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Hochwasser: Dank Lehren von 2005 ohne Opfer

Das Hochwasser führte im Berner Oberland zwischen Frutigen und Kandersteg zu grossen Schäden. Keystone

Durch ein Zusammenspiel von Kältewelle und Erwärmung ist es in der Schweiz zu massiven Überschwemmungen gekommen. Dank der Massnahmen nach dem Jahrhundertwasser von 2005 sind diesmal aber keine Menschen zu Schaden gekommen.

Überflutete Strassen und Keller, Dutzende Evakuierte, gesperrte Bahnlinien, Schäden in Millionenhöhe. Dies ist die vorläufige Bilanz der Überschwemmungen, von denen die Schweiz zu Wochenbeginn heimgesucht wurde.

«Wir waren tatsächlich erstaunt über das Tempo und die Intensität dieses Ereignisses», sagt Edith Oosenbrug, Hydrologin beim Bundesamt für Umwelt (Bafu) in Bern.

Laut Thomas Kleiber, Meteorologe bei SF Meteo, war «eine spezielle, niederschlagsreiche Wetterlage aufgetreten. Wir hatten Wind aus Nordwest. Und da stellt sich der Alpenbogen genau quer zum Wind. Das heisst, die Wolken, die angefahren kommen, stauen sich.»

Weil zuerst eine Kaltfront viel feuchte Luft gebracht habe, sei Schnee bis weit hinunter gefallen, so Kleiber. «Und dann folgte eine Warmfront mit Regen. So schmolz dieser Schnee sehr schnell ab.»

Die Folge: Überschwemmungen, die in Teilen der Schweiz das «Jahrhundert-Hochwasser» von 2005 übertrafen. «Was wir Meteorologen unterschätzt hatten, war, wie schnell die Erwärmung vor sich ging und wie viel Regen die Warmfront noch brachte. Und so kam es zu sehr viel Wasser, das sehr schnell abfloss.»

Namentlich das Berner Oberland, die Bergkantone Ob- und Nidwalden, das St. Galler Toggenburg sowie einige Täler des Kantons Wallis waren von den Wassermassen betroffen. Im Kanton Bern mass das Bafu Wassermassen, wie sie im Durchschnitt nur alle hundert Jahre zu beobachten sind.

Gefahrenstufe 3

Das Umweltamt hatte denn auch für die Aare von Interlaken bis nach Bern die Gefahrenstufe 3, «erhebliche Gefahr», ausgegeben. Für den Brienzersee, den Kanton Uri und den Vierwaldstättersee, in den sich die Flüsse aus Ob- und Nidwalden entleeren, sowie für Sihl und Limmat in den Kantonen Schwyz und Zürich wurde Stufe 2, «mässige Gefahr» ausgerufen.

Städte blieben bisher mehr oder weniger verschont. Im Berner Mattequartier, das direkt an der Aare liegt, kamen Pumpen zum Einsatz. Am Nachmittag war das Wasser dann bereits im Aargau und in Basel.

Bereits am Montagabend hatte es geheissen, die Überschwemmungen überträfen von der Menge her jene des «Jahrhundert-Hochwassers» von 2005, als es über Tage hinweg stark geregnet hatte.

«An gewissen Flüssen, zum Beispiel an der Kander im Berner Oberland, sind die Abflüsse tatsächlich so gross wie 2005», so Oosenbrug.

Der Grund ist laut Meteorologe Kleiber darin zu finden, dass die Wassermenge diesmal sehr viel rascher zusammenkam. «Aber: die absolute Niederschlagsmenge sagt gar nicht unbedingt etwas aus, wie schlimm ein Hochwasser werden kann.»

«2005 war gesamtschweizerisch gesehen ein viel grösseres Ereignis: Es waren viel mehr Regionen betroffen, und die Abflüsse in den grösseren Flüssen waren viel höher», erinnert sich Wasser-Spezialistin Oosenbrug.

Keine Opfer

Damals hatten die Regenfälle in vielen Teilen der Schweiz zu massiven Behinderungen des Verkehrs und zu Schäden in Milliardenhöhe geführt. Sieben Menschen waren ums Leben gekommen. Danach wurden diverse Massnahmen ergriffen, damit es ein nächstes Mal nicht mehr soweit kommen sollte.

«Einerseits wurden auf kantonaler Ebene an verschiedenen Orten wasserbauliche Massnahmen getroffen, zum Beispiel der Hochwasser-Entlastungsstollen am Thunersee oder Verbauungen an der Engelberger Aa. Auf nationaler Ebene wurden vor allem die Organisation für die Ereignisse und die Vorhersage-Modelle verbessert», so Edith Oosenbrug.

Diesmal kam glücklicherweise niemand zu Schaden, nicht zuletzt auch dank der Lehren von 2005. «Das Wichtigste der Massnahmen ist, Menschenleben zu schützen. Und man kann davon ausgehen, dass das jetzt funktioniert hat», sagt Oosenbrug.

Künftig mehr Hochwasser?

2005 ein «Jahrhundert-Hochwasser», 2011 bereits ein weiteres. In den letzten Jahren haben sich die Naturkatastrophen gehäuft. Und auch in Zukunft ist laut Meteorologe Thomas Kleiber wohl mit mehr Hochwassern zu rechnen: «Wenn grundsätzlich eine Erwärmung da ist, fällt der Niederschlag häufiger bis in grosse Höhen als Regen und kommt dann schneller zum Abfluss. Aber ob sich dann diese Wetterlagen auch tatsächlich einstellen, kann man nicht sagen.»

Die Frage stellt sich somit, ob zusätzliche Massnahmen nötig sind. «Es laufen zurzeit noch weitere Massnahmen», sagt Hydrologin Oosenbrug. So etwa Bauarbeiten zum Hochwasserschutz an Linth und Rhone. «Für die Planung von langfristigen Massnahmen muss man sich aber überlegen, wie die Schweiz überhaupt mit einem veränderten Wasserhaushalt umgeht. Seien das längere Trockenperioden oder vermehrte Hochwasser-Ereignisse.»

Mit dem Ende der Regenfälle am Dienstagnachmittag entspannte sich die Situation in den betroffenen Gebieten zusehends. Nun wird aufgeräumt. Laut Agenturen bietet sich in verschiedenen Dörfern im Walliser Lötschental und im Berner Kandertal «ein Bild der Zerstörung». Diverse überflutete Strassen und Bahnlinien werden wohl noch während mehreren Tagen nicht benutzbar sein.

14./15.10.2000: Nach anhaltendem Regen reisst ein Erdrutsch Teile des Dorfes Gondo (Wallis) mit sich, 13 Menschen kommen ums Leben. Drei weitere Personen sterben bei Überschwemmungen an anderen Orten im Wallis. Der Schaden beläuft sich auf 670 Mio. Franken.

16.11.2002: Anhaltende und heftige Niederschläge verursachen in der ganzen Schweiz Erdrutsche und Überschwemmungen. In Schlans (Graubünden) fordert ein Erdrutsch mehrere Verletzte. Gotthard-und Simplonbahn werden unterbrochen. In Lully bei Genf müssen etwa 100 Personen wegen Hochwassers evakuiert werden.

16.7.2003: Heftige Hitzegewitter verursachen vor allem in der Region oberer Zürichsee-Ostschweiz Schäden. In Jona (S. Gallen) wird eine Frau von einem umstürzenden Wohnwagen erschlagen.

29.8.2003: Schwere Unwetter suchen das Tessin heim. Es kommt zu Erdrutschen im Blenio-Tal. Eine Person kommt ums Leben.

3.6.2004: Nach anhaltenden Regenfällen tritt die Aare zwischen Thun und Bern an verschiedenen Stellen über das Ufer. Das Berner Mattequartier wird gesperrt. In Obwalden überflutet der Sarnersee den Bahnhof Sachseln. Ein zehnjähriger Bub ertrinkt in Wasen (Bern) in einem reissenden Bach.

21.-23.8.2005: Heftige Regenfälle richten in mehreren Regionen der Schweiz grosse Schäden an. Strassen- und Bahnlinien durch die Alpen werden unterbrochen. Insgesamt kommen sieben Personen ums Leben. Teile von Bern, Luzern, Sarnen und Engelberg stehen unter Wasser. Die Gesamtschäden belaufen sich auf 2,5 Mrd. Franken.

Sommer 2007: Zwischen Juni und August überqueren zahlreiche Gewitterfronten mit Hagelzügen die Schweiz, die teils schwere Schäden hinterlassen. Am 8. Juni kommen in Huttwil und Eriswil (Bern) drei Menschen bei Überschwemmungen ums Leben. Am 8.8. wird die Schweiz von den schwersten Unwettern seit zwei Jahren heimgesucht.

17.7.2009: Starke Gewitter, Regen, Hagel und Sturmwinde verursachen in mehreren Regionen der Schweiz Schäden und behindern den Verkehr. In Grafenort (Nidwalden) werden zwei Kinder vom stark angeschwollenen Bach mitgerissen und ertrinken.

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