Aus Liebe arbeiten sie oft ohne Bezahlung
Rund 70% der Frauen, die in der Landwirtschaft arbeiten, werden nicht entlöhnt und gelten daher als "nicht erwerbstätig". Ohne Gehalt und ausreichende Sozialversicherung verlor Monique* mit ihrer Scheidung alles. Um solche Probleme zu vermeiden, haben Laurence und Philippe Jobin Einkommen und Aufgaben, die mit ihrem Bauernhof verbunden sind, gerecht aufgeteilt.
Drei Gleichstellungs-Projekte
Im Fahrwasser der #MeToo-Bewegung und des Frauenstreiks vom 14. Juni vervielfachen sich in der Schweiz die Initiativen für die Gleichstellung von Frauen und Männern.
swissinfo.ch widmet drei verschiedenen Aktionen in unterschiedlichen Bereichen je einen Artikel:Gleichstellung und öffentlicher Raum, Gleichstellung und Landwirtschaft, Gleichstellung und Konsum.
«Ich konnte die Türschwelle nicht mehr überschreiten, ich hatte das Gefühl, es nicht zu überleben.» Mental war Monique* «am Ende», als sie ihren Mann und ihre Arbeit auf dem Familienbauernhof im Kanton Waadt verliess.
«Dabei liebte ich das Landleben», erklärt sie in einem Ton, der Nostalgie verrät. Auch wenn ihr Herz noch immer schmerzt, wenn sie aus der Ferne Arbeiten auf dem Feld betrachtet, bereut sie ihren Entscheid nicht und schafft es, allmählich wieder Tritt zu fassen.
Anfang der 1990er-Jahre übernahm die Krankenschwester zusammen mit ihrem Mann den Hof ihrer Schwiegereltern. Sie war begeistert von der Landwirtschaft und zögerte nicht, ihren gelernten Beruf aufzugeben, um sich auf dem Bauernhof zu engagieren.
«Ich habe meine vier Kinder grossgezogen, mich um Haushalt, Garten, Hühnerhof, sowie um Direktvertrieb, Buchhaltung und das Personal gekümmert», zählt sie auf.
«Wir wohnten übereinander.»
Die Tage dauerten manchmal bis zwei Uhr morgens, aber wenn man jemanden liebt, zählt man nicht; und Monique zählte weder die Stunden, noch die Vorwürfe, die sie als Lohn für ihre Arbeit erhielt. «Mein Mann fand, dass ich nicht genug arbeitete, und ich fühlte mich ständig von der Familie meines Mannes kontrolliert», erklärt sie.
Auch eine Privatsphäre gab es kaum. «Wir wohnten übereinander.» In der Landwirtschafts-Branche sind Beruf und Privatleben eng miteinander verflochten. Und Ferientage, wenn es solche gab, wurden abwechselnd genommen. Dank ihrem Engagement in Berufsverbänden war Monique eigentlich gut positioniert, um zu sehen, dass mit ihrer Situation etwas nicht stimmte, aber sie hielt durch und hoffte auf bessere Zeiten.
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«Mein Mann sagt, ich hätte nicht gearbeitet»
Harte Arbeit sowie der Mangel an Unterstützung, Anerkennung und Respekt der Menschen um sie herum prägten Moniques Alltag. 25 Jahre lang. Ein Tag glich dem anderen, und letztlich litt auch ihre Leidenschaft für die Bewirtschaftung des Landes darunter.
Vor einigen Jahren entschied sich Monique schliesslich, ihren Mann zu verlassen. Ein Entscheid mit schwerwiegenden Folgen, denn sie verlor nicht nur ihre Stelle, sondern auch ihr Zuhause. Da sie nie für ihre Arbeit bezahlt wurde, hatte sie auch kein Recht auf Arbeitslosenentschädigung. «Ich verlor alles», erklärt sie.
Indem sie ihre Ersparnisse anzapfte, konnte sie eine beschleunigte Ausbildung zur Buchhalterin absolvieren und fand unterdessen eine Teilzeitstelle. Die Arbeitsstunden jedoch, die sie in die Bewirtschaftung des Familienbauernhofes investiert hatte, werden wahrscheinlich nie anerkannt werden. «Er sagt, ich hätte nicht gearbeitet», erklärt sie. Und ohne Dokumente gibt es keine Beweise.
«Wir diskutieren regelmässig über unsere Rollen»
Um derart extreme Situationen zu vermeiden, entschieden sich Laurence und Philippe Jobin, Landwirte in Echichens, oberhalb der Waadtländer Stadt Morges, die Frage der Aufgabenteilung und der Entlöhnung zu klären. Laurence Jobin, die einen eidgenössischen Fachausweis für Unternehmensführung hat, erstellte ein Organigramm für den landwirtschaftlichen Betrieb.
«Wir diskutieren jedoch regelmässig immer wieder über unsere Rollen, anhand der Entwicklung unserer Berufe», erklärt sie. Der Betrieb ist ausschliesslich auf Nutzpflanzen ausgerichtet; Laurence Jobin kümmert sich vor allem um die verarbeiteten Produkte, ihr Ehemann Philippe ist für die rein landwirtschaftlichen Aufgaben zuständig.
Das Paar übernahm die Bewirtschaftung des 36 Hektaren grossen Betriebs, der dem Vater von Laurence Jobin gehörte, im Jahr 2000. Neun Jahre später, als sie den Betrieb gemeinsam kauften, wurde das Ehepaar offiziell zu Geschäftspartnern. «Wir wollten das Unternehmen gemeinsam kaufen, und nicht unter dem einen oder anderen Namen», betonen sie. So müssen die Entscheidungen gemeinsam getroffen und offizielle Dokumente von der Ehefrau und dem Ehemann unterzeichnet werden.
«Ich wollte offiziell Teil des Unternehmens sein»
Seit einigen Jahren erhält Laurence Jobin für ihre Arbeit auf dem Landwirtschaftsgut, die etwa einer 50%-Stelle entspricht, einen Lohn. Daneben hat sie noch eine 30%-Stelle im Büro der Einwohnerkontrolle der Gemeinde. Sie hatte aber kämpfen müssen, um ihren Mann zu überzeugen, ihr ein Gehalt zu zahlen.
«Es war für mich vor allem eine symbolische Frage. Ich wollte offiziell Teil des Unternehmens und der Wirtschaftslandschaft der Schweiz sein. Meine Arbeit ausserhalb bot mir Sozialversicherungsleistungen, es war daher normal, dass dies auch in unserem eigenen Betrieb der Fall sein sollte.»
Zuerst war ihr Mann anderer Meinung. «Da wir alle Einnahmen teilten, hatte ich den Eindruck, das sei nicht notwendig, und dass unsere Finanzen darunter leiden würden. Zudem hatte unser Buchhalter uns davon abgeraten», erklärt er. Heute gibt er jedoch zu, dass seine Frau Recht hatte. «Ein Gehalt bedeutet nicht nur eine Anerkennung der geleisteten Arbeit und Sozialversicherungsschutz, sondern ich finde, es ist auch steuerlich von Vorteil», bekräftigt der Landwirt.
«31’000 Bäuerinnen haben keine Sozialversicherung.»
Er ist davon so überzeugt, dass er sich auch politisch engagiert, um seine Berufskollegen davon zu überzeugen, ihren Ehefrauen ein Gehalt zu zahlen. Als Abgeordneter im Waadtländer Kantonsparlament und als Kandidat für den Nationalrat (Grosse Kammer des eidgenössischen Parlaments), unterstützt Philippe Jobin den Bäuerinnen-AppellExterner Link.
Dieser wurde am vergangenen 12. Juni vom Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauen-Verband (SBLV)Externer Link und der Nichtregierungs-Organisation Swissaid lanciert und fordert den Einbezug der sozialen Sicherheit von Bäuerinnen in die Agrarpolitik 2022+Externer Link. Die Forderung wurde am Donnerstag von der Regierung aufgenommen. Sie versprach, Massnahmen zur sozialen Abfederung von Bäuerinnen und Bauern zu skizzieren.
Auch wenn in der Schweiz viele Frauen auf Landwirtschaftsbetrieben arbeiten, zeigen die Zahlen erhebliche Lücken bei der sozialen Absicherung: Rund 31’000 dieser Frauen haben nach Schätzungen des SBLV keinen ausreichenden Sozialversicherungsschutz.
Sie stellen eine Erwerbsbevölkerung dar, deren Arbeit weder entlöhnt noch erfasst wird, obwohl diese Frauen pro Woche im Durchschnitt 63 Stunden arbeiten. Nach Angaben von SBLV-Präsidentin Anne Challandes haben nur gerade rund 30% der Frauen, die auf Landwirtschaftsbetrieben arbeiten, eine eigene Sozialversicherung und werden für ihre Arbeit entlöhnt.
«Eine Diskussion in jeder Lebensphase»
«Solange alles gut läuft, läuft alles gut», fasst Anne Challandes zusammen. Aber die Gefahren des Lebens verschonen niemanden, und dann beginnen die Probleme. Im Fall einer Scheidung oder Invalidität ist eine nicht entlöhnte Bäuerin nicht geschützt und riskiert, in eine finanziell prekäre Lage zu geraten. Zudem hat sie im Fall einer Schwangerschaft kein Anrecht auf Mutterschaftsschutz. Ganz zu schweigen davon, dass sie, wahrscheinlich nur eine Minimalrente erhalten dürfte, wenn sie ins Rentenalter kommt.
Die Realität in der Welt der Landwirtschaft ist manchmal hart. Jedes Jahr verschwinden in der Schweiz Hunderte von Betrieben. Seit 1980 ist ihre Zahl um mehr als die Hälfte geschrumpft. Und der finanzielle Druck fördert auch die Sozialvorsorge nicht. «Bleibt Ende des Jahres Geld übrig, investieren die Landwirte dieses eher in die Erneuerung ihrer Maschinen als in die Entlöhnung ihrer Familienmitglieder», erklärt Anne Challandes.
Die SBLV-Präsidentin ermutigt Paare dennoch, zusammen über die beste Lösung zu diskutieren, auch in prekären Finanzlagen: «In jeder Lebensphase sollte man die Situation, die Einkommensverteilung und die soziale Absicherung erneut überprüfen.»
*Name der Redaktion bekannt
Kennzahlen
2017 waren in der Landwirtschaft 153’864 Personen beschäftigt.
36% waren Frauen.
30% waren weibliche Familienmitglieder (meistens Gattinnen oder Partnerinnen).
3133 waren Betriebsleiterinnen im Vergleich zu 48’487 Betriebsleitern (die erste Zahl schliesst viele Fälle ein, in denen die Frau den Betrieb leitet, weil der Ehemann, der Betriebsbesitzer, das Rentenalter erreicht hat).
70% der Frauen, die in der Landwirtschaft tätig sind, haben keine eigene Sozialversicherung.
(Quelle: Agri, 15.03.2019Externer Link)
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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