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Gauguin, die Stars, die Show und die Masse

Keanu Reeves zum Trotz: Die grössten Stars der Gauguin-Ausstellung in der Fondation Beyeler sind immer noch die Bilder, hier "Cavaliers sur la plage" ("Reiter am Strand"). Keystone

Die Ausstellung "Paul Gauguin" lockt das Publikum in Massen nach Basel in die Fondation Beyeler. Geht dies auf Kosten der Qualität? Nein, sagt der Kunstsoziologe Olivier Moeschler. Im Gegenteil: Dank dem Einsatz neuer Technologien könnten neue Besucherschichten zur Kunst geführt werden. 

Es ist eine Veranstaltung der Superlative: Mit «Paul Gauguin», bis am 28. Juni geöffnet, strebt die Fondation BeyelerExterner Link nichts weniger als «die schönste Ausstellung» aller Zeiten über den Künstler an, dessen Radikalismus auch heute noch fasziniert.

Viele Werke sind erstmals seit langem wieder einem Publikum zugänglich. Dazu hat das Privatmuseum mehrere Innovationen umgesetzt. Dazu gehören Vorträge, Lesungen und Konzerte von Stars aus Film und Showbiz, etwa der Schauspieler Keanu Reeves und der Sänger Marc Almond, oder interaktive Multimedia-Präsentationen im Internet.

Lenkt aber dieses Star-Aufgebot nicht allzu sehr vom eigentlichen Inhalt ab – der Kunst des Franzosen Gauguin (1848–1903)? Diese und andere Fragen gehen an den Kultursoziologen Olivier MoeschlerExterner Link von der Universität Lausanne.

swissinfo.ch: Ist der Erfolg der Ausstellung nicht in erster Linie dem Marketing zu verdanken?

Olivier Moeschler: Die Kommunikations-Strategie zeigt lediglich, dass eine grosse Ausstellung wie ein Hollywood-Blockbuster vermarktet werden muss, um das Interesse eines grossen Publikums zu wecken.

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swissinfo.ch: Ist diese kommerzielle Logik heute fester Bestandteil der Kunstwelt?

O.M.: Im Prinzip ist da nichts Falsches dran. Die Wirtschaft hat schon seit langem begriffen, dass es weniger um die Befriedigung von Bedürfnissen geht als vielmehr darum, solche zu wecken. Wünsche und Bedürfnisse müssen kreiert werden, um eine Nachfrage zu schaffen. 

Das Beispiel zeigt, dass kulturelle Institutionen, so sie die nötigen Mittel dazu haben, die Regeln der medialen Inszenierung meisterhaft beherrschen, um das grosse Publikum anzusprechen.

Der Erfolg dient zur Amortisierung der Investitionen. Keanu Reeves mit seinem sehr ernsthaften Vortrag und der Schweizer Musiker Bastien Baker wurden in die Logik der Ausstellung und des Museums integriert und nicht umgekehrt.

Damit kann ein grösserer Publikumskreis von den Kunstwerken profitieren. Man kann diese Strategie auch als einen Segen begreifen, als ein Instrument zur Demokratisierung der Kultur, indem ein breiterer Zugang zu wertvollen Werken geschaffen wird.

swissinfo.ch: Brauchen Kunstausstellungen heute auch den Einsatz von subtilen Technologien, damit das Publikum in Scharen kommt?

O.M.: Es gibt heute zahlreiche Überschneidungen und Verbindungen traditioneller, realer Werke und digitaler Räume. Die Grenzen zwischen Institutionen und dem Internet, Künstlern und Publikum und Profis und Amateuren verschwimmen.

Am Ende der Ausstellung wird ein digitales Buch publiziert. Dies ist eine Einladung an das Publikum zu partizipativer Kreativität, in Anlehnung an die Position aus den 1960er- und 1970er-Jahren «Jeder ist ein Künstler».

swissinfo.ch: Was ist mit jenen Besuchern, die nicht von diesem kreativen Aspekt angesprochen sind – was nehmen sie mit?

O.M.: Man darf nicht unterschätzen, dass die neuen Geräte und Technologien wesentliche Beiträge leisten betreffend Informationen über die Werke und für das Verständnis derselben. Idealerweise komplettieren sie den klassischen Rundgang durch die Ausstellung.

Gerade in der Zeit der digitalen und unendlichen Reproduzierbarkeit hat die Aura des Originalkunstwerks mehr denn je ihre Daseinsberechtigung.

Die neuen Instrumente sind fakultativ und richten sich an unterschiedliche Gruppen: was für die einen unverzichtbar wird, ist für die anderen nicht notwendig. Jeder kann immer noch seine eigene Beziehung zur Ausstellung herstellen, obwohl die Informationen und Hilfen heute viel besser sind als früher.

Museumsbesuche bieten heute eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die exakt auf unterschiedliche Zielgruppen zugeschnitten werden können.

swissinfo.ch: Die Kosten einer Ausstellung sind aufgrund von Versicherung, Transport und Konservierung massiv gestiegen. Erklärt das die heutige Notwendigkeit, dass Ausstellungen rentabel sein müssen?

O.M.: Rein von der Wirtschaftlichkeit her gibt es wahrscheinlich die Notwendigkeit, ein grosses Publikum anzuziehen, um die Kosten hereinzuspielen. Aber gerade im Kulturbereich darf die Grundmotivation nie auf materielle Interessen reduziert werden.

Es bestehen stets unterschiedliche Interessen und Logiken: Jene der Notwendigkeit, den finanziellen Break-Even zu schaffen und die Namen der Mäzene und Sponsoren hervorzuheben, sowie jene der kulturellen Demokratisierung, mit der Herausforderung, ein grosses Publikum anzusprechen, verbunden mit der Lust, unseren Blick auf die Kunst und somit die Welt zu verändern.

«Paul Gauguin» – die Ausstellung

Das Museum Fondation Beyeler in Basel, gebaut von Stararchitekt Renzo Piano, ist das meistbesuchte Museum der Schweiz.

Die Ausstellung, die noch bis am 28. Juni 2015 dauert, ist auf dem Weg zu einem neuen Besucherrekord.

Es ist auch die teuerste Ausstellung des Hauses.

Zu sehen sind 43 Gemälde und 8 Skulpturen. Die Verhandlungen für die Leihgaben, die teils aus Privatbesitz stammen, dauerten sechs Jahre. Die Fondation Beyeler musste ihrerseits die Verleihung von Schlüsselwerken aus ihrem Bestand zusichern.

Für Aufsehen sorgte schon vor Eröffnung der Ausstellung der Verkauf des Bildes «Nafea faa ipoipo» («Wann heiratest du?»), das in einer Auktion für den Rekordbetrag von 300 Mio. Dollar den Besitzer wechselte.

Laut Direktor Sam Keller sollen alle Besucher etwas mitnehmen können, ohne dass der Genuss des Sehens gestört werde. Es gibt Audioguides für Erwachsene sowie für Kinder.

Teil der Ausstellung waren auch Auftritte von Stars wie Keanu Reeves oder Marc Almond. Dieser sang Lieder von Jacques Brel, einem grossen Bewunderer von Gauguin. 

swissinfo.ch: Vernebelt das Spektakel nicht die Wahrnehmung des Kunstwerks als solches? Man spricht fast mehr vom Buch als von den Bildern Gauguins…

O.M.: Alles hängt von der Gestaltung der Ausstellung ab, vom Rundgang, vom Platz für die Besucher, den die Kuratoren vorgesehen haben. In diesem Fall handelt es sich um einen modernen Ansatz, mit dem das Interesse der Medien und wahrscheinlich auch eines jüngeren Publikums geweckt werden soll. Darin liegt eine der Hauptherausforderungen der Museen heute: In der Verjüngung des Publikums. Man muss es also erneuern, um zu überleben. Wenn die Form der Ausstellung dem Inhalt angemessen ist und die Erfahrung Publikum wie Organisatoren etwas bringt, ist die Sache gelungen.

Lange sagte die Theorie, dass die Liebe zur Kunst mit dem Alter kommt. Aber heutige Forschungen zeigen, dass eine Generation, die mit einer bestimmten Musik gross geworden ist, diese das ganze Leben hören wird, statt «zur Klassik zu wechseln».

Es ist also entscheidend, neue Interessensgruppen für diese Art von Kunst-Ereignissen zu gewinnen, indem man am kulturaffinen Publikum von morgen baut. Die digitale Welt kann ein Element dieses Projekts sein, indem sie den Museumsbesuch erweitert. Sie definiert die Wahrnehmung und das Verstehen von Kunstwerken neu. Digitale Elemente können aber nie das Vergnügen ersetzen, die Kunstwerke mit eigenen Augen zu sehen.

swissinfo.ch: Ist die Rückkehr zu bescheideneren Ausstellungen angesagt?

O.M.: Das Feld der Kultur ist riesig und breit diversifiziert, es wird also immer «grosse Kisten» à la Hollywood geben wie diese Ausstellung mit grossem Budget und grossem Publikum. Ebenso kleinere Veranstaltungen mit bescheidenerem Budget. Man darf aber die Grösse einer Kulturveranstaltung nicht verwechseln mit ihrer Bedeutung – was durchaus in beide Richtungen gehen kann: Eine Ausstellung wird nicht durch ihre Grösse interessant, und umgekehrt macht sie Grösse auch nicht uninteressant, weit gefehlt! Die Sache ist auch in der Kultur komplizierter und unerwartet. Es ist auch Aufgabe der Kunst, uns gerade dies in Erinnerung zu rufen.

(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)

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