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Fukushima bereitet der Schweiz kaum Probleme

Fukushima Daiichi, am 24. März von einer Drohne aus fotografiert. Keystone

Die Atomkatastrophe von Fukushima wird schwerwiegende Folgen haben, vor allem für Japan. Für den Rest der Welt sei die Gefahr aber nicht vergleichbar mit jener von Tschernobyl, sagen Experten. In der Schweiz wie im übrigen Europa wurde der Alarm aufgehoben.

«Beim Unfall in der Kernanlage Fukushima Daiichi handelt es sich um einen sehr schwerwiegenden Zwischenfall. Er wurde von der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA auf Stufe 7 eingeordnet, der höchsten Gefahrenstufe überhaupt», sagt Nicolas Gruber, Umweltphysiker am Institut für Biogeochemie und Schadstoffdynamik an der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich.

Laut dem Umwelt-Wissenschafter bleiben die Folgen der Katastrophe bezüglich Strahlenverseuchung jedenfalls «lokal bis regional», also begrenzt auf einen Radius von 100 bis 200 Kilometern rund um das beschädigte Atomkraftwerk.

Auch wenn der Wind kürzlich beträchtliche Mengen an potenziell tödlichen Partikeln bis in die Täler ausserhalb der 30-Kilometer-Zone getragen hat, scheint es dennoch, dass der grösste Teil der durch Explosionen, Brände und Überflutungen freigesetzten Radioaktivität in den Ozean gelangte.

Von den Algen zu den grossen Fischen

«Die ersten Messungen der Japaner im Meer nahe der Atomanlage erfolgten vor ein paar Tagen», sagt Nicolas Gruber. «Dabei lagen die Werte von Cäsium 137 rund 300 Mal höher als erlaubt und 1000-fach über dem Wert, der vor dem Unfall gemessen wurde.» Eine Kontamination, die der Experte als «ernst» bezeichnet und im Bereich dessen liegt, was zu erwarten war».

Das Problem ist, dass sich diese Partikel nicht rasch im Ozean verteilen. Einige bleiben an den Algen hängen und landen, wenn diese absterben, auf dem Meeresgrund. Sie können dann von Würmern und Muscheln absorbiert und später von kleinen Fischen vertilgt werden, die im weiteren wiederum von grösseren und grossen Fischen gefressen werden…..von denen dann gewisse in den Netzen der Fischer enden.

Dieser Prozess braucht seine Zeit. So muss etwa ein Thunfisch viele Fische zu sich nehmen, die radioaktive Elemente enthalten, damit er für den Menschen gefährlich wird. Im Wissen, dass sich die Halbwertszeit von Cäsium 137 auf 30 Jahre beläuft, wird die Gefahrenzone lange Zeit verseucht sein, vielleicht mehr als hundert Jahre lang.

Nicolas Gruber würde jedenfalls, wenn er für diesen Sektor zuständig wäre, die Fischerei umgehend verbieten und detaillierte Untersuchungen über die Schadstoffverbreitung durchführen, bevor langfristige Massnahmen eingeleitet würden.  

Eine Säuberung des Meeresbodens, wie man das zum Beispiel nach Chemieunfällen macht, ist in diesem  Fall bei weitem kein Allheilmittel. Beim «Abschaben» des Meeresgrundes werden zahlreiche Teilchen freigesetzt, was die Lage eher noch verschlechtern könnte.

Nach Meinung des Zürcher Professors wäre es besser, die radioaktiven Elemente dort zu lassen, wo sie sind, die Zone abzustecken und abzuwarten, bis neue Sedimente sie mit der Zeit zudecken. Zudem müsse die Zone für den Fischfang gespert werden.

Ein Tropfen im Meer, ein Hauch im Wind

Angesichts der immensen Masse des Pazifischen Ozeans spielen die radioaktiven Partikel im Wasser wegen ihrer Verdünnung, auch wenn sie von der Strömung an die Küsten Kaliforniens getrieben werden, eine belanglose Rolle. «Sorgen muss man sich um die Küsten in Zentraljapan», erklärt Nicolas Gruber. «Nicht einmal in China ist die geringste Veränderung der Radioaktivitätswerte feststellbar.»

Ein Tropfen im Meer, mit anderen Worten. Und wie steht’s mit der Luft? Wie damals nach Tschernobyl wehte auch die Wolke von Fukushima über die Erde und hat hier und dort Jod 131, Cäsium 137, Strontium 90 und andere radioaktive Elemente verstreut. Aber auch hier ist die Auflösung riesig.

Die Schweiz verfügt über ein System zur Überwachung der Radioaktivität in der Luft, das als sehr leistungsstark gilt. Mit einem Filternetzwerk am Boden und Filtern, die unter Flugzeugen platziert werden, können Spuren radioaktiver Elemente gemessen werden, deren Wert viel kleiner als ein Millionstel des erlaubten Grenzwertes ist.

Laut dem stellvertretenden Leiter der Sektion Umweltradioaktivität im Bundesamt für Gesundheit (BAG), Philipp Steinmann, sind die «leicht erhöhten» Konzentrationen radioaktiver Elemente (vor allem von Jod 131), die zu Beginn der Krise gemessen wurden, seit Anfang Mai völlig verschwunden. Und die höchsten dieser Konzentrationen «waren im Durchschnitt 1000 bis 10’000 Mal geringer als nach Tschernobyl».

Ende April hat das BAG seine Hotline für die Bevölkerung, die rund 800 Anrufe entgegengenommen hatte, abgesetzt. Die speziellen Internetseiten zum Atomunfall in Japan wurden im ersten Monat nach dem Zwischenfall 70’000 Mal abgerufen. Seither läuft der Internet-Verkehr wieder normal.

Für das BAG ist das Kapitel Fukushima also praktisch abgeschlossen. In einigen Tagen wird ein letztes Communiqué zum dortigen Unglück erscheinen. Weitergehen werden die Messungen sowie die Auswertung von Daten, um besser verstehen zu können, wie Teilchen in der Umwelt befördert werden.

Kein radioaktives Sushi

Es bleibt die Frage einer möglichen Verunreinigung von Lebensmitteln, die auf unseren Tellern landen. Aber auch hier scheinen die Risiken gering, denn Japan, das rund 60% seiner Lebensmittel im Ausland kauft, ist kein grosser Nahrungsmittel-Exporteur. Dazu kommt, dass die Inselgruppe sich selbst strikte Regeln auferlegt hat, sowohl für den Konsum wie auch für den Export.

«Auch in normalen Zeiten gelangen sehr wenige japanische Produkte zu uns, und jetzt sind es noch weniger», bestätigt Philipp Steinmann. Wie die Europäische Union entnimmt und analysiert auch die Schweiz Proben von Produkten, die aus Japan kommen. Seit dem Atomunfall in Fukushima haben die Zollbehörden zudem zwei Ladungen Teigwaren und je eine mit getrockneten Algen, Vollkornreis, Süsskartoffeln sowie Gewürzen kontrolliert. Sie waren allesamt in Ordnung.

Und auch die Sushi-Liebhaber können unbesorgt sein, denn die Zutaten dieser japanischen Spezialität, die in der Schweiz in den Verkauf gelangt, stammen praktisch nie aus Japan.

Materie besteht aus Atomen, bei denen Elektronen um einen Kern herumkreisen. Der Kern besteht aus Protonen (in gleicher Anzahl wie Elektronen) und Neutronen.

Die Elemente unterscheiden sich durch die Anzahl Protonen und Elektronen.

In der Natur kommen 92 stabile Elemente vor (oder Atom-Arten), vom Wasserstoff (je 1 Proton und Elektron) bis zum Uran (je 92).

Isotope sind verschiedene Atome des gleichen Elements, die sich durch die Anzahl Neutronen im Kern unterscheiden. Man benennt sie mit dem Namen des Elements, gefolgt von einer Zahl (Anzahl Protonen und Neutronen): Kohlenstoff 14, Kalium 40, Uran 235 usw. Ein gleiches Element kann radioaktive und stabile Isotope haben.

Radioaktivität ist eine mehr oder weniger gesundheitsschädliche Strahlung, die von instabilen Atomen ausgeht, die zerfallen, um wieder stabiler zu werden.

Das Phänomen kommt in der Natur vor. Aber auch der Menschen produziert Radioaktivität, für Atombomben oder für die Nutzung von Energie.

Die Halbwertszeit eines radioaktiven Elements ist die Zeit, die es braucht, bis es die Hälfte seiner Radioaktivität eingebüsst hat. Doch auch am Ende der zweiten Halbwertszeit hat es nicht die ganze Radioaktivität verloren. Die Strahlung wird nie ganz aufhören.

Unter den bekanntesten Elementen hat Jod 131 eine Halbwertszeit von 8 Tagen, Cäsium 137 und Strontium 90 von 30 Jahren, Kohlestoff 14 von 5700 Jahren, Plutonium 239 von 24’000 Jahren und Uran 238 von 4,5 Mrd. Jahren (dem Alter der Erde).

(Übertragung aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein)

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