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Freisprüche für Bergführer nach Jungfrau-Drama

Der Tod der sechs an der Jungfrau verunglückten Wehrmänner löste in der Schweiz grosse Trauer aus. Keystone

Das Militärgericht 7 in Chur hat die beiden nach dem Jungfrau-Drama angeklagten Bergführer freigesprochen. Angeklagt waren sie der mehrfachen fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Nichtbefolgung von Dienstvorschriften.

Der Unfall mit sechs toten Soldaten an der Jungfrau vom 12. Juli 2007 ist gemäss Militärjustiz nicht auf Fehler der beiden Bergführer zurückzuführen. Das Miliärgericht 6 sprach die beiden am Freitag in Chur von Schuld und Strafe frei.

Dem 47-jährigen Bergführer sprach das Gericht am Freitag eine Entschädigung von 75’000 Franken zu, sein 34-jähriger Kollege erhält 90’000 Franken.

«Keine fahrlässige Tötung»

Der Entscheid, direkt zum Jungfrau-Gipfel aufzusteigen, sei zwar objektiv falsch gewesen, weil dadurch die Lawine auf dem Geländerücken ausgelöst worden sei, sagte der Gerichtsvorsitzende.

Fahrlässige Tötung hätte jedoch bedeutet, dass die Bergführer die Folgen pflichtwidrig nicht bedacht und sie die Risikogrenzen überschritten hätten.

Das war laut der Einschätzung des Gerichts nicht der Fall. Empfehlungen in Lawinen-Merkblättern seien kein «kategorischer Imperativ». Es fehle an konkreten Normen und Regeln, die einem Bergführer ein Verhalten zwingend vorschreiben würden.

«Heimtückische Schwachschicht»

Die zwei Angeklagten hätten am Vortag sowie am Unfalltag kein einziges Alarmzeichen für Lawinen wahrgenommen. Gemäss dem fünfköpfigen Gericht handelten sie nicht sorgfaltswidrig, als sie die Lawinengefahr als «mässig» beurteilten. Sie hätten von einem im Sommer üblichen raschen Abklingen der Lawinengefahr ausgehen können.

Laut dem Gerichtsvorsitzenden sind die abgestürzten Wehrmänner Opfer einer «heimtückischen Schwachschicht» im Schnee geworden. Weil der Tatbestand der fahrlässigen Tötung nicht erfüllt sei, sei auch keine Verletzung der Dienstvorschriften gegeben.

Gericht folgte Verteidigung

Das Gericht folgte mit seinem Urteil den Anträgen der Verteidigung: Diese hatte in den Plädoyers erklärt, der Anklage sei es nicht gelungen, den Sachverhalt präzise darzustellen. Es habe am Unglückstag in der Jungfrauregion keine erhebliche, sondern eine nur eine mässige Lawinengefahr geherrscht, zitierten die Verteidiger das private Entlastungsgutachten für die Angeklagten.

Sie beriefen sich zudem auf die Möglichkeit eines Mitreiss-Unfalles, wonach einer der Rekruten beim Aufsteigen einen Fehltritt gemacht und so die zwei Seilschaften in die Tiefe gerissen haben könnte.

Die Tour sei von ihren Mandanten sorgfältig geplant worden, sagten die Verteidiger weiter. Als Unfallursache komme nur die Schwachschicht der Schneedecke in Frage, von welcher im Gegengutachten die Rede sei. Dabei handle es sich um ein sehr seltenes Phänomen, das von aussen nicht gesehen werden könne.

Einer der Verteidiger forderte das Gericht auf, in dubio pro reo von einer mässigen Lawinengefahr am Unglückstag und der Möglichkeit eines Mitreiss-Unfalls auszugehen.

«Verhängnisvolle Fehler»

Die Anklage hatte für die beiden Bergführer bedingte Freiheitsstrafen von je neun Monaten gefordert. Sie sollten zudem mit je 1500 Franken gebüsst werden und einen Teil der Untersuchungskosten tragen.

Der Auditor warf den beiden Bergführern ein mittleres Verschulden an. Sie seien die Führer und Verantwortlichen der Jungfrau-Tour gewesen und als Vorgesetzte der Gebirgsrekruten und erfahrene Bergführer in einer Garantenstellung gestanden. Sie seien keine kriminellen Subjekte, hätten aber verhängnisvolle Fehler gemacht, deren Auswirkungen äusserst tragisch gewesen seien.

swissinfo.ch und Agenturen

Das Drama ereignete sich am 12. Juli 2007 um 09.50 Uhr unterhalb des Jungfraugipfels (4158 m) im Berner Oberland.

Insgesamt waren vier Seilschaften mit je drei Rekruten sowie zwei nicht angeseilte Bergführer im Aufstieg. Sie waren von der Mönchsjochshütte via Rottalsattel in den steilen Gipfelhang gestiegen, in dem für die Jahreszeit aussergewöhnlich viel Neuschnee lag.

Fünf Rekruten und ein Wachtmeister im Alter von 20 bis 23 Jahren stürzten 1000 Meter in die Tiefe und starben.

Die anderen Rekruten und die Bergführer stürzten auch ab, wurden aber im Rottalsattel unverletzt aufgegangen.

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