«Durch den Sport konnte ich mich in die schweizerische Gesellschaft integrieren»
Stefano Da Col, 30jährig und Italiener, arbeitet in Lugano bei einem Startup. Seine grosse Leidenschaft ist der Sport, durch den er sich in die Tessiner Gesellschaft integrieren konnte. Er mag Land und Leute, obwohl manchmal eine Diskriminierung zu spüren ist.
«Ich bin nach Lugano gekommen, weil ich ausserhalb von Italien Erfahrungen im Studium sammeln wollte. Lugano bot Nähe, auch in logistischer Hinsicht», erzählt Stefano. «Mit anderen Worten: Für mich war es eine ideale Kombination zwischen meinem Studienweg und der Tatsache, dass ich im Ausland Erfahrungen sammeln konnte, ohne mich allzu weit von Italien zu entfernen.»
«Die Mailänder, die in den Kanton Tessin kommen, verwandeln sich auf mirakulöse Weise sofort in Südländer, ein karmisches Gesetz.»
Geboren und aufgewachsen in Latina, nahe bei Rom, machte Stefano Da Col seinen Bachelor in Tourismuswissenschaft an der Universität Lucca in der Toskana. Vor acht Jahren übersiedelte er nach Chiasso, um sein Studium an der Universität der italienischen Schweiz (USI) in Lugano abzuschliessen.
«Ich durchlebte die drei typischen Phasen für italienische Einwanderer in die Schweiz: Student, danach Arbeitssuchender und schliesslich Arbeitender. Glücklicherweise erreichte ich die dritte Phase schnell», erzählt Stefano, während er auf seine Erfahrungen in der Schweiz zurückblickt. «Seit fünf Jahren arbeite ich als Projektmanager für eine Firma, die sich mit der Entwicklung von Plattformen für die Verbreitung von multimedialen Inhalten beschäftigt, insbesondere mit digitaler Musik. Unser Startup kreiert Portale zum Herunterladen und Streamen von Musik.»
«Die Technologie hat mich immer fasziniert. Während meines Studiums arbeitete ich an Projekten, die Informatik und Tourismus vereinten. In meiner Abschlussarbeit untersuchte ich zum Beispiel den Einfluss von Onlinebewertungsportalen – wie Tripadvisor – auf die Wahl von Tourismus-Destinationen. Als ich mein Studium abschloss, ergab sich für mich diese Möglichkeit bei einem Startup einzusteigen, und nun bin ich da.»
Man ist immer der «Südländer» von jemand anderem
Das Leben von Stefano in Lugano verläuft ruhig, so wie für viele andere Auswanderer aus Südeuropa im Rest der Schweiz. «Ich habe nie Probleme mit Diskriminierung erlebt, obwohl der Kanton Tessin unter den Auswanderern ein wenig diesen negativen Ruf hat. Man beobachtet höchstens die klassische Nord-Süd-Dynamik», erläutert Stefano.
Die Italiener, die in die Schweiz ziehen, finden sich in einer Situation wieder, die sie gut kennen: die Rivalität zwischen Nord- und Südländern, das heisst, das gegenseitige Misstrauen zwischen den Menschen aus dem Norden und dem Süden. Dies betrifft nicht nur die Einwanderer aus Süditalien, die sich dieses Verhalten von ihren Mitbürgern aus dem Norden gewohnt sind, sondern auch die Einwanderer, die aus Norditalien kommen.
Einige unter ihnen, die vielleicht sogar selber etwas spöttisch auf ihre süditalienischen Mitbürger schauen, werden nun ihrerseits Opfer eines leisen Vorurteils seitens der Schweizer. «Es ist die typische Unterscheidung zwischen Norden und Süden, die sich in vielen Teilen Europas wiederfindet. Die Mailänder, die in den Kanton Tessin kommen, verwandeln sich auf mirakulöse Weise sofort in Südländer, ein karmisches Gesetz», erklärt Stefano mit einem etwas sarkastischen Unterton.
Integration durch Sport
«Allen Einwanderern, die Schwierigkeiten mit der Sozialisierung haben, gebe ich diesen Rat: engagiert euch in einem Mannschaftssport, ihr werdet es nicht bereuen.»
Doch die Situation ist nicht beunruhigend, vor allem nicht, wenn ein italienischer Einwanderer Zeit und Möglichkeit findet, sich in die Tessiner Gemeinschaft zu integrieren.
Stefano, der leidenschaftliche Fussballer, schaffte dies durch den Sport. «Für mich war der Schlüssel dazu Futsal, eine Sportart, die sich hier in der Schweiz erst seit kurzem verbreitet. Durch Turniere, die von der Universität organisiert wurden, konnte ich oft spielen», erzählt Stefano.
Futsal entpuppte sich für Stefano als bestmögliche Art, Spass zu haben, Freundschaften zu knüpfen und sich in die Schweizer Gesellschaft zu integrieren. Eine Leidenschaft, die sich rasch zu einem seriöseren Engagement wandelte. «Für ein paar Jahre habe ich sogar die Futsal-Mannschaft der Universität der italienischen Schweiz geleitet. Ich organisierte die Spiele und knüpfte die Kontakte. Wir versuchten an allen möglichen Turnieren mitzumachen, und dies war eine gute Möglichkeit, mich mit den zahlreichen lokalen Eigenheiten vertraut zu machen. Im Fussball erkannte ich die vielfältigen Möglichkeiten einer Integration. Im Sport wird nicht zwischen Schweizern und Nichtschweizern unterschieden, alle sind im Spiel vereint und die Barrieren verschwinden.»
Eine der denkwürdigsten Episoden seiner sportlichen Erfahrung ergab sich ganz zufällig. «Einmal spielte ich an einem Turnier zusammen mit Nicola, einem meiner besten Freunde, den ich im Umfeld des Unisports kennengelernt habe. Es war an einem lokalen Turnier in Roveredo, einem Dorf im Kanton Graubünden, wo sich alle gegenseitig kannten. Obwohl wir die zwei einzigen Italiener waren, fühlten wir uns sofort in Einklang mit den andern.»
Das Spiel endete mit einer Überraschung, wie das oft vorkommt, wenn man es nicht erwartet. «Völlig unerwartet kamen wir ins Finale und gewannen im Elfmeterschiessen», erinnert sich Stefano.
«Ich trug als einziger der Mannschaft ein weisses Trikot, der Bestand reichte nicht für alle. Doch dies tat der Moral in der Mannschaft keinen Abbruch», erzählt Stefano und lacht. «Triumph total beim Elfmeterschiessen: ich versenke meinen Penalty, unser Torwart hält drei und wir nehmen den Pokal nach Hause.»
Die Geschichte von Stefano zeigt ganz klar, dass der Sport ein Mittel zur Integration sein kann. «Für mich war das die beste Möglichkeit, mich in die Tessiner Gemeinschaft zu integrieren. Allen Einwanderern, die Schwierigkeiten mit der Sozialisierung haben, gebe ich diesen Rat: engagiert euch in einem Mannschaftssport, ihr werdet es nicht bereuen» so Stefano.
Kontaktieren Sie den Autor via Twitter: @JacopoOttavianiExterner Link
Als Spezialist für Datenjournalismus schreibt Jacopo OttavianiExterner Link für internationale Zeitungen wie The Guardian, Al Jazeera International, El Pais und in Italien für die ausführliche Wochenzeitung Internazionale. Im Jahr 2015 erhielt er verschiedene Preise für das Projekt E-waste RepublicExterner Link, einer Reportage über den Elektroschrottmarkt in Ghana und andern Gegenden der Welt. 2014 beteiligte er sich am Projekt The migrants filesExterner Link, einem internationalen Datenjournalismus-Projekt über die Migration in Europa. Im gleichen Jahr koordinierte er Generation EExterner Link, das erste Crowdsourcing-Projekt zur europäischen Jugend-Abwanderung. Dieser Artikel wurde realisiert dank gesammelten Daten über die Generation E.
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(Übertragung aus dem Italienischen: Christine Fuhrer)
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