Für Familienplanung gibt es kein Patentrezept
Eine Volksinitiative will die "Überbevölkerung" der Schweiz und der Welt verhindern. Sie verlangt, dass 10% des Budgets der Entwicklungs-Zusammenarbeit für die Förderung der freiwilligen Familienplanung in armen Ländern verwendet werden.
Das weltweit ungebrochene Bevölkerungswachstum, der drohende Klimawandel und die Verknappung der natürlichen Ressourcen führen zu Diskussionen darüber, wie weit das Wachstum noch gehen kann. Laut neusten Schätzungen werden im Jahr 2050 9 Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Heute sind es 7 Milliarden.
«Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» heisst eine Volksinitiative, die von einem ökologisch orientierten Initiativkomitee kürzlich bei der Bundeskanzlei eingereicht wurde.
Die Initiative der Organisation Ecopop will mit Geburtenkontrolle und einer begrenzten Zuwanderung das ökologische Gleichgewicht wieder herstellen. Das Volksbegehren hat zwei Stossrichtungen: Einerseits soll der Bund verpflichtet werden, 10% der Mittel der Entwicklungs-Zusammenarbeit für die freiwillige Familienplanung in Entwicklungsländern einzusetzen. Andererseits soll die Zuwanderung in die Schweiz auf jährlich 0,2% der Bevölkerung beschränkt werden.
Orangen und Äpfel
Alliance Süd, der Zusammenschluss der schweizerischen Entwicklungshilfe-Organisationen, kritisiert die Stossrichtung der Initiative. «Die Ecopop-Initiative reduziert die globalen Umweltprobleme auf das Bevölkerungswachstum nach dem Motto: je mehr Menschen, desto stärker die Belastung der endlichen Ressourcen. Dabei unterschlägt sie die riesigen Unterschiede im Ressourcenverbrauch: Der ökologische Fussabdruck der Schweizer beispielsweise ist um ein Mehrfaches grösser als jener der Afrikaner», schreibt Alliance Süd.
«Würde man die Forderung der Ecopop-Initiative zu Ende denken, müsste man die radikale Reduktion der Bevölkerungen in den reichen Ländern und der vermögenden Eliten in den armen Ländern anstreben. Denn nicht die Zahl der Menschen ist für die Umweltbelastung entscheidend, sondern ihr Ressourcenverbrauch», so die Nichtregierungs-Organisation weiter.
Jean-Louis Arcand, Professor für Volkswirtschaft am Hochschulinstitut für Internationale Studien und Entwicklung (IHEID), ergänzt: «Diese Initiative vermischt Orangen mit Äpfeln. Sie steckt die Probleme der reichen Länder in dieselbe Tüte wie die Probleme der armen Länder. In der Schweiz stellt die Finanzierung der Altersrenten ein grosses Problem dar. Wer soll sie finanzieren, wenn nicht die Immigranten?»
Eidgenössische Abstimmungen: alles Wichtige während der Abstimmungsphase für Sie auf den Punkt gebracht. Abonnieren Sie unseren Newsletter.
Die Frage des Ungleichgewichts in der Alterspyramide macht Alec Gagneux, einem Mitglied des Initiativkomitees, keine grossen Sorgen. «Ich habe keine Angst vor einer Überalterung der Schweiz. Die Schweiz ist reich genug, um das Problem zu lösen.»
Mehr als 220 Millionen Frauen in Entwicklungsländern können nicht verhüten, weil sie wegen Armut, sozialen Drucks und anhaltender Diskriminierung keine Möglichkeit der Familienplanung haben. Das geht aus einem Bericht der Vereinten Nationen hervor.
Die Organisation fordert mehr Hilfen für eine selbstbestimmte Familienplanung. Damit erhöhten sich auch die Entwicklungschancen armer Länder.
Dem Direktor des UNO-Bevölkerungsfonds Babatunde Osotimehin zufolge ist Verhütung ein Grundrecht. Jeder sollte dazu die Möglichkeit haben, insbesondere Frauen und Mädchen. Es müsste auch mehr getan werden, um ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen zu erreichen.
In den Entwicklungsländern werden jedes Jahr 80 Millionen Frauen ungewollt schwanger. Es sei möglich, die Zahl um zwei Drittel zu senken, wenn jede Frau, die das wünsche, verhüten könnte.
Kein Zugang zu Verhütungsmitteln
Die Förderung der Familienplanung wie sie die Initiative verlangt, stösst nicht auf scharfe Kritik, obschon sich gewisse religiöse oder politische Kreise traditionellerweise dem Anliegen widersetzen.
In seinem Jahresbericht 2012 erinnert der Bevölkerungsfonds der UNO an die Relevanz solcher Programme. «In Entwicklungsländern sollten 867 Millionen Frauen Zugang zu modernen Verhütungsmitteln haben, doch nur für 645 Millionen trifft das zu», schreibt der Direktor des Fonds, Babatunde Osotimehin.
«Die Familienplanung nimmt in den Bestrebungen um die Gesundheit der Mütter und der Kinder, aber auch um die Chancengleichheit, die Entwicklungsmöglichkeiten junger Leute und um die Armutsbekämpfung einen zentralen Platz ein. Familienplanung muss also in allen Programmen zur Förderung der Entwicklung mit einbezogen werden», schreibt Osotimehin weiter.
Familienplanung, ja aber
«Im Prinzip ist die Forderung nach 10% der Entwicklungshilfe für Familienplanungsprogramme korrekt», sagt die grüne Nationalrätin Yvonne Gilli. «Doch die Förderung solcher Programm gehört bereits zum Programm der Entwicklungs-Zusammenarbeit. Sie muss im Zusammengang mit andern Programmen gesehen werden. Deshalb ist die Festlegung eines absoluten Prozentsatzes wenig sinnvoll.»
Auch Jean-Luc Arcand denkt ähnlich: «Das beste Mittel, um die Geburtenrate zu reduzieren ist die Erziehung der Mädchen. Einer Analphabetin Verhütungsmittel zu geben, macht relativ wenig Sinn.»
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch