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«Cannabis light» und die Marktmechanismen

Marihuana-Setzling
Nach Erhalt der erforderlichen Genehmigungen innerhalb von zwei Jahren pflanzte Andrea R. seinen Indoor-Anbau an. tvsvizzera

Seit 2017 kann in der Schweiz Hanf mit einem niedrigen THC-Gehalt produziert und verkauft werden. Ein Einblick in einen Markt, der sich nicht als die Goldmine erwies, die einige erwartet hatten.

Hanf und Hanfprodukte mit einer THC-Konzentration unter 1% gelten seit 2011 nach Schweizer Recht nicht mehr als Drogen. Der «Boom» des Hanfs mit niedrigem THC-Gehalt begann jedoch erst im Jahr 2017. Damals wurde es möglich, die unverarbeiteten Blütenstände der Pflanze in der Schweiz zu produzieren und zu vermarkten, sofern der THC-Gehalt nicht mehr als 1% beträgt.

Viele sahen darin eine Chance, ein neues Eldorado. Von fünf Produzenten, die Anfang 2017 registriert wurden, stieg die Zahl bis 2018 auf 630. Aber seit zwei Jahren ändert sich etwas.

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Der Beweis dafür lässt sich in den Feldern finden: Wie kürzlich der Corriere del TicinoExterner Link schrieb, verliert in der Magadino-Ebene (zwischen Bellinzona und Locarno) das Grün des Cannabis gegenüber dem Rot der Tomaten zusehends an Boden.

Wer im Südschweizer Kanton Hanf anbauen will, muss die Behörden informieren. Im Jahr 2016 waren es drei Meldungen, im folgenden Jahr 12, 2018 bereits 33. Seitdem scheint der Trend rückläufig zu sein: Bis Ende Oktober 2020 gab es 24 Meldungen (plus drei hängige).

Das grüne Gold glänzt weniger

Diese Entwicklung ist höchstwahrscheinlich auf eine der Grundregeln des Markts zurückzuführen: Wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt, fällt der Preis eines Produkts. So erklärt es zumindest Stefano Caverzasio, Geschäftsführer von Purexis, einem Unternehmen, das seit 2011 in der Vermarktung und Verarbeitung von Hanf tätig ist.

Obwohl es auch Blütenstände verkauft, konzentriert sich das Unternehmen auf verarbeitete Produkte wie Nahrungsergänzung, Kosmetika und pharmazeutische Standardprodukte. Diese werden fast vollständig im eigenen Labor in Manno (TI) hergestellt. Dort gibt es auch eine kleine Indoor-Kultivierungsanlage, die für Forschungs- und Entwicklungszwecke zugelassen ist.

«Die Sättigung der Rohstoff-Nachfrage, die wir in der Schweiz beobachten, folgt einer bereits bekannten Realität in Übersee »

Stefano Caverzasio, Purexis

«Die Sättigung der Rohstoff-Nachfrage, die wir in der Schweiz beobachten, folgt einer bereits bekannten Realität in Übersee», sagt Caverzasio. In den Vereinigten Staaten, Kanada und einigen lateinamerikanischen Ländern übersteige das Angebot an verfügbarem Cannabis die Nachfrage schon lange. Deshalb würden immer mehr Unternehmen ihre Produktion verlangsamen oder sogar ganz einstellen.

Jede Woche erhalte Purexis Dutzende von Anfragen von Bauern, sowohl aus der Schweiz als auch aus dem Ausland, die Hanf zu verkaufen versuchten, dessen Marktpreis stark gefallen sei. Zum Zeitpunkt ihrer Legalisierung waren die unverarbeiteten Blütenstände im Grosshandel je nach Qualität zu 5000-10’000 Franken pro Kilo erhältlich. «Jetzt können Sie sicher eine Null streichen», sagt Caverzasio.

Das Aufkommen von Grossproduzenten, die Skalierungseffekte einsetzen können und im Lauf der Jahre ihre Anbauflächen in der Schweiz und anderswo erweitert haben, hat ebenfalls zu diesem Rückgang beigetragen.

Am Markt erfolgreich sind vor allem zwei Modelle: Einerseits Unternehmen, die expandieren konnten, andere Unternehmen und Grundstücke übernommen haben und direkt operieren. Andererseits Grossbetriebe, die das Land pachten und von Jahr zu Jahr je nach Marktnachfrage entscheiden, ob sie Hanf produzieren oder nicht, indem sie Anbauverträge abschliessen oder kündigen. Mit solchen Realitäten kann ein kleiner Betrieb kaum mithalten.

Wie beim Wein

Diese Hypothese teilt auch der Präsident der Vereinigung der Tessiner Gartenbauern, Andrea Zanini. Er zeigte in der Tessiner Presse wiederholt eine gewisse Skepsis gegenüber dem Hanfanbau.

Einige Firmen, die in finanziellen Schwierigkeiten waren, hätten Cannabis als «Rettungsanker» gesehen, sagt er. Doch sie hätten nicht immer genau gewusst, mit wem sie Geschäfte machen sollten, «einige erlebten böse Überraschungen. Sie wurden gierig. Aber nicht alle, die diese Kulturen anbauten, waren der Aufgabe gewachsen. Und einige sind gescheitert», so Zanini.

«Dasselbe gilt für Gemüse- oder Weinanbau: Wenn einer in Schwierigkeiten steckt, dann deshalb, weil er nicht gut mit Gemüse oder Trauben arbeitete. Wenn Sie kein gutes Produkt haben, haben Sie Schwierigkeiten, es zu vermarkten.»

Caverzasio betont, die Rückkehr zum traditionellen Anbau könnte auch auf überhöhte Pachtpreise für das Land und die Gewächshäuser zurückzuführen sein: «In mehreren Fällen lagen diese deutlich über den üblichen Pachtpreisen, die für dieselben Einrichtungen verlangt wurden, wenn traditionelles Gemüse angebaut wurde», sagt er.

«Die anschliessend sinkenden Preise erzwangen wahrscheinlich auch eine Anpassung der Kosten hin zu Tarifen, die näher an den landwirtschaftlichen Pachtpreisen lagen. Das dürfte jene abgeschreckt haben, die in den letzten Jahren Land für den Hanfanbau pachteten.»

«Wer schlecht arbeitet, muss verschwinden.»

Andrea R., Dream Shop

Einen Platz auf dem Markt finden

Die Analogie zum Wein scheint besonders passend, wenn man mit dem Unternehmer Andrea R. diskutiert. Er hat sich entschlossen, zum zweiten Mal ins Hanfgeschäft einzusteigen. Die Leidenschaft, mit der er über seine Pflanzen spricht, die Herausforderungen, die es zu überwinden gilt und die Techniken, die er anwendet, damit das Endprodukt eine bestimmte Qualität und einen bestimmten Geschmack hat, ähnelt dem, was ein Weinbau-Enthusiast über seine Arbeit sagen würde.

Andrea R. ist kein Hanf-Neuling. Mit 25 gehörte er zur Jahrtausendwende zu jenen, die ihr Glück versuchten und es oft fanden, indem sie Cannabis produzierten und vermarkteten. Damals herrschte in der Schweiz ein rechtliches Vakuum. Hanfblütenstände, selbst mit einem hohen THC-Gehalt, durften zwar produziert und verkauft werden, aber – zumindest theoretisch – nicht konsumiert.

Es war die «Hanfblüten-Ära»: Duftsäckchen für Kleiderschränke gingen weg wie warme Semmeln. Auch aus Italien strömten die Menschen in Scharen heran, um sie zu kaufen. Kaum zu glauben, dass es so viele muffige Kleiderschränke auf der Welt gab. Vermutlich gingen fast alle Säckchen kurz nach dem Kauf in Rauch auf.

2003 wurde diesem Geschäft ein Ende gesetzt, und Andrea R. wurde wieder Mechaniker. Er dachte, dass die Diskussion um die Legalisierung von Cannabis in der Schweiz für weitere hundert Jahre auf Eis gelegt sei.

Es sollte jedoch viel weniger lange dauern. Nach einigen Jahren sah der 45-Jährige die Gelegenheit gekommen, das Ende seines Abenteuers «neu zu schreiben»: Er eröffnete seinen «Dream Shop» in Melide und erhielt die Genehmigungen für den Anbau von Indoor-Hanf mit tiefem THC-Gehalt, abseits von Feldern und Gewächshäusern. Die Entwicklung des Markts ist für Andrea R., den wir in seinem Indoor-Anbau treffen, positiv. Denn «wer schlecht arbeitet, muss verschwinden», sagt er.

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Andrea R. vor Beeten mit Hanf

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Der Indoor-Anbau von Andrea R.

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Interview mit dem Unternehmer Andrea R., der im Tessin in der Produktion und im Verkauf von Cannabis «light» tätig ist.

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Perspektivenwechsel

Der Cannabisanbau, vor allem der Anbau von Pflanzen zu Genusszwecken, wird in der Schweiz immer noch stigmatisiert – besonders südlich der Alpen. Im Vergleich zu den 2000er-Jahren sind aber zwei Dinge definitiv anders.

Erstens, die Regeln für seine Herstellung und Vermarktung. «Die schweizerische Gesetzgebung hat trotz einiger kritischer Punkte bisher gezeigt, dass sie sich deutlich und rascher als in den Nachbarländern entwickelt hat. Und dass sie allen Schweizer Unternehmen der Branche grosse operative Vorteile gegenüber den europäischen Firmen bietet. Diese operieren in einigen Fällen immer noch in einer unklaren Regulierungssituation», sagt Purexis-Geschäftsführer Caverzasio.

«Diejenigen, die bigott waren, bleiben bigott», sagt Andrea R. «Aber jetzt kann man sie darauf hinweisen, dass Cannabis auch im Supermarkt verkauft wird, in dem sie einkaufen. Wenn das ihre Meinung nicht ändert, dann werden sie wenigstens zum Nachdenken angeregt.»

Zweitens kommt der internationale Faktor ins Spiel: Viele US-Bundesstaaten und Kanada haben Cannabis ohne Beschränkungen des THC-Gehalts legalisiert. Es gibt Anzeichen dafür, dass eine solche Veränderung auch auf dem alten Kontinent eintreten könnte.

Die Schweiz hat bereits begonnen, Studien in dieser Richtung durchzuführen. Andrea R. würde eine solche Entwicklung begrüssen. Sie gäbe ihm die Möglichkeit, sein Angebot um Produkte zu erweitern, die weit weniger «light» wären.

Caverzasio bleibt hinsichtlich möglicher gesetzgeberischer Entwicklungen in der Schweiz eher zurückhaltend. «Angesichts der bisher von den Bundesbehörden erhaltenen Informationen wird ein Schweizer Szenario erwartet, in dem die Schritte in Richtung THC moderat bleiben. Erhofft werden in erster Linie Vorteile für den wissenschaftlichen Fortschritt – nicht für den reinen Freizeitmarkt», sagt er.

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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