrwert, dass die multinationalen Unternehmen sich an der Expo der Diskussion stellen», sagte Italiens Premierminister Matteo Renzi. Es sei ein Ansporn, um über die Formel «Den Planeten ernähren» nachzudenken und Zukunftsszenarien zu entwerfen.
Ernährungssouveränität
Ganz anders sieht es Giosuè De Salvo, Sprecher des Vereins «Expo dei Popoli» (Expo der Völker): «Das von der Expo gewählte Thema ist sicherlich aktuell und wichtig. Es war zweifellos richtig, auf dieses Thema zu setzen. Aber wir können das Ernährungsmodell nicht teilen, das bei der Expo vertreten wird. Ein Modell, das vor allem auf ein System setzt, das von Industrie, Chemie und Biotechnologie und von transnationalen Firmen dominiert wird.»
Die «Expo die Popoli» organsiert aus diesem Grund vom 3. bis 5. Juni ein internationales Forum in Mailand, um all denen eine Stimme zu geben, die von der Weltausstellung ausgeschlossen wurden: Kleinbauern, kleine Viehzüchter und Fischer.
Rund 50 Nicht-Regierungsorganisationen und Exponenten der Zivilgesellschaft haben diese Initiative ergriffen. Sie sind der Meinung, dass die Expo 2015 eine Wende zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und Nahrungsmittel-Produktion markieren sollte, die auf einer biologischen Landwirtschaft und Kleinbetrieben fusste. Ihrer Meinung nach lässt sich ausreichend gesunde Ernährung für die ganze Menschheit nur sicherstellen, wenn die Ernährungssouveränität für Produzenten und Verbraucher garantiert ist.
«Ernährungssouveränität bedeutet, frei wählen zu können. Heute ist diese Freiheit nicht gegeben, da es einen Konzentrationsprozess in der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie gibt. Sieben multinationale Unternehmen kontrollieren den Saatgut-Markt, nur vier Unternehmen rund 75 Prozent des weltweiten Getreide-, Kaffee- und Kakaomarktes. Wenige Firmen sind für die industrielle Nahrungsmittel-Produktion sowie die Verteilung der Nahrungsmittel in unseren Ländern zuständig», hält Giosuè De Salvo fest.
Privatisierung des Trinkwassers
Von den Diskussionen über die Präsenz der Multis blieb auch der Schweizer Pavillon nicht verschont, in dem die Besucher für einen verantwortungsvollen Konsum sensibilisiert werden. Salz, Wasser, Kaffee und Apfelringe werden in vier Türmen verteilt. Die Vorräte gehen langsam zur Neige. Diese Produkte an sich waren nicht umstritten, aber die Tatsache, dass zwei der vier Türme in die Verantwortung des Nahrungsmittel-Giganten Nestlé vergeben worden waren, der Wasserturm und der Kaffeeturm, sorgte für Empörung.
Zu den heftigsten Kritikern gehört der Schweizer Jean Ziegler, von 2000 bis 2008 UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Er hält fest, «dass weltweit niemand intensiver als Nestlé die Privatisierung des Trinkwassers forciert.» Hingegen sollte Trinkwasser laut Ziegler «ein öffentliches Gut und Menschenrecht sein».
Die Verantwortlichen des Schweizer Pavillons reagierten auf die Kritik. Statt Nestlé-Wasserflaschen in Plastik wird nun Wasser aus dem Grundwasser Mailands in Mehrwegbechern gereicht.
Hunger und Überfluss auf der Welt
Gemäss Daten von UN-Institutionen, die sich um Landwirtschaft und Ernährung kümmern, leiden immer noch 800 Mio. Menschen auf der Welt an Hunger. Zirka 1 Milliarde hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Jedes Jahr verkommen hingegen rund 1,3 Mrd. Tonnen an Nahrung oder werden weggeworfen. Es entspricht ungefähr dem Vierfachen der Nahrung, die nötig wäre, um alle unterernährten Personen auf der Welt mit Lebensmitteln zu versorgen.
Auch der Überfluss an Lebensmitteln ist weltweit ein Problem. Rund 2 Mrd. Menschen leiden an den Folgen einer zu üppigen oder qualitativ schlechten Ernährung.
Noch heftigere Kritik löste die Präsenz von Syngenta im Schweizer Pavillon aus. Syngenta ist Hauptsponsor der Ausstellung der Stadt Basel und verfügt über eine eigene Ausstellungsfläche. Eine Koalition von Nicht-Regierungsorganisationen lancierte eine Kampagne und Initiativen gegen Syngenta, unter anderem ein zweitägiges Forum Ende April, um die Strategie des multinationalen Unternehmens in der Agrar- und Lebensmittel-Industrie anzuprangern. Syngenta ist der weltweit grösste Produzent von Pestiziden. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, eine nicht-nachhaltige Landwirtschaft zu repräsentieren, die auf fossilen Energieträgern, Chemikalien und gentechnisch veränderten Organismen basiere.
Urs Walter von der Entwicklungsorganisation «Brot für alle» ist der Ansicht, «dass die Schweiz ein falsches Signal an die Welt aussendet, wenn sie sich in Mailand durch die Agrar- und Lebensmittel-Industrie repräsentieren lässt.“ Diese Industrie sei nicht der einzige Player in der Welternährung und setze auf zweifelhafte Praktiken wie Monokulturen, welche die Nahrungsmittel-Sicherheit von vielen Kleinbauern in Ländern des Südens kompromittierten und schädlich für die Umwelt seien.
Unterschiedliche Auffassungen
Syngenta-Direktor Christoph Mäder weist diese Kritik zurück: «Syngenta beschäftigt sich schon lange mit der Frage, wie eine rasch steigende Weltbevölkerung nachhaltig ernährt werden kann. Gerade weil es unterschiedliche Ansichten zu diesem Thema gibt, ist es wichtig, dass sich eine breitere Öffentlichkeit mit den verschiedenen Lösungsansätzen auseinandersetzt. An der EXPO möchten wir zu dieser wichtigen Diskussion einen Beitrag leisten.»
Auch Präsenz Schweiz als Schirmherr des Schweizer Pavillons hält diese Debatte für wichtig. «Unsere Aufgabe ist es, die Schweiz in all ihren Facetten zu zeigen. Wir können an der Weltausstellung nicht nur die biologische Landwirtschaft zeigen und die Agrar- und Nahrungsmittel-Industrie aussperren. Denn diese ist Teil unserer Realität in unserem Land», sagt Nicolas Bideau, Direktor von Präsenz Schweiz.Externer Link
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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