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Unnötiges Gift oder notwendiges Übel?

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Christian Beutler/Keystone

Die Schweizer Stimmberechtigten entscheiden im Juni, ob sie ein komplettes Verbot von synthetischen Pestiziden wollen oder nicht. Stimmen die Behauptungen der Befürworter der Volksinitiative? Und wie wirken sich die Pestizide wirklich aus? Ein Blick auf die Fakten. 

Am 13. Juni 2021 befinden die Schweizer Stimmberechtigten über die Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide». Die Befürworter wollen den Einsatz von synthetischen Unkrautvernichtungsmitteln, Insektiziden und Fungiziden in der Schweizer Landwirtschaft sowie für den privaten oder gewerblichen Gebrauch verbieten. Ausserdem wollen sie den Import solcher Mittel untersagen.

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Faktencheck von swissinfo.ch: So gehen wir vor

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Das Initiativkomitee mit Sitz in der Westschweiz setzt sich aus Wissenschaftlern, Juristen und Bauern zusammen, die keiner grossen politischen Partei direkt angehören. Allerdings hat die Initiative einige politische Unterstützung erhalten, vor allem von den Grünen, die argumentieren, dass das Alpenland nicht genug unternimmt, um den Einsatz von Pestiziden zu bekämpfen. «Im internationalen Vergleich liegt die Schweiz bei der Pestizidreduktion bestenfalls im Mittelfeld», argumentiert die Partei auf ihrer Website.

Wo die Schweiz wirklich steht

Daten zum Verkauf von Pestiziden können einen Hinweis darauf geben, wie gut die Schweiz im internationalen Vergleich abschneidet. Die Grüne Partei beruft sich auf Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die 37 Staaten umfasst. Diese Zahlen zeigen, dass die Schweiz im Mittelfeld liegt, wenn es um den Pestizideinsatz pro Flächeneinheit geht. 

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OECD

Allerdings decken die Zahlen nur den Zeitraum von 2011 bis 2015 ab. Neuere Zahlen (bis 2018) der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) weisen für die Schweiz einen Pestizideinsatz von 4,9 Kilogramm/Hektar aus. Damit liegt das Land im Umfeld von Frankreich und Grossbritannien (sowie Turkmenistan, Georgien, Argentinienund die Dominikanische Republik). Somit gehört die Schweiz weder zu den Spitzenreitern noch zu den Schlusslichtern, wenn es um den Einsatz der umstrittenen Chemikalien geht.

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Um den Umgang eines Landes mit Pestiziden zu beurteilen, sollte auch sein Verbrauch während der letzten Jahre unter die Lupe genommen werden. Ein von Eurostat (dem statistischen Amt der Europäischen Union) veröffentlichter Vergleich zeigt, dass der Verkauf von Pestiziden in der Schweiz zwischen 2011 und 2019 zurückgegangen ist, jedoch nicht so stark wie in anderen europäischen Ländern im gleichen Zeitraum.  

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Quantität versus Qualität

Um die Situation besser zu verstehen, sollten auch die Art der eingesetzten Pestizide sowie Muster im Verkauf betrachtet werden. Der Absatz von Herbiziden ist seit sechs Jahren zurückgegangen, wobei die Verkäufe des umstrittenen Glyphosats innerhalb von zehn Jahren um 63 Prozent geschrumpft sind. Die fünf meistverkauften Pestizide im Jahr 2019 waren Schwefel (Fungizid), Paraffinöl (Insektizid), Glyphosat (Herbizid), Folpet (Fungizid im Weinbau) und Mancozeb (Fungizid). Zu erwähnen ist, dass Schwefel und Paraffinöl im ökologischen Landbau erlaubt sind und auch in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt werden.

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Die Schweiz mag im globalen Vergleich im Mittelfeld positioniert sein, aber was bedeutet das für die Gefahren für die Bevölkerung? Das Spektrum der Toxizitätsprofile von Pestiziden ist allgemein sehr breit. Neue Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), welche die Pestizide nach ihrem Schadenspotenzial für den Menschen einstufen, helfen bei der Beurteilung.

Beim Abgleich der WHO-Gefahrenklassifizierung mit einer Liste von 360 in der Schweiz zugelassenen Wirkstoffen fanden wir 170 Übereinstimmungen. Bei der Analyse fällt ein Pestizid auf, das von der WHO als «extrem gefährlich» eingestuft wird: der Wirkstoff Bromadiolon, der in der Schweiz unter dem Handelsnamen Arvicolon 200 CT vertrieben wird. Vier Substanzen fielen in die Kategorie «extrem gefährlich» (Abamectin, Methomyl, Tefluthrin, Zeta-Cypermethrin), während etwa hundert andere als «mäßig gefährlich» und «leicht gefährlich» eingestuft wurden. 

Kai Reusser / swissinfo.ch

Die Schweiz hat es geschafft, den Einsatz einiger Pestizide in der heimischen Landwirtschaft zu reduzieren, aber das Augenmerk sollte auch Importen gelten. Denn rund 60 Prozent der pflanzlichen Kalorien, welche die Schweizer zu sich nehmen, stammen aus dem Ausland.

Laut einer Untersuchung der Schweizer NGO Public Eye enthielten über 10 Prozent der importierten Lebensmittel, die 2017 von den Behörden getestet wurden, Rückstände von verbotenen Pestiziden. Gemäss Daten des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen wurden während den Tests von 2017 insgesamt 52 verbotene Pestizide gefunden. Die Gefahr für die Gesundheit der Konsumenten dürfte also unterschätzt werden, wenn die Einfuhren nicht berücksichtigt werden.

Fazit: Grösstenteils zutreffend

Im internationalen Vergleich liegt die Schweiz im Mittelfeld, wenn es um den Verkauf von Pestiziden und die Begrenzung ihres Einsatzes geht. Allerdings hat sie bei der Reduzierung einiger Pestizidarten (zum Beispiel Herbizide) mehr Fortschritte gemacht, als ihr zugestanden wird. Die im Land zugelassenen Pestizide sind in der Regel nicht die giftigsten, und über 40 Prozent der verkauften Pflanzenschutzmittel können im ökologischen Landbau eingesetzt werden.

Ein Risikofaktor, der selten beachtet wird, ist die Dauerhaftigkeit von Pestizidrückständen in Gewässern, Grundwasser und Boden. Der Schweizer Chemiker Bernhard Wehrli, ein Professor für Wasserchemie an der ETH, schrieb in einem BlogbeitragExterner Link, dass gewisse Pestizide wie etwa das Unkrautvertilgungsmittel Atrazin «über Jahrzehnte nachweisbar» bleiben, «selbst wenn die Substanz schon lange verboten ist.» Er warnt auch vor den Metaboliten von Pestiziden, die in manchen Fällen besser wasserlöslich sind und eine längere Lebensdauer haben als die Pestizide selbst. Ein Beispiel ist das Fungizid Chlorthalonil, das in der Schweiz noch verwendet wird, dessen Zulassung in der EU aber wegen möglicher krebserregender Wirkungen nicht verlängert wurde. Eine aktuelle wissenschaftliche Analyse von 31 Grundwasserproben fand in allen Proben Metaboliten von Chlorthalonil und in 20 Proben neue Metaboliten. Den Forschern zufolge lassen sich diese Metaboliten aufgrund ihrer Eigenschaften selbst mit fortschrittlicheren Wasseraufbereitungstechnologien wie Aktivkohle und Ozonierung nur schwer filtern oder abbauen.  

Zudem gibt es einen selten diskutierten Faktor, der die Menge der in einem bestimmten Jahr eingesetzten Pestizide beeinflusst: Das Wetter. Während Technologien wie Unkrautbekämpfungsroboter die Menge an Unkrautvernichtungsmitteln reduziert haben, ändert sich der Einsatz anderer synthetischer Pestizide wie Fungizide je nach Wetterbedingungen. Eva Reinhard, die Leiterin der Schweizer Forschungseinrichtung Agroscope, erklärt dies damit, dass sich in warmen und feuchten Jahren Pilze und Bakterien exponentiell vermehren, was zu einem höheren Einsatz von Fungiziden führt. Es werde daran gearbeitet, Sorten zu entwickeln, die etwa gegen Kartoffelfäule resistenter seien. Ein Hindernis hierbei sei aber die fehlende Akzeptanz der Öffentlichkeit für gentechnisch veränderte Lebensmittel ab.

«Gentechnisch veränderte Kartoffeln sind resistent gegen den Erreger und müssen nicht gespritzt werden», sagt Reinhard. «Wir stehen vor einem Zielkonflikt: Die Verbraucher wollen zwar pestizidfreie Produkte, aber sie sind noch nicht bereit, gentechnisch veränderte Pflanzen zu akzeptieren.»

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