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Fahrradklau – ein Luxusproblem?

Marianne Fässler vor dem "Hot Spot", den Veloabstellplätzen am Berner Bollwerk. swissinfo.ch

Bern und Basel sind Hochburgen für Velodiebe im deutschsprachigen Raum Europas. Zu diesem Schluss kommt eine deutsche Studie, die 127 Städte verglich. Allerdings werden deren Grundlagen von zahlreichen Akteuren in Frage gestellt.

Der Privatverkehr ist intensiv und laut und es riecht stark nach Abgasen, an der Südseite des Berner Bahnhofs, bei der wohl grössten Ansammlung parkierter Fahrräder in der Schweiz.

In der Umgebung des Bahnhofs werden die meisten Velos entwendet. Juristisch betrachtet wird nur ein kleiner Teil davon wirklich gestohlen, der grössere Teil gilt als «Entwendung zum Gebrauch». Das heisst, die Fahrräder werden meistens für den Nachhauseweg benutzt und dann irgendwo hingestellt.

«Fahrradklau ist in der Schweiz leider ein Kavaliersdelikt», sagt Marianne Fässler, stellvertretende Geschäftsführerin von der Interessengemeinschaft Pro Velo Schweiz. Statistisch wird jeder dritten Person einmal im Leben ein Velo entwendet. Sie selber blieb bisher davon verschont.

«Für die Polizei ist die Entwendung zum Gebrauch keineswegs eine Bagatellhandlung», sagt Peter Hirter, von der Mobilen Polizei der Kantonspolizei Bern. Das Problem sei aber, solche Delinquenten zu erwischen. «Es kommt eher selten vor, dass man einen solchen Radfahrer anhält, ihn überprüft und sich dann herausstellt, dass das Fahrrad entwendet worden ist.»

Dem Velofahrer fehlten im Vergleich zum Mofa- oder Fahrzeuglenker Beweise wie Fahrzeugausweis und Kontrollschild, die über den rechtmässigen Besitz Aufschluss geben könnten.

Bern sei eine «Velostadt», sagt der Experte. «Der Fahrradverkehr wird sehr stark gefördert.» Daher sei Bern wohl zu diesen hohen Werten gekommen. Wie das deutsche Münster, das die Rangliste anführt und ebenfalls als fahrradfreundlich gilt.

Teure Velos

Laut der Studie des deutschen Vergleichsportals Geld.de wurden letztes Jahr in Bern 1826 und in Basel 1502 Räder pro 100’000 Einwohner entwendet. Den besten Wert in der Schweiz weist Lugano mit 191 Entwendungen pro 100’000 Personen auf.

Marianne Fässler von Pro Velo Schweiz kann den hohen Zahlen auch etwas Positives abgewinnen: «Es ist eigentlich eine Art Gütezeichen: Wo viele Fahrräder sind, werden leider mehr geklaut.»

Zudem sei im Vergleich mit anderen Ländern die Qualität der Velos in der Schweiz oft besser. Bei einem Besuch in Holland sei ihr aufgefallen, dass dort ziemlich viele Schrottvelos herumgestanden seien. «Im Alltag mit einem Schrottvelo herumzufahren, entspricht vielleicht nicht dem Komfortgedanken der Schweizer.»

Studienleiter Konstantin Korosides glaubt, dass wegen dem höheren Einkommen in der Schweiz auch die Velos «entsprechend teurer» sind. «In Berlin stehen viele Drahtesel herum, für die keiner mehr 10 Euro ausgeben würde.»

Der eigentliche Velodiebstahl hat sich auf teurere Velos spezialisiert. «Bei teuren Velos, bei E-Bikes stellen wir eher bandenmässiges Vorgehen fest», sagt Jürg Thalmann, Sprecher der Versicherungs-Gesellschaft Mobiliar. Die Polizei habe auch schon gewerbsmässige Velodiebe festnehmen können, sagt Hirter dazu.

Ortung per GPS?

Für die Versicherungen habe der Trend zu teureren Rädern aber auch einen positiven Effekt, sagt Thalmann: «Die Leute passen besser darauf auf.» Die Mobiliar hat laut eigenen Angaben pro Jahr etwa 10’000 Fälle von Velodiebstahl zu behandeln, was sich auf eine Summe von rund 10 Millionen Franken beläuft.

Zwar relativiert Thalmann dies auch gleich wieder: «Bei der Mobiliar bezahlen wir täglich rund 3 bis 4 Millionen Franken an Schäden.» Trotzdem wolle die Versicherung nicht tatenlos danebenstehen und engagiere sich daher bei einem Pilotprojekt der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH), das eine Ortung des Fahrrads per GPS ermögliche. Noch müssten einige technische Fragen geklärt werden. Aber: «Das könnte die Zukunft sein.»

Gute Investition: Ein gutes Schloss

In der Zwischenzeit setzen Polizei und Versicherungen auf Prävention. Der beste Rat sei immer noch, das Fahrrad möglichst nicht nur abzuschliessen, sondern auch anzuketten. «Aber nicht an irgendwelchen illegalen Orten, sondern an den entsprechenden Veloabstell-Vorrichtungen», sagt Polizist Hirter.

Über Nacht empfehlen die Experten, Fahrräder in den Keller oder Veloraum zu stellen und ein Fahrrad nie zu lange an der gleichen Stelle stehen zu lassen. Zudem böten immer mehr grössere Bahnhöfe so genannte Velostationen an, überwachte Räume, in denen das Fahrrad zu einem Fixpreis eingestellt werden kann.

Etwas unerwartet ist die Erfahrung der Mobiliar, wonach ein auffälliges Velo einen Diebstahl unwahrscheinlicher macht. Hirter vermutet, dass im Fall einer Entwendung das Gegenteil der Fall sein könnte.

Kritik an der Studie

Fast allen untersuchten Städten mit einem hohen Anteil an Fahrraddiebstählen gemeinsam ist auch eine sehr tiefe Aufklärungsrate. Dies relativiert Hirter von der Kantonspolizei Bern allerdings. Das Problem sei, dass viele Diebstähle gar nicht oder sehr spät gemeldet würden. Zudem sei die tiefe Quote jene der vollständig aufgeklärten Fälle. Rund die Hälfte jener Fahrräder, deren Verlust gemeldet werde, kämen nämlich wieder zum Vorschein.

Auch an der Studie selber hat Hirter einiges zu bemängeln – und er ist dabei nicht allein. «Wenn man solche Vergleiche machen will, muss man auch die Förderung des Veloverkehrs durch die örtliche Politik vergleichen», sagt er.

Wie Hirter fänden auch Thalmann und Fässler die Untersuchung aussagekräftiger, wenn die Autoren statt den Einwohnern einer Stadt die Anzahl der Fahrräder, die im Verkehr sind, mit der Anzahl der gestohlenen Velos verglichen hätten.

Diesen Einwand hält Studienleiter Korosides für «nicht umsetzbar in einer internationalen Studie». Die Polizeistatistiken der drei Länder würden die Diebstähle pro 100’000 Einwohner ausweisen. Sich an diese offiziellen Zahlen zu halten, sei «die einzige realistische und auch wissenschaftlich seriöse und korrekte Art».

Untersucht wurden 127 Städte in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Spitzenreiter sind die Städte Münster, Deutschland (1828 gestohlene Fahrräder auf 100’000 Einwohner), Bern (1826 auf 100’000), Oldenburg, Deutschland (1521) und Basel (1502).

Am sichersten sind laut der Studie Fahrräder in den deutschen Städten Remscheid (36 pro 100’000), Neunkirchen/ Saar (50), Balingen und Wuppertal (59). Sicherste Schweizer Stadt soll Lugano (191) sein.

(Quelle: Geld.de)

2009 wurden in der Schweiz 47’268 Velodiebstähle gemeldet. 2,9% der Fälle wurden aufgeklärt.

2010 waren es 41’953 Räder, 11% weniger als im Vorjahr. Aufklärungsrate: 1,6%. Die Dunkelziffer dürfte laut Insidern um die 100’000 zusätzliche Fahrräder pro Jahr sein.

(Quelle: Bundesamt für Statistik)

Nach Fahrzeugtyp 2010:

– Fahrräder: 83,6%

– Motorfahrräder: 4,7%

– Motorräder: 5,3%

– Personenwagen: 5,1%

– Schwere und übrige Fahrzeuge: 1,3%

(Quelle: Bundesamt für Statistik)

Ab 2012 brauchen Fahrräder keine Vignette mehr. Eine Parlamentsmehrheit hatte befunden, dass der Aufwand grösser sei als der Nutzen.

Das heisst, dass bei Schadenfällen an Dritten nun die Privathaftpflicht-Versicherung den Schaden übernimmt.

Die Vignette hatte es ermöglicht, den Besitzer eines Fahrrads zu ermitteln, falls dieser seine Adresse angegeben hatte.

Ein Postulat mit der Forderung nach einem zentralen nationalen Register fand beim Bundesrat kein Gehör. Er erklärte, die Kantone seien dafür zuständig.

Die vom Velodiebstahl hauptsächlich betroffenen Städte seien «gefordert, die Problematik vor Ort zu analysieren und griffige Lösungen zu entwickeln, um Diebstähle entsprechend den örtlichen Gegebenheiten wirksam einzudämmen und die Wiederauffindungs- und Rückführquote zu erhöhen».

Nun versuchen Private, in die Bresche zu springen. Bereits bieten einige die Registrierung für Fahrräder an.

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