Flutopfer: Glückskette mit nationalem Spendenaufruf
Noch nie waren so viele Menschen in einem Land von einer Katastrophe betroffen wie in Pakistan. Trotzdem fielen die Spendenzahlen bisher gering aus. Nun startet die Glückskette einen nationalen Spendenaufruf, bestätigt Mediensprecherin Priska Spörri.
swissinfo.ch: Die Lage in Pakistan hat sich drastisch verschärft. Weshalb lanciert die Glückskette den nationalen Spendenaufruf erst heute, fast zwei Wochen nach Ausbruch der Flutkatastrophe?
Priska Spörri: Das Bedürfnis nach Hilfe stand nie in Frage. Es ging jedoch darum abzuklären, ob unsere Partnerhilfswerke die Hilfe vor Ort überhaupt umsetzen können.
Bis vor zwei, drei Tagen hatten wir diese Gewissheit noch nicht – doch jetzt haben sie das lokale Netzwerk für die Verteilung der Hilfe aufgebaut.
Die Versorgung mit sauberem Trinkwasser, Nahrungsmitteln, Kochutensilien und Medikamenten sowie provisorische Unterkünfte haben nun oberste Priorität.
swissinfo.ch: Die Glückskette hat am Dienstag einen zweiten Spendenaufruf für die Flutopfer in Asien lanciert. Wie ist dieser bisher angelaufen?
P.S.: Seit wir den Aufruf vor zwei Tagen erhöht haben, kommen die Spenden auf dem Internet im Minutentakt herein. Darunter sind auch grosse Beträge.
swissinfo.ch: Bisher sind bei der Glückskette rund 800’000 Franken Spenden eingegangen. Das sind deutlich weniger als im vergangenen Januar bei der Spendenaktion für die Erdbebenopfer auf Haiti oder die Tsunami-Opfer im Indischen Ozean im Jahr 2004. Was sind die Gründe für die Zurückhaltung bei den Spendern?
P.S.: Man kann die Spendensammlungen nicht miteinander vergleichen. Beim Erdbeben auf Haiti und beim Tsunami handelte es sich um Katastrophen, die sich innerhalb von kurzer Zeit ereigneten.
Die Flutkatastrophe in Pakistan hat sich hingegen über Tage hinweg entwickelt, es ist in diesem Sinn eine schleichende Katastrophe. Das hat auch Einfluss auf die Spendensammlung.
Die Spenden sind zudem äusserst abhängig von der emotionalen Bindung zum jeweiligen Land. Das hohe Glücksketten-Spendenergebnis von 227 Mio. Franken beim Tsunami hatte insbesondere damit zu tun, dass viele Spender die betroffenen Regionen aus den Ferien kannten und auch viele Schweizer vor Ort betroffen waren.
Pakistan löst nicht die gleiche Emotionalität aus. Das Land wird vielmehr mit islamischen Fundamentalismus und Terrorismus in Verbindung gebracht.
swissinfo.ch: Sind die Opfer der Flutkatastrophe in Pakistan in gewissem Sinn auch Opfer der Islam-Debatten geworden?
P.S.: Die Spendenfreudigkeit hängt wie gesagt vom Bezug ab, welche die Leute zum betroffenen Land haben.
Ich glaube aber, dass sich die Schweizerinnen und Schweizer bewusst sind, dass die Flutopfer in Pakistan für die Politik in ihrem Land nichts dafür können – und dass sie angesichts des Leidens bereit sind zu helfen.
swissinfo.ch: Die Taliban kümmern sich sehr aktiv um die Versorgung der Flutopfer. Sie haben gar von der pakistanischen Regierung verlangt, auf amerikanische Hilfsgelder zu verzichten. Wie geht die Glückskette mit der Präsenz extremistischer Organisationen und der Korruption im Land um?
P.S.: Pakistan ist bekannt für Terrorismus, Anschläge und die Taliban. Doch die Herausforderung in Sachen Sicherheit und Korruption gibt es nicht nur in Pakistan.
In Asien können wir uns auf unsere Partnerhilfswerke verlasssen. Gerade Pakistan ist ein Land, in dem unserer Partner bereits tätig waren, insbesondere nach dem Erdbeben 2005.
Diese Erfahrungen bieten auch Gewähr dafür, dass die Partnerhilfswerke die örtlichen Gegebenheiten kennen, dass sie wissen, wie das System dort funktioniert und wie sie etwa der Korruption oder den Taliban ausweichen können.
Wenn man weiss, dass sich die Partner vor Ort auskennen, ist das etwas ganz anderes, als wenn man irgendwohin Geld schickt, wo ein Hilfswerk zum ersten Mal tätig ist.
Corinne Buchser, swissinfo.ch
Der nationale Spendenaufruf findet am Mittwoch, 18. August, von 6 bis 24 Uhr statt.
Glückskette Postkonto 10-15000-6 (Vermerk «Überschwemmungen Asien»),
UNICEF Postkonto 80-7211-9 (Vermerk: Nothilfe Pakistan)
Acht Partnerhilfswerke der Glückskette sind bei der Flutkatastrophe in Asien aktiv: Terre des hommes Kinderhilfe, HEKS, Caritas Schweiz, das Schweizerische Rote Kreuz (SRK), Handicap International, die Christoffel Blindenmission (CBM), die Heilsarmee und das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH).
Die UNO hatte am Mittwoch an ihre Mitgliedsstaaten appelliert, Pakistan allein in den kommenden drei Monaten 459 Mio. Dollar zur Verfügung zu stellen. Gemäss UNO-Schätzungen sind inzwischen 14 Mio. Pakistaner von den Fluten betroffen; 6 Mio. davon brauchen Soforthilfe zum Überleben.
Die Schweiz stockt ihre Hilfe für die Flutopfer in
Pakistan um 2,5 Mio. Franken auf. Dies sei eine Reaktion auf
den Spendenappell der UNO sowie auf eine Anfrage des Internationalen
Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), sagte EDA-Sprecher Georg Farago am Donnerstag.
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