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Homosexuell, Nigerianer, Asylsuchend – die Geschichte des O.

Mitglieder von Homosexuellen-Organisationen demonstrieren auf dem Bundesplatz in Bern für das Bleiberecht von O.. Raphael Moser / relational

O.* sitzt seit einigen Wochen im Gefängnis. Leute, die ihn regelmässig besuchen, sagen, er habe in dieser Zeit um mehrere Jahre gealtert. Er sagt, er habe in der Schweiz Asyl beantragt, weil er schwul sei und die Leute in seinem Dorf - auch sein Vater – ihn deswegen hätten umbringen wollen.

Nach der Ablehnung seines Asylantrags tauchte er unter, wurde schliesslich aufgegriffen und landete im Gefängnis. Nun wartet er dort auf den Entscheid, ob er zwangsweise nach Nigeria zurückgeführt wird.

Heute sieht der Mann, der auf der anderen Seite der Glasscheibe sitzt, müde aus, aber aufmerksam, erpicht darauf mit, jemandem – irgend jemandem – zu reden und zu erfahren, was sich draussen abspielt. Er hat die Proteste vor seinem Fenster gehört, bei denen seine Freilassung gefordert wurde und sucht nach Vergewisserung, dass dabei niemand seinetwegen verletzt oder festgenommen wurde.

Danach beginnt er, seine Geschichte zu erzählen, deren Details von unabhängiger Seite her schwer zu überprüfen sind.

Er und sein Freund verliessen Lagos 2009, weil es ihnen nicht gelungen war, sich in der Stadt vor denen zu verstecken, die sie tot sehen wollten. Jemand hatte sie über ihren Vermieter gefunden, und deshalb mussten sie dort wegkommen.

Also heuerten sie Schmuggler an, die sie nach Marokko brachten, von wo aus sie schliesslich mit einem Boot nach Spanien gelangten. Dort sagte ihnen jemand, sie würden in Spanien nie Arbeit finden, sie sollten besser einen Bus voll mit weiteren Migranten besteigen, der in die Schweiz fahre. Nach zwei Tagen Reise dort angekommen, fragten sie die erste dunkelhäutige Person um Hilfe. So kamen sie ins Asylzentrum in Vallorbe im Kanton Waadt.

«In Vallorbe glaubten sie mir nicht, was ich ihnen erzählte», erklärt O. gegenüber swissinfo.ch. «Ich berichtete, wie ich von den Leuten in meinem Dorf geschlagen wurde. Dass sie mich eine Abscheulichkeit nannten, und sagten, wenn es Missernten gebe oder Frauen beim Gebären sterben würden, sei das wegen [mir und meinem Freund].»

Er zieht sein Hemd hoch, um die langen Narben zu zeigen, die sich über seinen Rücken ziehen. Die Narben kämen von den Schlägen, sagt er.

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Anträge abgelehnt 

Der Asylantrag von O. wurde prioritär abgewickelt, unter einem neuen System, das im Jahr zuvor im Rahmen der Migrationspartnerschaft zwischen der Schweiz und Nigeria eingeführt wurde. In seinem Fall bedeutete dies, dass der negative Bescheid schon kurz nach seinem Interview mit den Migrationsbehörden vorlag. O. sagt, sein Antrag sei abgelehnt worden, weil die Migrationsbehörden ihm seine Geschichte nicht geglaubt hätten.

Als O. versuchte, auf eigene Faust Rekurs gegen den Entscheid einzulegen, sagte ihm sein Anwalt, dass er ohne Pass oder Beweise (wie Fotos), dass er und sein Partner sich gekannt und eine Beziehung gehabt hatten, keine Chance habe. O. sagt, er habe keine solchen Belege, denn bei der Flucht aus Nigeria «rannte ich um mein Leben».

Bei einem zweiten Rekursantrag 2013, dieses Mal mit Hilfe einer Schweizer Organisation, die Migranten unterstützt, glaubten ihm die Migrationsbehörden zwar seine Geschichte. Der Rekurs wurde aber dennoch abgelehnt, mit der Begründung, dass er seinen Lebensstil in seiner Heimat «diskret» ausüben und damit einer Verfolgung entgehen könne.

Martin Reichlin vom Bundesamt für Migration kann sich zum individuellen Fall von O. nicht äussern, erklärt aber, die Praxis der Annahme, dass Homosexuelle in ihren Herkunftsländern unbemerkt ihr Leben leben könnten, sei in der Schweizer Asylpraxis «vor etwa vier Jahren» aufgegeben worden. Dies sei heute keine Begründung mehr, um einen schwulen Asylbewerber abzulehnen, sagte Reichlin.

Flucht vor Abschiebung

Aus Angst vor dem, was ihm bei einer Abschiebung nach Nigeria drohen würde, tauchte O. unter, nachdem sein erster Rekurs abgelehnt worden war. Unter jüngst erlassener Gesetzgebung drohen Homosexuellen in Nigeria neben Gewalt und Diskriminierung rund 14 Jahre Gefängnis. O. erzählt, sein Freund, der aus der Schweiz ausgewiesen wurde, sei danach in Nigeria zu exorzistischen Ritualen gezwungen worden, unter anderem sei er nackt auf einem Karren durch sein Dorf geschleppt worden und habe der Homosexualität auf immer abschwören müssen.

Organisationen wie Human Rights Watch bezeichnen die Lage für Homosexuelle in Nigeria als «gefährlich», vor allem, seit Anfang dieses Jahres ein neues, umfassendes Gesetz gegen Homosexualität erlassen wurde. Die Nachrichtenagentur Associated Press berichtete im März, vier junge Männer, die wegen Schwulensex verurteilt wurden, seien zur Strafe im Gerichtssaal ausgepeitscht worden.

O. landete schliesslich in Genf, wo er in der Wohnung eines Bekannten Unterschlupf fand. Als die Polizei in der Wohnung wegen des Verdachts auf Drogenhandel eine Razzia durchführte, wurde O. aufgegriffen. Jetzt sitzt er im Gefängnis, weil er sich illegal in der Schweiz aufgehalten hatte. Er besteht darauf, nicht gewusst zu haben, was sich in der Wohnung abgespielt habe, er habe diese nur als Platz zum Schlafen genutzt.

Heute bessere Chancen

Seit er von der Polizei aufgegriffen wurde, sitzt er hinter Gittern, während Interessengruppen versuchen, seine Abschiebung zu verhindern. Sie glauben, dass seine Situation anders wäre, wenn er statt vor vier Jahren erst heute in die Schweiz gekommen wäre: Die Asylpolitik gegenüber Homosexuellen habe sich entwickelt, die Befindlichkeiten hätten sich generell verbessert. Schwulen Asylsuchenden aus Ländern, in denen Homosexuelle verfolgt würden, sage man heute nicht mehr, dass sie in ihre Heimat zurückzukehren und ein diskreteres Leben führen könnten. Doch weil der Entscheid im Fall von O. bereits gefallen ist, und er gegen das Gesetz verstossen hat, scheint sein Schicksal besiegelt.

Unterstützer von O. konnten allerdings verhindern, dass er – weil er keinen Pass besitzt – ein so genanntes Laissez-Passer-Dokument unterzeichnen musste, das seine Abschiebung leichter machen würde. Am 10. Mai reichten sie beim Bundesamt für Migration in seinem Namen ein neues Asylgesuch ein. Ein Schritt, der laut Reichlin «in der Regel dazu führt, dass der Abschiebungsprozess ausgesetzt wird», während das neue Gesuch bearbeitet wird.

Ende Mai entschied die Behörde tatsächlich, die Ausschaffung O.s temporär auszusetzen. Dieser sitzt aber nach wie vor im Gefängnis und wartet auf Nachrichten von draussen.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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