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Gefängnisinsassen bereiten sich auf Arbeitswelt vor

Ivan gefällt der Malkurs im Gefängnis. swissinfo.ch

Arbeit hilft den Häftlingen in der Zentralschweizer Strafanstalt Wauwilermoos, die Zeit zu überbrücken, während der sie ihre Strafen absitzen. Arbeit ist für alle Insassen Pflicht, einige sehen darin auch eine Chance, sich selber zu verbessern und weiterzubilden.

Das Gebäude im Luzerner Hinterland sieht eigentlich aus wie ein typisches Schulhaus oder Wohnhaus dieser Gegend. Nur das Tor und ein Stacheldrahtzaun weisen darauf hin, dass es sich um ein Gefängnis handelt.

Wauwilermoos ist eine «offene» Strafanstalt. Das heisst, dass sich die Häftlinge auf dem 150 Hektaren grossen Grundstück, das von keiner Mauer umgeben ist, tagsüber frei bewegen können.

Diese kantonale Vollzugsanstalt ist das vorübergehende Zuhause für 61 Männer, die zwischen 19 und 70 Jahre alt sind. Sie verbüssen Strafen von zwei Monaten bis vier Jahren.

«Es stehen 20 verschiedene Jobs zur Auswahl. Viele der Insassen arbeiten gut bis sehr gut, andere wiederum haben gewisse Schwierigkeiten», sagt Vizedirektor Hans Troxler. Ob es sich um Arbeit in der Küche, im Bau oder im biologischen Landwirtschaftsbetrieb handelt: alle Männer müssen morgens um 7.30 Uhr antreten – einen Weckdienst gibt es nicht.

«Wir versuchen, möglichst nahe an der Realität zu bleiben und übertragen die Verantwortung den Insassen», erklärt Troxler. Arbeit ist ein Instrument der Wiedereingliederung in die Gesellschaft und hilft ihnen dabei, ihre Fähigkeiten aufrechtzuerhalten oder zu verbessern. Etwa die Hälfte der Häftlinge waren vor ihrer Ankunft in Wauwilermoos arbeitslos. Ein Drittel ist zum ersten Mal im Gefängnis.

Von den 61 Insassen ist 2012 einer ausgebrochen, es wurden 1200 Urlaube bewilligt, nur drei Mal kehrte ein Häftling nicht rechtzeitig zurück. «Wir haben nur wenige, die flüchten wollen», sagt Troxler und vergleicht seine Institution mit geschlossenen Anstalten, in denen so genannte «Kriminaltouristen» untergebracht sind, die nicht in der Schweiz leben und so schnell wie möglich wieder «abhauen» wollten.

Sittlichkeit: 20%

Betäubungsmittel: 18%

Vermögen: 18%

Raub: 13%

Tötung: 13%

Leib und Leben: 11%

Ausländergesetz: 5%

Strassenverkehr: 2%

Quelle: Wauwilermoos (2011)

Beschäftigung

swissinfo.ch fand beim Besuch in Wauwilermoos ein angenehmes und entspanntes Klima vor. Die Insassen waren mit unterschiedlichen Aufgaben drinnen und draussen beschäftigt, einige arbeiteten ziemlich selbständig.

Der 42-jährige Joseph, der wegen Drogendelikten sitzt, arbeitete früher auf dem Bau. Er ist damit beschäftigt, Obst und Gemüse zuzubereiten, die den Grossverteilern Coop und Migros verkauft werden. Er zählt all die Produkte auf, die zur Zeit geerntet werden.

«Im Sommer ist es interessanter, da ist das Angebot grösser», sagt er und legt eine Ladung frisch gepflückten Wintersalat in die Waagschale. Allerdings sei es dann auch ziemlich hektisch.

Im Bio-Laden der Haftanstalt werden die eigenen Produkte verkauft, das Angebot reicht von Gemüse über Früchte und Milchprodukte bis hin zu Fleischwaren. Zwei Männer führen den Laden gemeinsam: der eine ist ein normaler Angestellter, der andere ein Gefängnisinsasse, der einmal die Woche in Aarau einen Abendkurs besucht.

Alois Dubach, der Leiter der Gärtnerei, arbeitet seit 30 Jahren im Gefängnis. Seine Arbeit trage Früchte, meint er. Er anerkennt, dass sich die Insassen von normalen Angestellten unterscheiden. «Es ist schön, zu sehen, dass jemand, der nie zuvor gearbeitet hat, nach der Zeit hier erwerbsfähig wird», sagt Dubach.

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Männer hinter Mauern

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Bevor Fahrer für seinen Film «Thorberg» die Kamera einsetzte, führte er im Gefängnis viele und lange Gespräche mit den Häftlingen. Er machte auch Aufnahmen der Männer aus aller Welt, die wegen der Verbrechen, die sie begangen haben, zum Teil Jahre hinter Gittern verbringen.

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Zusätzliche Schulung

Auch Unterricht gehört zum Resozialisierungs-Programm. In Gruppen von vier bis sechs Teilnehmern können die Männer während einem halben Tag pro Woche die Schulbank drücken. Dort lernen sie allgemeine Fächer wie Deutsch, Mathematik und den Umgang mit Computern.

«Viele von ihnen sind nicht in der Schweiz zur Schule gegangen. Insbesondere die Jungen unter ihnen sind motiviert, denn sie wissen, dass sie etwas verpasst haben», sagt Lehrer Adolf Amrein. Tests oder Noten gibt es nicht, jedoch Hausaufgaben. Die Schüler erhalten eine Teilnahmebestätigung, die sie allfälligen künftigen Arbeitgebern vorweisen können. Darin wird nicht erwähnt, dass sie diese Lektionen im Gefängnis absolviert haben.

Drei der Häftlinge machen zur Zeit eine Lehre. Einer fährt für einen Tag pro Woche nach Luzern an die Berufsschule. Dort wissen nur der Lehrer und der Schulleiter, dass er ein Gefängnisinsasse ist.

Ein anderer erhielt, nachdem er zusätzlich einen einwöchigen Kurs für Schweisser besucht hatte, ein eidgenössisch anerkanntes Diplom. «Es ist weder schwierig noch gefährlich, braucht aber Routine», sagt der 25-jährige Antonio in Bezug auf sein erlerntes Handwerk.

Er war wegen Raub und Körperverletzung zu einer 21-monatigen Haftstrafe verurteilt worden. Wenn alles klappt, kann er die letzten sieben Monate in einer betreuten Unterkunft für Männer verbringen und einer regulären Arbeit nachgehen. Danach wird er mit seiner Frau zusammenziehen, die er auf dem Gefängnisareal geheiratet hat.

Der aus Serbien stammende Ivan war an einem Drogenhändlerring beteiligt. Als er wegen seiner Delikte aufgegriffen wurde, war er mit einer Schweizerin verheiratet, mit der er eine Telemarketing-Firma führte. Zur Zeit lässt sich der 32-Jährige zum Hilfskoch ausbilden.

«Ab und zu bin ich etwas demotiviert, aber es ist meine einzige Chance, jetzt etwas zu lernen», sagt Ivan und gibt zu, dass es nicht sein Traumberuf ist. Er sei aber sehr dankbar, diese Chance zu erhalten.

«Wir alle haben viele Möglichkeiten, wenn wir hier etwas tun wollen», erklärt Ivan, der im August 2014 zu seiner Frau und seiner Tochter zurückkehren kann.

Die Arbeit stellt einen Grundpfeiler des Strafvollzugs in der Schweiz dar. Das Strafgesetzbuch (StGB) schreibt vor, dass der Gefangene zur Arbeit verpflichtet ist.

Alle Anstalten für den Vollzug längerer Strafen verfügen  in der Regel über Werkstätten, in denen auch Berufs- oder Attestlehren absolviert werden können.

Gemäss StGB ist dem Gefangenen nach Möglichkeit Gelegenheit zu einer seinen Fähigkeiten entsprechenden Ausbildung und Fortbildung zu geben.

Fordern und Fördern

Gemäss Troxler müssen die Männer motiviert sein, wenn sie profitieren wollen. «Wir sind hier, um ihnen zu helfen und sie zu unterstützen. Aber sie müssen einen massgeblichen persönlichen Beitrag leisten. Es ist ein Geben und Nehmen.»

Ausbildung und Lehrgänge werden teils von den Insassen selber, teils von ihren Familien und auch von karitativen Stiftungen finanziert.

Während Unterricht und Ausbildung freiwillig sind, ist die Teilnahme an Schulungen, wo die Häftlinge lernen, wie sie Probleme vermeiden können, obligatorisch. Dabei geht es darum, Hochrisiko-Situationen zu erkennen und zu lernen, wie sie sich in solchen verhalten sollen.

Über die Rückfallquote unter den Gefängnisinsassen liegen keine Statistiken vor. Es ist jedoch möglich, ihre Einstellung und Stellung im Erwerbsleben bei der Entlassung festzustellen. Bei ihrem Austritt füllen sie einen Fragebogen aus, auf dem sie ihre Erfahrungen in Wauwilermoos bewerten. Die Rückmeldungen sind nach Aussage von Troxler in der Regel ziemlich gut.

Das Gefängnispersonal hilft den Insassen auch bei der Arbeitssuche, obwohl dies nicht immer einfach ist. «Wir finden fast für alle einen Job», sagt Troxler

(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

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