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«Ich darf nicht Mutter sein, zusammen mit einer Frau, die ich liebe»

Zwei Frauen schubsen ein Kind auf einer Schaukel.
Trotz der Möglichkeit, das Kind des Partners oder der Partnerin zu adoptieren, werden Regenbogenfamilien nach wie vor gesetzlich diskriminiert. © Keystone / Gaetan Bally

Homosexuelle, die Eltern werden wollen, haben in der Schweiz einen steinigen Weg zu gehen. Von Gleichbehandlung kann keine Rede sein, das Gesetz weist Mängel auf und zeichnet sich durch schwerfällige Verfahren aus. Gleichgeschlechtliche Paare setzen ihre Hoffnung auf das Projekt der "Ehe für alle", mit dem sich das neue Parlament beschäftigen muss.

«Ich dachte lange, ich hätte kein Recht dazu. Meine Partnerin hingegen sprach schon sehr früh von der Möglichkeit, ein Kind zu bekommen», erinnert sich Véronique*. Nach vielen Überlegungen, langen und kostspieligen Schritten und vielen Emotionen verwirklichten Véronique und Julie*, seit 2013 in einer eingetragenen Partnerschaft, ihren gemeinsamen Wunsch, eine Familie zu gründen.

Samenbank im Ausland

In der Schweiz ist der Zugang zur medizinisch assistierten Reproduktion verheirateten heterosexuellen Paaren vorbehalten. Die beiden Frauen aus dem Kanton Bern prüften mehrere alternative Lösungen. «Wir haben zuerst an eine private Samenspende gedacht und ein männliches Paar gefragt. Doch dieses zeigte kein Interesse an dem Vorhaben», erzählt Véronique.

Mehr als zwei Elternteile?

«Ideal wäre es, wenn man vier Eltern haben könnte», sagt Fabien*. Der 45-jährige Berner lebt mit einem Mann und ist Vater eines siebenjährigen Sohns. «Seine Mutter ist meine beste Freundin, seit ich ein Teenager bin. Wir sind beide homosexuell und hatten den Wunsch, Eltern zu sein», erklärt er. In diesem Fall sind weder der Zugang zur medizinischen Fortpflanzung noch das Adoptionsverfahren ein Thema. Fabien und seine beste Freundin bauten ihr Co-Elternschaft-Projekt gemeinsam auf. Ihre jeweiligen Partner waren nicht immer beteiligt und können per Gesetz nicht als Eltern anerkannt werden, denn mehr als zwei Eltern sind gesetzlich nicht möglich. Fabien findet, dass dies zu überdenken sei: «Heute ist es nicht ungewöhnlich, dass Kinder mit mehr als zwei Erwachsenen aufwachsen, in Regenbogenfamilien wie in anderen Familien», sagt Fabien. Derzeit gewährt kein Land die Möglichkeit, mehr als zwei legale Eltern zu haben.

Das Paar wandte sich schliesslich an eine Fertilitätsklinik in London. «Wir stellten fest, dass die englische Gesetzgebung der Schweiz diesbezüglich ähnlich ist: Die Spende ist nicht anonym. Sobald unsere Tochter volljährig sein wird, kann sie Informationen über den Spender anfordern, wenn sie das möchte. Diese Möglichkeit war für uns sehr entscheidend», so Véronique.

Für die Insemination mussten die beiden Frauen zum richtigen Zeitpunkt des Hormonzyklus von Véronique in die britische Hauptstadt reisen. Es klappte beim ersten Versuch. «Wir hatten Glück», sagt Véronique. Zusammen mit Julie sind die beiden nun Mütter eines dreijährigen Mädchens. Doch ist ihr Weg zu einer gesetzlichen Anerkennung als Familie noch nicht zu Ende.

Langwieriges und kostspieliges Adoptionsverfahren

Bis Ende 2017 konnte nur Véronique, die biologische Mutter des Kindes, als juristische Mutter anerkannt werden. Dank einer Revision des Adoptionsgesetzes, die am 1. Januar 2018 in Kraft getreten ist, ist es Homosexuellen nun möglich, das Kind ihres Partners oder ihrer Partnerin zu adoptieren.

Damit auch Julie per Gesetz als Mutter des kleinen Mädchens anerkannt wird, musste diese ein Adoptionsverfahren einleiten, das keineswegs eine einfache Verwaltungsformalität ist. Erstens schreibt die Gesetzgebung bestimmte Vorbedingungen vor: Die Eltern müssen drei Jahre zusammengelebt haben und das Kind muss mindestens ein Jahr alt sein.

«Einerseits ermöglicht diese Verzögerung den Behörden sicherzustellen, dass beide Elternteile sich tatsächlich für das Kind engagieren», sagt Véronique. Im Falle des Todes der biologischen Mutter könnten durch diese Verzögerung allerdings Probleme auftreten: «Meine Eltern könnten beispielsweise ihren Anspruch auf das Kind geltend machen. In unserem Fall wäre dies glücklicherweise nicht der Fall, weil unsere Familien uns unterstützen.»

Das Verfahren variiert je nach Kanton oder Sprachregion: In einem ersten Schritt muss eine Vielzahl an DokumentenExterner Link zusammengetragen werden. Dazu gehören unter anderem ein Strafregisterauszug, eine Bescheinigung des Betreibungsamts, eine Kopie der Steuererklärung, ein ärztliches Attest und eine ausführliche BiographieExterner Link. Die Familie wird anschliessend befragt, dazu gehört ein Hausbesuch und – sofern das Kind älter als sechs Jahre ist – eine Anhörung des KindesExterner Link. Das ganze Verfahren kostet die Familien auch einiges, je nach Kanton zwischen 1000 und 3500 Franken.

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Eine ungeeignete Bestimmung

Die Bestimmung ist die gleiche wie die aus dem Jahr 1973 für Patchwork-Familien. «In den meisten Fällen ist es ein Stiefvater, der die Kinder seiner Frau adoptiert, während der biologische Vater unbekannt oder verstorben ist oder sich nicht mehr engagiert. Es ist ein Verfahren, das überhaupt nicht an die Realität der Regenbogenfamilien angepasst ist», sagt Catherine Fussinger, Co-Präsidentin des Dachverbandes RegenbogenfamilienExterner Link.

«Manchmal werde ich wütend, weil ich wie jemand behandelt werde, der sich beweisen muss.» Véronique *

Die Organisation versucht, sowohl die Behörden auf die Besonderheiten gleichgeschlechtlicher Familien aufmerksam zu machen, als auch letztere bei der Adoption zu unterstützen. Ihr sind keine Verfahren bekannt, die zu einer negativen Entscheidung geführt hätten. Aber viele Anträge sind hängig. Das lange Warten beeinträchtige die Einheit und Identität der Familie, sagte Maria von Känel, die Direktorin der Organisation, kürzlich an einer PressekonferenzExterner Link. Ausserdem muss das Verfahren für jedes neue Kind der Familie wiederholt werden.

Véronique und Julie warten noch auf eine Antwort der Behörden. Während dieser Zeit fehlt es der Familie an einer adäquaten rechtlichen Absicherung. «Manchmal werde ich wütend, weil ich wie jemand behandelt werde, der sich beweisen muss. Wäre ich eine alleinstehende Frau, hätte ich das Recht, als Mutter anerkannt zu werden. Mit einer Frau, die ich liebe, steht mir dieses Recht aber nicht zu», sagt Véronique.
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«Ehe für alle« als Lösung

Um die fortbestehenden Ungleichheiten zu beseitigen, setzen sich die LGBTIQ-Rechtsverbände für die Einführung einer «Ehe für alleExterner Link» ein, die Homosexuellen die gleichen Rechte wie Heterosexuellen garantieren würde. Dazu gehören der Zugang zur Adoption sowie zur medizinischen Fortpflanzung und die Anerkennung des Kindesverhältnisses zu beiden Elternteilen ab Geburt für lesbische Paare. So wäre es nicht mehr nötig, auf ein Adoptionsverfahren zurückzugreifen, die Frau der biologischen Mutter würde automatisch als zweite juristische Mutter anerkannt.

Die Leihmutterschaft wäre weiterhin verboten, wie in den meisten europäischen Ländern. Einige männliche Paare umgehen dieses Verbot jedoch, indem sie hierfür ins Ausland reisen. Viele Männer entscheiden sich auch für ein Co-Elternschaft-Projekt mit einer Frau.

Auf politischer Ebene bleibt die Situation ungewiss. Am 30. August sprach sich die Rechtskommission des Nationalrats (grosse Parlamentskammer) für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aus – unter Ausschluss des Zugangs zu medizinischer Fortpflanzung. In der Vernehmlassung zogen die meisten Parteien eine Vollversion vor, einschliesslich des Zugangs zur Samenspende.

Der Nationalrat wird frühestens im März 2020 darüber abstimmen. Der Ball liegt nun also beim neu gewählten Parlament.

*Pseudonym

Und im Ausland?

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Wie der Dachverband RegenbogenfamilienExterner Link betont, gewähren 11 westliche Länder gleichgeschlechtlichen Paaren nicht nur die Ehe, sondern auch alle damit verbundenen Elternrechte: inner- und ausserfamiliäre Adoption, Zugang zu Fortpflanzungsmedizin, Anerkennung des Kindesverhältnisses zu beiden Elternteilen ab Geburt.

Die Schweiz ist eines der vier westeuropäischen Länder, das homosexuellen Partnern am wenigsten Rechte gewährt. Sie liegt knapp vor Griechenland, Liechtenstein und Italien, die gleichgeschlechtlichen Paaren das Recht auf eine Zivilunion zugestehen, ihnen aber sämtliche Elternrechte verweigern, wie die Grafik zeigt.

«Unser Land findet sich mit seinen grossen Nachbarn in schlechter Gesellschaft», sagt Catherine Fussinger. In der Tat haben Frankreich und Deutschland die Ehe zwar für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Doch haben Letztere immer noch keinen Zugang zur medizinischen Fortpflanzung. Trotz hitziger Debatten und Demonstrationen von Gegnern könnte Frankreich nächstes Jahr den Sprung wagen: Die Nationalversammlung hat gerade «Ja» zur medizinischen Fortpflanzung für alle gesagt, der Senat wird im Januar darüber befinden.

(Quelle: Dachverband RegenbogenfamilieExterner Link)

(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)

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