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Grosszügig bis in den Tod

MyHappyEnd erklärt in ihren Werbespots mit drastischen Bildern, worum es geht. Die Organisation will Schweizerinnen und Schweizer überzeugen, ihr Vermögen nach ihrem Tod einer gemeinnützigen Organisation zu spenden. myhappyend.org

MyHappyEnd, eine Vereinigung von 16 gemeinnützigen öffentlichen Institutionen, hat eine Kampagne lanciert, um daran zu erinnern, dass im letzten Willen NGO berücksichtigt werden können. Der erste Tag des Testaments findet am 13. September statt.

«Manche Leute haben Angst, an ihren Tod zu denken, aber für mich ist dieses Testament ein simples Dokument.» Es ist schon 20 Jahre her, dass die siebzigjährige Regula Siegrist ein Testament zu Gunsten der Schweizer Berghilfe gemacht hat.

Ledig und ohne Kinder hat die Aargauerin als Touristenführerin gearbeitet und die meiste Zeit ihres Lebens im Ausland gearbeitet. Anfang der 1980er-Jahre hat sie in Ascona Wohnsitz genommen, im Tessin, wo sie die Schönheit der Berge und das mühevolle Leben ihrer Bewohner miterlebte.

«Ich war immer sehr sensibel gegenüber Armut. Ich habe drei afrikanische Patentöchter, aber ich habe auch Lust, unserer eigenen, benachteiligten Bevölkerung zu helfen.»

Regula Siegrist stösst auf das Journal der Schweizer Berghilfe, nimmt mit ihr Kontakt auf und geht mit einem Experten ins Gebiet. «Ja, ich war beeindruckt von der Kompetenz und der Effizienz dieser NGO. Dazu kommt, dass das Geld gut ausgegeben ist, nur der kleiste Teil wird für Verwaltungskosten ausgegeben. Der grösste Teil der Mitarbeitenden arbeitet freiwillig.»

Als sie fünfzig wurde, begann die Aargauerin zu überlegen, was noch kommen sollte. «Ich habe es gemacht wie meine Eltern, die beide ihr Testament gemacht haben, bevor sie 60 Jahre alt waren. Ich habe einen Bruder und einen Neffen, die den Löwenanteil meines Vermögens erhalten. Den Rest habe ich der Berghilfe vermacht.»

Die grosszügige Schweiz

Regula Siegrist ist ein Teil der 70% der Schweizer, die eine bemerkenswerte Grosszügigkeit beweisen, mit 1,2 Milliarden Spendenfranken im Jahr 2011, wie das Forschungsinstitut GFS berechnet hat. Diese Grosszügigkeit geht nach dem Tod weiter, denn die gemeinnützigen Organisationen erhalten Legate bis zur Höhe von 100 Millionen Franken.

Das ist relativ wenig im Vergleich zum ganzen Volumen von 30 Milliarden Franken jährlicher Legate. «Gemäss unseren Statistiken hinterlassen nur 25% der Personen, die sterben, testamentarische Verfügungen und ungefähr 50% von jenen, die ein Vermögen von 1 Million Franken oder mehr haben, erklärt Samy Darwish, der Jurist des WWF.

Diese Feststellung hat 16 Nichtregierungs-Organisationen (NGO) dazu gebracht, sich unter dem Banner von MyHappyEnd zusammenzufinden. MyHappyEnd ist eine eher provokative Bezeichnung, welche die Schweizer ermutigen will, in ihren Verfügungen an die NGO zu denken.

Am 13. September  findet deshalb der erste «Internationale Tag des Testaments» statt, mit den Slogans «Gutes tun über den Tod hinaus» oder «Bleiben Sie in bester Erinnerung». Dies wird in einer Kampagne vermittelt, mit TV-Spots, Plakaten und Schweizer Persönlichkeiten, die begründen, warum sie ihr Vermögen einer gemeinnützigen Organisation vermachen.

Wenig Schweizerinnen und Schweizer machen ein Testament

Warum die Hälfte, wenn Dreiviertel der Schweizerinnen und Schweizer kein Testament machen? Die Antwort kommt von Ivo Torelli, dem Mediensprecher der Schweizer Berghilfe. «Das Schweizer Recht regelt die Angelegenheiten gut, im Gegensatz zu Ländern wie Grossbritannien, wo man alles selber planen muss.» Und es sei auch eine Altersfrage: Es sei normal, dass man mit 80 daran denke. Aber es sei weniger normal, dass man es sich schon mit 50 überlege.

Die Schweizer Berghilfe ist nicht Mitglied bei MyHappyEnd. Sie hat dies nicht nötig, denn die Hälfte ihrer Vergabungen (20 bis 25 Millionen pro Jahr) stammen aus Legaten, während diese Zahl für die Gesamtheit der NGO 15 % nicht überschreitet, wie die Schweizerische Zertifizierungsstelle für gemeinnützige Spenden sammelnde Organisationen (ZEWO) sagt.

Zum Vergleich: Der WWF, Mitglied von MyHappyEnd, hat 3 Millionen Franken durch Erbschaften eingenommen, das sind 5% der gesamten Spenden, gemäss ihrem Juristen Samy Darwish.

«Einige Organisationen sind attraktiver als andere, um ihnen ihre Testamente zu vermachen. Wahrscheinlich, weil sie ihre Unterstützer früh genug sensibilisieren, oder weil die Spender sich der Tradition und Identität der Schweiz verpflichtet fühlen. Junge Leute spenden lieber an Organisationen, die anderswo in der Welt aktiv sind.»

Es gibt zwar verschiedene Motivationen, aber der Wille zu teilen, und sich für das Leben zu bedanken, ist der gleiche. «In der Schweiz gibt es ein Einverständnis, dass die, die mehr haben, den weniger Reichen etwas geben.»

Alle NGO widmen einen grossen Teil iher Internetseite den Legaten und den Testamenten, mit detaillierten Angeben und Testamenttypen und Formularen. Alle möchten die Fragen ihrer Mitglieder beantworten.

Heikle Angelegenheit

Die Angelegenheit sei nicht schockierend, aber heikel, meint Samy Darwish: «Es ist wahr, hier werden Geld und Tod vermischt. Einige werfen uns vor, Erbschleicher zu sein, aber die Mehrheit der Leute, die mit uns Kontakt aufnehmen, und mit denen wir interessante und berührende Begegnungen haben, haben einen speziellen Lebensweg gemacht und haben keine Verwandten. Wir haben nie Konflikte mit anderen Erben.»

Das bestätigt auch Costin van Berchem, der Vizepräsident der Vereinigung der Anwälte, einer Partnerorganisation von MyHappyEnd. «Im Gegensatz zu den anderen Ländern des europäischen Kontinents sieht die Schweiz einen Pflichtteil vor, der den Erben und den direkten Verwandten zufällt und legt einen Maximalsatz fest, über was frei verfügt werden kann.»

Der Genfer Anwalt weiss, dass es Befürchtungen gibt. «Man lässt seinen Körper von einem Arzt behandeln, also kann man auch über seine Angelegenheiten mit einem Notar reden. Aber es ist wahr, dass es schwierg sein kann, über seinen eigenen Tod nachzudenken und über die Konsequenzen, die er für die Umgebung hat. Ich würde sagen, es hängt stark von der einzelnen Person ab.» Er gibt zu, dass er alle seine Kunden fragt, ob sie in ihrem Testament eine Vergabung machen wollen.

2002: Gründung der Vereinigung «Remember Charity» von gemeinnützigen Organisationen, um ihre Mitglieder zu bitten, sie in ihrem Testament zu erwähnen.

2010: Gründung von MyHappyEnd.

16 Mitglieder:

Amnesty International, fairmed, Fastenopfer, Greenpeace, Heilsarmee, Kinderdorf Pestalozzi, Médecins Sans Frontières, miva, Pro Natura, Rega, Rheumaliga Zürich, SOS-Kinderdorf, SBS Blindenbibliothek, Terre des hommes, Welt ohne Minen, WWF.

Gemeinsam mit ähnlichen Kampagnen in Australien, Belgien, Grossbritannien, Irland, Kanada, Norwegen und Spanien lanciert MyHappyEnd am 13. September 2011 den ersten Internationalen Tag des Testaments.


In der Schweiz findet neben diversen regionalen Anlässen bei den Mitgliedsorganisationen und dem Partner eine nationale zweisprachige Medienkonferenz in Bern statt.

Der Event im Tierpark Dählhölzli wird von Fernsehmacher Kurt Aeschbacher moderiert. Eine Expertenrunde mit Vertretern aus den Bereichen Recht, Politik, Ethik und Alterspsychologie informiert und diskutiert über das Tabuthema «Sterben und Vererben».

Ebenfalls engagiert ist der Schweizerische Notarenverband, Partner von MyHappyEnd.

(Übertragung aus dem Französischen: Eveline Kobler)

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