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«Goodbye everybody» – das Swissair-330-Unglück jährt sich zum 50. Mal

The Würenlingen crash site
swissinfo.ch/Keystone

Das Ereignis hat die Schweiz erschüttert und wirkt bis heute nach: Am 21. Februar 1970 stürzte eine Swissair-Maschine kurz nach dem Start ab. Sie war in Richtung Tel Aviv unterwegs. Alle an Bord – 38 Passagiere und 9 Crew-Mitglieder – starben. Es was ein Terroranschlag, der schlimmste in der Schweizer Geschichte. Und bis heute ist niemand dafür bestraft worden.

«330 stürzt ab», sagte Co-Pilot Armand Etienne dem Kontrollturm. «Goodbye everybody.» Es war 13.34 Uhr. Es waren die letzten Worte aus dem Cockpit der Swissair-Maschine.

Rund 15 Minuten zuvor war im Frachtraum der Convair eine Bombe explodiert, ausgelöst durch einen Höhenmesser. Die Piloten versuchten noch, das Flugzeug zu wenden und in Zürich notzulanden, doch die Systeme fielen aus, und im raucherfüllten Cockpit konnten sie nichts mehr sehen. 

Neue Hinweise

Schweizer Zeitungen, darunter der Blick und die Neue Zürcher Zeitung, haben in den letzten Tagen den Fall wieder aufgenommen. Laut den Berichten liegen in US-Archiven «stapelweise Akten» zum Fall Würenlingen, die aber noch unter Verschluss seien. 

Gemäss einem Informanten hätte der Bombenanschlag gar verhindert werden können, wäre es nicht zu einer Kommunikationspanne gekommen.

Demnach soll der israelische Geheimdienst Mossad die palästinensische Terrorzelle in Deutschland überwacht «und so von den Anschlagsplänen erfahren haben». Zwar habe der Mossad die deutschen Geheimdienste informiert. Doch die Information sei dort irgendwo hängen geblieben – und die Tragödie nahm ihren Lauf: Das Paket explodierte zufällig im Swissair-Flieger.

Die Swissair kam vom Kurs ab, wich nach Westen aus und crashte schliesslich bei Würenlingen in ein Waldgebiet.  

Rund eine halbe Stunde später stand der Lokalpolitiker Arthur Schneider an der Absturzstelle. «Ich sah eine abgetrennte Hand auf auf dem Waldboden. Dieses Bild habe ich seither nie aus meinem Kopf gekriegt», sagte er 2016 gegenüber Radio SRFExterner Link.

Andere Zeugen berichteten von einem «grossen Feuerball». Man befürchtete, das Flugzeug sei ins nahe gelegene Atomkraftwerk abgestürzt. Tatsächlich wurde das Wrack einige hundert Meter von der Anlage gefunden.

Nun sind genau 50 Jahre seit dem Unglück vergangen. Am Freitag findet an der Absturzstelle eine Gedenkveranstaltung statt. Organisiert wird sie von Arthur Schneider und Ruedi Berlinger, dem Sohn des Piloten der SR330 – Karl Berlinger. 

Beide Männer sagen, die Veranstaltung sei wichtig, nicht nur der Erinnerung an die Tragödie und die Opfer wegen, sondern auch, um auf die ungeklärten Umstände des Anschlags aufmerksam zu machen.

Gab es den geheimen Deal?

Schweizer Nachrichtenagenturen teilten kurz nach der Katastrophe mit, dass eine Splittergruppe der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) die Verantwortung für den Anschlag übernommen habe. 

Tatsächlich übernahm die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) von George Habash die Verantwortung. Doch kurze Zeit später erfolgte ein Dementi. Auch die PLO wies jegliche Beteiligung zurück.

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Innerhalb weniger Tage wurde der Hauptverdächtige identifiziert: Ein jordanischer Staatsbürger, der die Bombe angeblich in München – dort war das Flugzeug gestartet – an eine fiktive Adresse in Israel geschickt hatte. Sein eigentliches Ziel soll ein israelisches El Al-Flugzeug gewesen sein. Infolge eines Flugwechsels landete die Bombe jedoch im Swissair-Flugzeug. 15 israelische Staatsbürger waren dort an Bord.

Trotz Haftbefehlen gegen den Jordanier und andere Verdächtige kam es nie zu einem Verfahren. 1970 übergab der Schweizer Untersuchungsrichter Robert Akeret persönlich seinen 165-seitigen Bericht an den Generalstaatsanwalt Hans Walder. Im Bericht steht, dass der Bombenanschlag von zwei Mitgliedern der PLO begangen worden sei.

Laut Akeret hüllte die Schweizer Regierung jedoch einen «Mantel des Schweigens» über den Fall. «Es ist mir ein Rätsel, warum die Täter nie vor Gericht gestellt wurden», sagte er. Die ersten Ermittlungen zum Anschlag wurden 1985 eingestellt, zehn Jahre später wieder aufgenommen und im Jahr 2000 endgültig eingestellt.

Dann, im Jahr 2016, erschien ein Buch von Marcel Gyr, einem Journalisten der Neuen Zürcher ZeitungExterner Link. Gyr behauptet, dass der frühere Aussenminister Pierre Graber mit der PLO ein Stillhalteabkommen geschlossen habe: Diplomatische Unterstützung durch die Schweiz gegen Schutz vor weiteren Terroranschlägen. 

Diese Behauptungen und der Verdacht einer Vertuschung wurden aber nie bewiesen, und ein parlamentarischer Kontrollausschuss stellte fest, dass es kein Indiz auf einen geheimen Schweizer Deal gab.

Zwei Jahre später beantragte ein Privatperson die Wiedereröffnung des Falls, nachdem FBI-Dokumente an die Medien gelangt waren. Die Dokumente nannten als Tatverdächtige unter anderem zwei unbekannte Personen aus Westdeutschland. 

Doch die Akte blieb geschlossen. Im August 2018 erklärte die Schweizer Bundesanwaltschaft, dass die neuen Beweise nicht stark genug seien und seit dem Verbrechen zu viel Zeit vergangen sei.

(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)

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