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Häusliche Gewalt immer noch Symbol der Ungleichheit

Gewalt in den eigenen vier Wänden: Trotz wirksamer Massnahmen leiden immer noch sehr viele Frauen und Kinder darunter. Keystone

Nach 16 Jahren als Direktorin des eidgenössischen Büros für Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) tritt Patricia Schulz ab. Trotz erzielten Fortschritten werden Lohndifferenzen und Gewalt auch Sylvie Durrer als neue "Madame Egalité" beschäftigen.

Nach 16 Jahren als Leiterin des eidgenössischen Büros für Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) tritt Patricia Schulz ab. Trotz erzielten Fortschritten werden Lohndifferenzen und Gewalt auch Sylvie Durrer als neue «Madame Egalité» beschäftigen.

Jedes Jahr findet vom 25. November bis 10. Dezember die internationale Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» statt. Die Aktionstage erinnern daran, dass Gewalt gegen Frauen auch im 21. Jahrhundert noch immer die Menschenrechtsverletzung Nummer 1 ist.  

In der Schweiz wurden im vergangenen Jahr 9761 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt, darunter auch 771 Kinder.

Gewaltspirale

Seit 2003 betreibt das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann die Fachstelle gegen Gewalt (FGG). Das habe «grosse Fortschritte» gebracht, bilanziert Patricia Schulz. Mitte Jahr wurde sie als erste Schweizerin in den UNO-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) gewählt. Ihre neue Tätigkeit nimmt sie am 1. Januar 2011 auf.

Wirkung zeigt laut der scheidenden «Madame Egalité» auch die Gesetzesverschärfung, seit der häusliche Gewalt als Offizialdelikt gilt, das die Behörden von Amtes wegen verfolgen müssen. Wird ein Mann gewalttätig gegen Frau und allenfalls Kinder, droht dem Aggressor die Ausweisung aus der gemeinsamen Wohnung.

2009 hat die Regierung rund 20 neue Massnahmen verabschiedet, um die Gewalt in den eigenen vier Wänden zu bekämpfen.

Das Problem könne sich deshalb so lange halten, weil häusliche Gewalt im Mangel an Gleichheit fest verankert sei, sagt Schulz. Die Gewaltspirale sieht sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Willen vieler Männer zu Dominanz und Herrschaft.

Lohnschere tut sich weiter auf

«Formal ist die Gleichstellung im Gesetz verankert, nicht aber im Alltag», bilanziert die Genfer Juristin. Die Berufswahl als Indikator verlaufe immer noch stark nach stereotypischen Mustern.

Auch die klassischen Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern existierten weiter. Trotz aller Bemühungen hat es das Gleichstellungsbüro des Bundes nicht geschafft, die Differenzen zu Ungunsten der Frauen auf unter 20% zu drücken.

Bei den Löhnen ist es in der Schweiz gar so, dass sich die Schere zwischen den Gehältern von Männern und Frauen weiter öffnet. Der UNO-Ausschuss über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte zeigte sich darüber alarmiert.

Die Lohnschere führt unter anderem dazu, dass in Branchen mit tiefen Löhnen Frauen übervertreten sind. Teils beträgt ihr Anteil bis 70%.

Zudem hat sich laut Patricia Schulz weder der Zugang der Frauen zu Kaderpositionen wesentlich verbessert noch sei ihre Vertretung in politischen Ämtern dauerhaft gestiegen.

Terminologie als Hebel

Wo harzt es genau? «Die Medien sind stark auf Aktualität und Events fokussiert. Die Gleichstellung dagegen ist ein langfristiges Thema», sagt Schulz. Die Herausforderung laute, neue Kommunikationsformen zu finden, um das Interesse am Thema wieder zu erwecken.

Sylvie Durrer, die ihr Amt als oberste Gleichstellungsbeauftragte beim Bund am 1. März 2011 antritt, ist nicht Juristin wie ihre Vorgängerin, sondern Linguistin. Ihre primäre Aufgabe sei die Umsetzung der rechtlichen Gleichstellung in der Beschäftigung, der Hebel dafür sei die Terminologie.

«Gleichstellungbüros begannen sich für die Sprache zu interessieren, weil sich viele Stelleninserate nur an männliche Interessenten richteten. Die ausschliessliche Verwendung der männlichen Sprachform ist aber kein taugliches Mittel, um alle Berufe allen zugänglich zu machen», sagt Durrer.

Verpufftes Potenzial

Sorgen bereiten ihr auch die Probleme der Frauen, berufliche Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen. «Frauen haben noch nicht den Platz, den sie verdienen. Unsere Gesellschaft verzichtet einerseits in der Wirtschaft auf einen Teil des weiblichen Potenzials, andererseits in der Familie auf einen Teil des männlichen Potenzials.»

Dies sei bedauerlich für die Menschen, aber schädlich für die Gesellschaft, ist Sylvie Durrer überzeugt.

Die Juristin mit Jahrgang 1949 arbeitete erst als Anwältin und lehrte an der Universität Genf.

Von 1994 bis 2010 leitete sie das eidgenössische Büro für Gleichstellung von Frau und Mann (EBG), das seit 1988 besteht.

Als erste Schweizerin nimmt sie ab 1. Januar 2011 Einsitz im UNO-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW).

Das 23-köpfige Gremium wacht über die Einhaltung der gleichnamigen Konvention, welche die UNO-Generalversammlung 1979 annahm und 1981 in Kraft setzte.

Die Doktorin der Sprachwissenschaften ist 1960 geboren.

1992-2001: Lehrtätigkeit an der Universität Zürich, zuletzt als Professorin.

2001 wurde sie Ko-Leiterin des Nachdiplomlehrgangs in Geschlechterstudien der Universitäten Genf und Lausanne.

2006-2010 war sie Gleichstellungsbeauftragte des Kantons Waadt.

Seit 1991 wird jedes Jahr vom 25. November bis 10. Dezember die Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» durchgeführt.

2003 schuf der Bundesrat die Fachstelle gegen Gewalt an Frauen (FGG).

Laut Cécile Bühlmann, ehemalige Nationalrätin der Grünen, ist die Gewalt eine der hauptsächlichen Todesursachen für Frauen zwischen 15 und 44 Jahren.  

Aufgrund einer neuen, einheitlichen Polizeistatistik wurden in der Schweiz im Jahr 2009 9761 Personen Opfer von häuslicher Gewalt, davon waren 771 Kinder. 8 von ihnen starben.

Im letzten Jahr beschloss die Schweizer Regierung rund 20 neue Massnahmen gegen häusliche Gewalt.

(Übertragen aus dem Französischen: Renat Kuenzi)

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