Goldene Käfige und steigende Mieten: Das Kopfzerbrechen auf dem Schweizer Mietmarkt
In der Schweiz gibt es, wie in vielen wohlhabenden Ländern, nur eine Richtung bei den Mieten. Wie geht es weiter in dem Land, in dem eine Mehrheit kein Wohneigentum besitzt?
Die Lage – steigende Mieten in Sicht
Der Referenzzinssatz für Hypotheken in der Schweiz steigt von 1,5% auf 1,75% Prozent, und trägt damit einer etwas zurückliegenden Anhebung des Leitzinses der Schweizerischen Nationalbank Rechung.
Die kleine Änderung könnte grosse Auswirkungen haben: Eine Erhöhung um einen Viertelprozentpunkt ermöglicht es Vermieter:innen, die Mieten um 3% zu erhöhen.
Der Referenzzinssatz war beits im Juni angehoben worden, von 1,25% auf 1,5%, nachdem er jahrelang stetig gesunken war. Nun warnt die Regierung, dass die Mieten in den nächsten Jahren um 15% steigen könnten. Dies nachdem sie seit 2016 bereits um über 8% gestiegen sind.
Da auch andernorts die Preise steigen – etwa im Gesundheitswesen – rückt der Mietmarkt in den politischen Fokus. Zumal die Schweiz eine Mieternation par excellence ist: 58% der Menschen sind Mieter.
Über die Hauptursache herrscht keine Einigkeit: Sind es die steigenden Zinsen, skrupellose Vermieter:innen, ist es die mangelnde Bautätigkeit, die Zuwanderung? Oder sind die Dinge tatsächlich noch nicht so schlimm, wie sie scheinen?
Der Plan der Regierung: Weniger Inflation, mehr Transparenz
Der Bundesrat ist zumindest so besorgt, dass er Massnahmen ergriffen hat. Wirtschaftsminister Guy Parmelin legte Ende November einen Plan Externer Linkvor, der eine Senkung der Schwelle vorsieht, bis zu der die Vermieter die Inflationskosten auf die Mieter überwälzen dürfen (von 40% auf 28%); ausserdem will der Bundesrat mehr Transparenz bei der Begründung der Miethöhe.
Zwar lehnt die Regierung eine Einfrierung des Referenzsatzes, wie sie von den Mieterverbänden gefordert wird, ab. Sie will aber analysieren, ob das gesamte 40 Jahre alte System der Mietanpassungsregeln noch tragfähig ist.
Kaum war der Plan angekündigt, stiess er jedoch auf Skepsis. «Vermieter sind nicht die Ursache für den Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten», schrieb Externer Linkder Verband der Hauseigentümer. Die bestehenden Mietvorschriften und die Einspruchsmöglichkeiten gegen Änderungen seien bereits «transparent»; neue Vorschriften würden nur unnötige Komplikationen verursachen.
Vertreter auf Mieter:innenseite erklärten unterdessen, der Vorschlag, insbesondere der Zeitrahmen, sei nicht ehrgeizig genug: Die sozialdemokratische Politikerin Jessica Jaccoud sagte gegenüber dem Westschweizer Fernsehen RTS, dass die Mieter:innen bis zum möglichen Inkrafttreten im Jahr 2025 bereits mehrere «Wellen» von Mieterhöhungen erlebt haben werden.
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Mieterverbände: Referendum in Vorbereitung
Der Mieterverband ASLOCA, dem Jaccoud angehört, beklagt seit langem, dass der Referenzzinssatz für die Mieten (bis jetzt) stetig gesunken ist, während die tatsächlichen Mieten stetig gestiegen sind – ihrer Meinung nach ungerechtfertigt.
ASLOCA behauptet, die Vermieter:innen hätten jedes Jahr über 10 Mrd. Franken (11,5 Mrd. $) an ungerechtfertigten Mieteinnahmen. Allerdings ist es dem Verband nicht gelungen, seine Forderungen politisch durchzusetzen: Zuletzt wurde im September eine Reihe von Vorschlägen der Linken zur Einführung strengerer Mietkontrollen vom Parlament abgelehnt.
ASLOCA könnte jedoch mehr Erfolg haben, wenn es um zwei andere, nicht unbedingt mietpreisbedingte, Themen geht. Diese Woche teilte die Gruppe mit, dass es ihr gelungen sei, genügend Unterschriften für eine Volksabstimmungen über geplante Reformen zu erzwingen: Eine, welche die Möglichkeiten von Mieter:innen zur Untervermietung ihrer Wohnung einschränkt, und eine andere, die es Vermieter:innen erleichtert, Mieter:innen los zu werden, wenn sie ihre Wohnung selbst nutzen wollen, das Stichwort dazu lautet Eigenbedarf.
Die Unterschriften (50’000 sind für das Referendum erforderlich) werden laut ASLOCA im Januar eingereicht. Die Bevölkerung wird voraussichtlich irgendwann im nächsten Jahr über die Fragen entscheiden.
Sitzen Mietende im goldenen Käfig fest?
Angesichts des geringen Angebots und der hohen Preise, vor allem in den Städten, besteht für die Mieter:innen derzeit kein Anreiz, umzuziehen, zumal die Vorschriften für Langzeitmieten günstiger sind.
Eine kürzlich durchgeführte Studie der Zürcher Kantonalbank hat ergeben, dass der Preisunterschied zwischen bestehenden und neuen Wohnungen in Zürich 26% beträgt; wer umzieht, findet für das gleiche Geld wahrscheinlich nur eine kleinere (oder schäbigere oder schlechter gelegene) Wohnung.
In Genf liegt diese «Umzugsprämie» bei 54%. Es ist jedoch noch zu früh, um zu sagen, ob dies dazu führen wird, dass die Mietenden sich dafür entscheiden, dauerhaft in ihren Wohnungen zu bleiben: Letztes Jahr jedenfalls ist ungefähr der gleiche Anteil umgezogen Externer Linkwie in den Vorjahren, rund 9,5%.
Eine Sache, die Mieter:innen vermehrt tun, ist sich zu beschweren. Das Bundesamt für Wohnungswesen teilte letzte Woche mit, dass in den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 42% mehr Beschwerden gegen Mietanpassungen eingereicht wurden als im Jahr 2022. Ein weiterer Ansatz ist der Versuch, günstigere Wohnformen zu finden, also zum Beispiel Genossenschaftswohnungen oder Wohngemeinschaften, auch über die Generationengrenze hinausExterner Link.
Laut dem Immobilienunternehmen Wüest und Partner nehmen in der Schweiz Drei- und Vier-Personen-Haushalte wieder zu, zu Lasten der früher boomenden Ein- und Zweipersonenhaushalte.
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Anderswo in Europa: Berlin als radikales Ideenlabor
International haben viele Länder einen noch stärkeren Mietanstieg zu verzeichnen als die Schweiz. Laut Eurostat Externer Linksind die Mieten seit 2010 in der gesamten Europäischen Union um 17% gestiegen, in Ungarn, Island, Irland, Estland und Litauen sogar um über 50%.
Nur in Griechenland und Zypern sind die Mieten in den letzten zehn Jahren gesunken. Dies hat zu verschiedenen Regulierungsbemühungen geführt: Vor allem Städte sind gegen Kurzzeitvermietungen über Plattformen wie Airbnb vorgegangen; einige Länder (z. B. Irland Externer Linkund das Vereinigte KönigreichExterner Link) haben Rechtsvorschriften geprüft, um ungerechtfertigte Zwangsräumungen zu verhindern.
Im Nachbarland Deutschland, wo die Mietpreise steigen und der soziale Wohnungsbau auf einem historischen Tiefpunkt angelangt ist, hat die Regierung kürzlich ein 45-Milliarden-Euro-Paket (43,2 Mrd. CHF) für die angeschlagene Bauindustrie vorgeschlagen; ausserdem will sie bis 2027 18 Mrd. Euro in bezahlbaren Wohnraum investieren.
Der Schritt erfolgt, nachdem nachdem die 2015 eingeführte nationale Mietpreisbremse von den Vermieter:innen ohne Weiteres umgangen wurde, wie die Deutsche Welle berichtetExterner Link. Insbesondere in Berlin, wo die Mieten in den letzten sieben Jahren um 44% gestiegen sind, während die Löhne im gleichen Zeitraum nur um 30 % zulegen konnten.
Eine 2020 in Berlin eingeführte generelle Mietpreisbremse wirkte sich negativ auf den Wohnungsneubau aus und wurde später für verfassungswidrig erklärt, schreibt Externer LinkReuters.
Berlin bleibt trotzdem Vorreiterin, wenn es um radikale Vorschläge geht: 2021 sprach sich eine Mehrheit der Wähler:innen in der Stadt in einem unverbindlichen Referendum für die Enteignung tausender Grundstücke aus, die grossen Immobiliengesellschaften gehören.
Seitdem halten sich die Politiker:innen mit der Frage der Umsetzung der Idee zurück, selbst nachdem ein Expertengremium die Rechtmässigkeit geklärt hat. Bis jetzt ist unklar, was aus der Idee wird.
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