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Hilfe für Mädchen in Schwierigkeiten

Höchstens 3 Monate Schutz und Unterkunft: Mädchenhaus Zürich. Mädchenhaus Zürich

Die Anzahl Mädchen und junger Frauen, die sich an das Mädchenhaus Zürich wenden, wächst. Das Haus ist die einzige Institution dieser Art in der Schweiz.

Die 14- bis 20-Jährigen sind häufig Opfer von körperlicher, psychischer oder sexueller Gewalt – überwiegend innerhalb ihrer eigenen Familien. Einige fliehen auch vor Zwangsehen.

Im Mai schockierte in Zürich der Fall der 16-jährigen Swera. Sie war von ihrem Vater mit der Axt erschlagen worden – ein Fall von so genanntem Ehrenmord. Die gut integrierte Tochter hatte Konflikte mit ihren aus Pakistan eingewanderten Eltern.

Solche Fälle seien rar, sagt Karin Aeberhard, Ko-Direktorin des Mädchenhauses Zürich. «Diese tragische Geschichte wäre ein typischer Fall für unser Haus gewesen. Doch oft können die jungen Frauen Hilfe erhalten, bevor die Situation derart eskaliert.»

Das Mädchenhaus besteht aus einem Wohnteil und einem Beratungsbüro inklusive 24-Stunden-Telefondienst. Der Wohnort wird aus Sicherheitsgründen geheim gehalten.

In 2009 haben 292 Mädchen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren Rat und Beistand erhalten – 10% mehr als im Vorjahr. Zwei Drittel der Mädchen stammen aus Einwandererfamilien.

Das Haus nahm 54 Mädchen auf. Gleich viele mussten abgewiesen werden, weil die Wohnkapazitäten überbelegt waren.

Vermehrte Aufmerksamkeit seitens der Behörden sei einer der Gründe, weshalb die Beratungen zugenommen hätten, so Aeberhard. «Anderseits nehmen die Mädchen heute diesen Dienst eher in Anspruch.»

Gewalt und keine Freiheit

Viele dieser Mädchen haben körperliche oder psychische Gewalt erfahren. Oft haben sie ohnehin keine grosse persönliche Freiheit, nach der Schule müssen sie sofort nach Hause, wo sie im Haushalt helfen.

«Die Mädchen sind besonders dann betroffen, wenn sie in die Pubertät kommen und Kontakt mit Jungen haben, wogegen sich die Eltern sträuben», sagt Aeberhard.

«Wir haben Mädchen, denen von der Familie mit der Rückschaffung in die Heimat gedroht wird, falls sie nicht parieren. Sogar wenn sie in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind.» Oder es wird ihnen eine Zwangsehe mit einem unbekannten Mann angedroht.

Oft führe der Vater die Strafen aus, und die Mutter wage es nicht, einzugreifen. Auch ältere Brüder mischten sich dabei ein.

«Wenn das Mädchen es nicht mehr aushält, vertraut sie sich einer Freundin, einer Lehrperson oder einem Sozialarbeiter an. Diese bringen dann das Mädchenhaus ins Spiel.»

Sicherheit für drei Monate

Das Mädchenhaus bietet für drei Monate vorübergehende Sicherheit. Diese Zeit ist für die Kinder oft eine Zeit gefühlsmässiger Verunsicherung, wie die folgenden Zeilen einer Bewohnerin illustrieren:

«Ich habe Angst, am Abend einzuschlafen und den nächsten Tag nicht mehr zu erleben. Ich fürchte Kreuzungen, an denen ich den falschen Weg einschlagen könnte. Ich fürchte Entscheidungen, die ich bald wieder bereuen könnte. Ich habe Angst, meine Schwäche, Liebe, mein Verständnis und mein schlechtes Gewissen zu zeigen.»

Während der drei Monate berät sich das Mädchenhaus mit den zuständigen Behörden, ob das Kind eventuell nach Hause zurückkehren könnte, möglichst mit einem Bestand, der den Prozess begleitet. Ist das nicht möglich, wird anderswo ein Unterkommen organisiert.

Rund die Hälfte der Mädchen, die 2009 im Mädchenhaus Zuflucht suchten, sind nach Hause zurückgekehrt.

Behördliche Hilfe

Im Anschluss an den Mordfall Swera kamen in Zürich Fragen auf, über den Umgang der Behörden mit diesem Fall. Denn die Familie war der Sozialhilfe bekannt gewesen.

Im Allgemeinen, so Aeberhard, bräuchten die Mädchen unterschiedliche Hilfeleistungen. Einige Sozialdienste in den Städten seien zwar imstande, gute Ratschläge zu erteilen. Doch die Behörden in kleineren Gemeinden hätten viel weniger Erfahrung in diesem Bereich, und «die Unterstützung lässt deshalb zu wünschen übrig».

Auch gebe es keine landesweite Organisation, die sich um solche Probleme kümmern würde. Man überlasse dies den Kantonen und Gemeinden.

Laut Aeberhard hat die Sensibilisierung für dieses Anliegen oberste Priorität, damit Öffentlichkeit und Behörden wüssten, wie sie helfen sollten. Besonders nützlich wäre die Präventionsarbeit in Schulen, damit betroffene Mädchen wüssten, wohin sie sich wenden könnten und welches ihre Rechte seien.

Auch die Finanzen seien ein Thema: «Es ist zuwenig Geld vorhanden, und die Mädchen werden zu schnell wieder in ihre Familien zurückgebracht, obschon die Konfliktsituation dieselbe geblieben ist. Oder sie werden irgendwo platziert, wo es günstiger, aber vielleicht nicht besser ist für sie,» sagt Aeberhard.

«Das ist ein grosses Problem, das die nächsten Jahre bestehen bleibt.»

Das Haus ist für Mädchen im Alter zwischen 14 und 20 Jahren gedacht.

Es gibt Wohnmöglichkeit für 7 Personen.

Gelebt wird ähnlich wie einer Wohngemeinschaft. Die Kinder haben Einzel- oder Zweierzimmer und teilen sich Küche, Badezimmer und Wohnräume.

Abends wird gemeinsam gekocht und gegessen.

Der Schulstoff wird aufgearbeitet, und jedes Mädchen hat wöchentlich wechselnde Pflichten im gemeinsamen Haushalt.

Wenn möglich sollten die Mädchen weiterhin die Schule, Arbeit oder Lehre fortsetzen.

Ist dies nicht möglich, wird eine interne Tagesstruktur angeboten (Hausaufgaben, Hobbys, Ausflüge).

Wöchentlich gibt es Gruppenabende, für Themen rund um Gewalt.

Am Wochenende gibt es gemeinsame Aktivitäten.

Jedes Mädchen erhält eine Hauptbetreuerin zugewiesen.

Man bleibt höchstens für 3 Monate.

Seit der Eröffnung 1994 haben mehr als 3700 Mädchen im Mädchenhaus Zuflucht gesucht.

(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

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