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Gemischte Gefühle gegenüber neuem Cannabis-Gesetz

Bis zu 500'000 Personen in der Schweiz konsumieren gelegentlich Cannabis. Keystone

Seit dem 1. Oktober 2013 werden Erwachsene, die mit weniger als 10 Gramm Cannabis erwischt werden, in der Schweiz nur noch mit einer Busse bestraft. Die Reaktionen auf die Gesetzesrevision, mit der sich die Schweiz anderen Industriestaaten anpasst, fallen unterschiedlich aus.

Aus einem versteckten Hinterhof im Quartier Les Grottes in der Nähe des Genfer Bahnhofs steigen dicke, süsslich riechende Rauchschwaden in die Höhe.

«Ja, sicher, diese Gesetzesänderung ist eine gute Sache», sagt Dani*, ein junger Cannabis-Raucher. «Ich bin schon von der Polizei erwischt worden. Ich hatte 5 Gramm dabei, die dachten, ich sei ein Dealer. Ich weiss von vielen Leuten, die ähnliche Probleme hatten.»

Anbau, Konsum und Handel mit Cannabis bleiben in der Schweiz verboten. Doch seit Anfang Monat wird der Besitz von bis zu 10 Gramm Cannabis – ähnlich wie einfache Verkehrsdelikte – nur noch mit einer Busse von 100 Franken bestraft. Die neue Bussenregelung gilt nur für Erwachsene.

Befürworter der Revision, die vor einem Jahr vom Parlament verabschiedet wurde, argumentieren, die Liberalisierung der Gesetzgebung mit der Verlagerung von einer Straftat zu einem Vergehen sei ein kleiner, aber realistischer Schritt mit Blick auf den Cannabiskonsum.

Die Gesetzesrevision bringt die Schweiz in Einklang mit anderen europäischen Ländern, die den Konsum von Cannabis in kleinen Mengen tolerieren (siehe Karte).

In der Schweiz mit ihrer Bevölkerung von rund 8 Millionen rauchen schätzungsweise bis zu 500’000 Personen gelegentlich einen Joint. Offiziellen Angaben zufolge war in den letzten zehn Jahren ein sinkender Trend zu beobachten.

Dani ist jedoch nicht ganz glücklich. «Ganz ehrlich gesagt denke ich, man hätte Cannabis legalisieren und der staatlichen Kontrolle unterstellen sollen. Dann gäbe es wenigstens viel weniger Kriminalität.»

Etwa 180 Millionen Menschen konsumieren nach Angaben des jüngsten Drogenberichts der UNO (Juni 2013) Cannabis als Droge.

In der Schweiz erklärten 28% der Wohnbevölkerung im Alter von 15 Jahren und darüber, sie hätten einmal im Leben Cannabis konsumiert (EU-Durchschnittswert: 24%).

Etwa 5,1% der Befragten im Alter von 15 und darüber hatten Cannabis in den letzten 12 Monaten einmal konsumiert.

Am höchsten lag der Prozentsatz bei den 15- bis 24-Jährigen: 17% erklärten, Cannabis in den letzten 12 Monaten einmal versucht zu haben.

Gemäss einem Bericht des UNO-Kinderhilfswerks Unicef, der im April 2013 veröffentlicht wurde, hatten in der Schweiz 24% der befragten 15-Jährigen erklärt, sie hätten in den letzten 12 Monaten (Zeitraum 2009-2010) Cannabis konsumiert. Das war nach Kanada der höchste Prozentsatz, aber deutlich weniger als die 38% im Zeitraum 2001-2002.

Verharmlosung von Drogen

Auf der Gegenseite wird darauf verwiesen, die Entkriminalisierung von Cannabis verstosse gegen den Willen der Bevölkerung. Vor fünf Jahren war eine Initiative an der Urne gescheitert, die Besitz, Konsum, Erwerb und Anbau von Cannabis zum Eigenbedarf legalisieren und Handel und Anbau für Dritte einer Kontrolle des Bundes hatte unterstellen wollen. Noch vier Jahre früher hatte das Parlament es abgelehnt, die Frage der Entkriminalisierung zu debattieren.

Jean-Philippe*, ein 45 Jahre alter französischer Statistiker, sagt während seiner Mittagspause im Genfer Cropettes-Park, das neue Gesetz sei ein Schritt in die falsche Richtung: «Zehn Gramm sind viel und 100 Franken überhaupt nicht abschreckend. Es wird nur zu mehr Konsum führen und das Thema verniedlichen.»

Auch in Zürich gehen die Meinungen auseinander. «Es macht es zu einfach, Drogen zu besitzen, ohne bestraft zu werden. Und ich denke, Marihuana kann ein Schritt zu einer Drogenkonsumenten-Karriere sein», erklärt etwa der 40 Jahre alte Michael am Bahnhof.

Gesundheits- und Drogenfachleute glauben nicht, dass die Gesetzesrevision den landesweiten Konsum von Cannabis ankurbeln wird. Im Gegenteil, sagen sie, und verweisen auf Länder wie Portugal und die Niederlande, die weichen Drogen gegenüber eine tolerante Politik verfolgen, und wo der Konsum von Cannabis unter jungen Leuten in den vergangenen Jahren rückgängig war.

In der Schweiz geht die Debatte vorerst weiter. Und auch ehemalige Cannabis-Raucher zeigen sich unentschlossen.

«Vor zehn Jahren hätte ich die Legalisierung von Cannabis unterstützt», erklärt Marie, Mutter von zwei Jungen im Teenager-Alter. «Doch wir sollten die Gefahren heute nicht minimalisieren. In den 1990er-Jahren hatte der Stoff einen THC-Gehalt [die hauptsächliche aktive chemische Substanz der Droge] von etwa 5% und war schon damals stark. Heute kann der Anteil bis zu 30% betragen. Das ist schon fast wie eine harte Droge.»

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Harmonisierung?

Die Regierung verweist darauf, mit der Revision werde die rechtliche Ahndung von Cannabiskonsum vereinheitlicht, die bisher in der Schweiz sehr unterschiedlich ausfällt. Zudem würden Polizei und Justiz entlastet und Kosten gespart. Bisher werden pro Jahr in der Schweiz rund 30’000 Fälle von Cannabis-Konsum vor Gericht gebracht.

Einige Kantone haben den Konsum von Cannabis bereits teilweise entkriminalisiert, indem sie Ordnungsbussen für Verstösse einführten, während Cannabis-Konsumenten im Kanton Tessin mit strafrechtlichen Verfahren und Bussen bis zu 3000 Franken rechnen müssen.

Corinne Kibora, Sprecherin der Organisation Sucht Schweiz, sagt, «die Ressourcen der Polizei sollten genutzt werden, um gegen Drogenhandel vorzugehen».

Die Kantonspolizeien von Zürich und Bern erklären gegenüber swissinfo.ch, das neue Gesetz mit dem System der Geldbussen werde mit Ausnahme von weniger Papierkram keine Auswirkungen haben auf die tägliche Arbeit oder die Strategie im Umgang mit Cannabis.

«Dieser politische Wandel bestätigt die Änderung des Status von Cannabis in der Gesellschaft, ist aber nicht deutlich genug. Und die Aufgabe der Polizei bei der Umsetzung vor Ort bleibt kompliziert», sagt Jean-Félix Savary, Generalsekretär von GREA, einer Organisation aus der Romandie, die sich mit Suchtfragen befasst.

Er befürchtet, dass die Polizeikräfte in den Kantonen das neue Gesetz nicht einheitlich umsetzen werden, und dass dem grundsätzlichen Ziel – der Vereinheitlichung der Polizeipraktiken – ein Misserfolg droht.

«Es ist keine Revolution. Insgesamt betrachtet bleibt der Ansatz zögerlich und konservativ. Es wird nach wie vor erhebliche Polizeiressourcen brauchen, um sicherzustellen, dass das Gesetz respektiert wird.» Eine überraschende Konsequenz der Revision könnte sein, dass es vielleicht weniger Cannabis-Raucher in der Öffentlichkeit geben werde, fügt Savary hinzu.

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Das Schweizer Gesetz untersagt die Vermarktung von Cannabis mit einem THC (Tetrahydrocannabinol)-Gehalt von über einem Prozent. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) kann indessen Sonderbewilligungen erlassen, zum Beispiel im medizinischen Bereich. (Bilder: Thomas Kern, swissinfo.ch)

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Junge Raucher

Eine Gruppe, auf die das neue Gesetz offensichtlich nicht zutrifft, sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Gegen sie kann nach wie vor ein Verfahren eingeleitet werden und lokale Staatsanwälte oder Richter können Bussen verfügen.

Es gebe aber einige Massnahmen im revidierten Gesetz, welche Kinder und Jugendliche beträfen, erklärt Kibora. So würden Dealer, die Cannabis an junge Leute verkaufen, schärfer bestraft. Zudem sollen Jugendliche mit problematischem Cannabiskonsum einfacher Beratung von Präventions-Fachleuten erhalten.

Gemäss einem Bericht des UNO-Kinderhilfswerks Unicef, der im April 2013 veröffentlicht wurde, hatten in der Schweiz 24% der befragten Kinder im Alter von 15 Jahren erklärt, in den vergangenen 12 Monaten (Zeitraum 2009-2010) Cannabis konsumiert zu haben. Das war nach Kanada der höchste Prozentsatz, aber deutlich weniger als die 38% im Zeitraum 2001-2002.

Die Idee von mehr Prävention und Suchtunterstützung sei in der Theorie sehr schön, sagt Savary. «Aber wir sollten mit der Heuchelei aufhören. Die Eidgenossenschaft fordert die Kantone auf, mehr zu tun, zahlt aber keinen Rappen.»

Erst letzte Woche sei entschieden worden, «das Budget für die Alkoholprävention um einen Viertel zu kürzen, das gleiche gilt für Drogen. Wenn die Politiker Resultate sehen wollen, müssen sie diese auch finanzieren», beklagt er sich.

*Name anonymisiert


(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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