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Haiti: Schweizer Erfahrung bei Wiederaufbau gefragt

Der Wiederaufbau nach dem Erdbeben vom 12. Januar 2010 in Haïti kommt nur langsam voran. Reuters

Aufgrund ihrer Erfahrungen bei Naturkatastrophen hilft die Schweiz Haiti beim Wiederaufbau. Dazu eröffnete die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) ein Kompetenzzentrum. Leiter Bernhard Zaugg schildert die Mission.

Haiti-Experte Bernard Zaugg – er lebt schon seit 25 Jahren dort – hat lange für Nichtregierungs-Organisationen gearbeitet, die in diesem Land, einem der ärmsten der Welt, tätig sind.

Nach dem Erdbeben vom 12. Januar 2010, bei dem fast 300’000 Menschen ums Leben kamen und über eine Million obdachlos wurden, hat Zaugg die Leitung des Wiederaufbau-Kompetenzzentrums (Centre de Compétence Reconstruction CCR) übernommen, das von der Deza eröffnet wurde.

swissinfo.ch: Welche Rolle spielt das CCR beim Wiederaufbau?

Bernard Zaugg: Seit seiner Eröffnung im Juli 2010 arbeitet das CCR auf drei komplementären Ebenen.

Zum ersten bietet das Zentrum technische Hilfe an für Wiederaufbau-Projekte der Deza. Zweitens berät das CCR Nichtregierungs-Organisationen (NGO), vor allem schweizerische, die beim Wiederaufbau tätig sind.

Und drittens arbeitet das CCR mit dem haitianischen Ministerium für öffentliche Bauten zusammen, im Rahmen eines Informations- und Ausbildungsprogramms über die grundsätzlichen Regeln, die für erdbeben- und hurrikansichere Bauten berücksichtigt werden müssen.

Ziel ist es, bei der Bevölkerung und vor allem bei den Bauarbeitern einfache Botschaften anzubringen zur Qualitätsverbesserung der individuellen kleinen Bauten. Dazu werden zum Beispiel «technisch-humoristische» Spots im staatlichen Fernsehen verbreitet.

swissinfo.ch: Wurde zum ersten Mal ein solches Zentrum eröffnet?

B.Z.: Nach dem Erdbeben von 2005 in Pakistan hatte die Deza bereits ein solches Ausbildungs- und Informationsprogramm eingerichtet. Wir haben auch die Erfahrungen nach dem Tsunami von 2004 in Asien berücksichtigt.

Aber man muss den Kontext beachten, die Bautechniken sind von Land zu Land unterschiedlich. Die Schaffung des CCR ist die Konsequenz aus der Analyse der guten und schlechten Praktiken, die man bei früheren Katastrophen beobachten konnte.

swissinfo.ch: Ein Jahr nach dem Erdbeben in Haiti hat der Wiederaufbau immer noch nicht wirklich begonnen. Wo stehen Ihre Projekte?

B.Z.: Tatsächlich kommt der Wiederaufbau nur langsam voran; dies aus vielen Gründen. Die öffentliche Struktur des Landes ist schwach, sie war es schon vor dem Erdbeben. Ferner haben gewisse externe Akteure Entscheidungen getroffen, die nicht zu einer Stärkung dieser Struktur beigetragen haben. Viele Entwicklungs-Organisationen drängen dem Land ihre Ansichten zu den Problemen auf, was in Haiti eher schlecht ankommt.

Man muss aber auch differenzieren zwischen dem formellen und institutionellen Wiederaufbau, der kaum vom Fleck kommt, und dem privaten Wiederaufbau, der nicht auf staatliche Hilfe und die Publikation neuer Anti-Erdbebennormen wartet, um aktiv zu werden.

Die Deza ihrerseits hat beschlossen, ihre Aktivitäten auf die öffentlichen Infrastrukturen, namentlich Schulen, zu konzentrieren. Mitte Januar haben wir den Grundstein für zwei Schulen in Petit-Goâve und in Léogane gelegt. Bei dieser Gelegenheit betonte der Generaldirektor der haitianischen Primarschulen, er schätze die «horizontale» Hilfe der Schweiz sehr.

swissinfo.ch: Hat die Schweiz einen anderen Ansatz als die anderen in Haiti tätigen Akteure?

B.Z.: Bei unseren Kontakten mit den haitianischen Behörden erinnern wir ständig daran, dass wir eine kleine Entwicklungs-Organisation sind, mit begrenzten Mitteln. Gewisse Hilfsorganisationen mischen sich viel mehr ein und stellen Bedingungen für ihre Hilfe und Unterstützung. Das tut die Schweiz nicht. Wir schlagen zum Beispiel nicht die Restrukturierung eines Ministeriums vor.

Wir sind übrigens eine der wenigen bilateralen Hilfsorganisationen, die spezifische Erdbebenkompetenz an Ort und für längere Zeit zur Verfügung stellt, mit Ingenieuren und einem Architekten.

swissinfo.ch: Wäre es nicht vernünftiger gewesen, ein einziges Kompetenzzentrum zu schaffen?

B. Z.: In der Theorie ja. Es wäre rationeller, eine zentralisierte, koordinierte Infrastruktur zu haben. Doch dazu bräuchte es einen starken haitianischen Staat als, der in der Lage wäre, die Federführung zu übernehmen, oder einen externen Partner, der die Sache in die Hand nehmen würde.

Das hat man zum Teil von der interimistischen Aufbaukommission für Haiti erwartet. Es hat jedoch nicht wirklich funktioniert. Jeder Akteur hat seine eigene Vision und seine eigenen spezifischen Interessen.

swissinfo.ch: Es wurde viel Geld versprochen für den Wiederaufbau. Doch es fehlt an Projekten. Ist das nicht frustrierend?

B.Z.: Es gibt verschiedene Zeithorizonte für die Verwendung des Geldes. In der dringenden Phase hat die Schweiz 12 Millionen ausgegeben. Doch nach dieser Periode, während der es um Soforthilfe ging, bei der die Kosten nicht in erster Linie einer Rolle spielten, sind wir jetzt in einer anderen, wesentlich komplexeren Phase.

Wir hätten zum Beispiel von uns aus eine Schule bauen können. In Haiti ist vieles möglich, Kontrollen fehlen weitestgehend. Doch das ist nicht unsere Art, zu arbeiten.

Auch ein Jahr nach dem Erdbeben gibt es noch keine verbindlichen Normen für Schulhausbauten. Da muss man einräumen, dass das Erdbeben das Erziehungsministerium vollständig zerstört und rund dreissig Beamte getötet hat. Es ist schwierig für das Land, sich von einem solchen Schock zu erholen.

1804 trennt sich Haiti von Frankreich und erklärt seine Unabhängigkeit. Die Schweiz anerkennt das Land sofort.

1934 eröffnet Haiti ein Konsulat in der Schweiz (es gab bereits ein erstes Konsulat im 19. Jahrhundert). Die diplomatischen Beziehungen mit der Schweiz werden über die Botschaft in Paris sichergestellt.

1935, nach der Besetzung durch US-Truppen, eröffnet die Schweiz ein Honorarkonsulat, das 1959 in ein Konsulat umgewandelt wird. 2006 wird daraus ein Generalkonsulat, 2007 eine Botschaft.

Während dem Zweiten Weltkrieg vertritt die Schweiz die Interessen Haitis in verschiedenen Staaten, während 1964 bis 1967 in Kuba.

Der wirtschaftliche Austausch zwischen den beiden Ländern ist sehr moderat. Durch die gemeinsame französische Sprache sind Kontakte im religiösen, wissenschaftlichen und kulturellen Bereich entstanden. Beide Länder sind Mitglieder der internationalen Frankophonie-Organisation.

Die Entwicklungs-Zusammenarbeit wird grösstenteils von privaten karitativen Organisationen geleistet.

Die Schweiz ist aber auch im humanitären Bereich engagiert, da Haiti das ärmste Land des amerikanischen Kontinents ist.

2007 lebten 130 Schweizerinnen und Schweizer in Haiti.

2008 lebten 451 Haitianerinnen und Haitianer in der Schweiz.

(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)

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