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Hydromilliarden für arme Berggemeinden

Die Wasserkraftzentrale von Mottec bezieht ihr Wasser vom Moiry-Stausee im Val d'Anniviers im Wallis. Keystone

Nicht alle Berggemeinden sind arm. Einige sitzen auf einem kostbaren Rohstoff: Wasser. Dafür kassieren sie jährlich Wasserzinsen, und künftig werden Milliarden fällig für die Erneuerung der Konzessionen: Der Geldsegen kann aber zum Fluch werden.

Zahlreiche Berggemeinden vergeben Konzessionen für die Nutzung der Wasserkraft auf ihrem Gebiet. Jährlich erhalten sie dafür Wasserzinsen. Daneben handelten die Gemeinden mit den Stromunternehmen lange Konzessionszeiten von üblicherweise 80 Jahren aus.

Ab 2030 laufen viele dieser Konzessionen aus. Dabei erlischt nicht nur das Nutzungsrecht für die Energiefirmen. Im Jargon nennt sich das «Heimfall». Da besonders kleine Gemeinden die Nutzung kaum selbst in die Hand nehmen können, bieten sie neue Konzessionen an und verzichten somit auf den Heimfall. Dafür werden sie dann von der Energiefirma entschädigt – wie viel, ist Verhandlungssache.

Diese langwierigen administrativen Abläufe müssten teils viele Jahre im Voraus geplant werden, sagt Roger Pfammatter vom Schweizerischen Wasserwirtschaftsverband swv: «15 Jahre sind üblich.» Denn zusätzlich zu den jährlich anfallenden Wasserzinsen und Gebühren, die in vielen Gemeinden der Wasserschloss-Kantone Graubünden und Wallis über die Hälfte des Gemeindebudgets decken, fällt mit dem Konzessionsende oft ein einmaliger Geldsegen an.

Gewaltiger, einmaliger Geldsegen

Gegenüber der Zeitung Walliser Bote schätzte Alpiq-Vertreter Jörg Aeberhard dieses einmalig anfallende «Heimfallsubstrat» für den Kanton auf rund 20 Milliarden Franken. Im Kanton Wallis falle in den kommenden Jahren besonders viel Substrat an, bestätigt Matthieu Buchs vom Bundesamt für Energie gegenüber swissinfo.ch.

Um welche Beträge es sich gesamtschweizerisch handelt, scheint indes niemand genau zu wissen. Das hat seine Gründe: Erstens ist die Wasserhoheit laut Verfassung Kantonssache. Zweitens hängt die Summe vom Zeitpunkt des Heimfalls und den früheren Einschätzungen der Strommärkte ab. Und drittens ist die Entschädigung der Gemeinde, wenn sie auf den Heimfall verzichtet, gesetzlich nicht geregelt, also Verhandlungssache.

Über 90 der rund 140 Walliser Gemeinden sind so genannte Konzessionsgemeinden, erhalten also irgend einmal auch «Heimfallsubstrat». In Graubünden sind es rund 120. Und wie viel die Gemeinden bei den Konzessionsverhandlungen tatsächlich zu sagen haben, so Pfammatter, sei ebenfalls kantonal unterschiedlich geregelt.

Gesamtschweizerisch bekannt sind hingegen die laufenden Einnahmen aus Abgaben, Wasserzinsen und Steuern. Pro Jahr betragen diese rund 500 Mio. Franken.

Das Gros entfällt auf die Gebirgskantone. Graubündens Anteil an der gesamtschweizerischen Wasserkraftproduktion beträgt 22%, jener des Wallis 27% und jener des Tessins 11%. Ein wichtiger Produzent mit 8% ist auch der Kanton Bern.

Geweckte Begehrlichkeiten

Wie sollen nun diese einmaligen Milliarden-Geschenke verwendet werden? Solche Summen wecken Begehrlichkeiten: In der 367 Seelengemeinde Finhaut im oberen Trient-Tal im Unterwallis ist laut NZZ am Sonntag der Dorffrieden in Gefahr. Gestritten wird um 112 Millionen Franken, welche die Gemeinde 2017 nach dem Heimfall der hundertjährigen Konzession erhalten soll.

Auch den anderen vier Gemeinden im Trient-Tal werden insgesamt rund 230 Mio. Franken «heimfallen». Wie diese verwendet werden, ist noch unklar.

Oft reden auch die Kantone ein Wörtchen mit und verlangen ihren Anteil am Geldsegen, für den innerkantonalen Finanzausgleich.

Aber auch die reichen Kantone melden bereits ihr Interesse an: Im nationalen Finanzausgleich werden diese «geschenkten Heimfall-Milliarden» bisher nicht berücksichtigt. Die armen, vom Finanzausgleich profitierenden Wasserkantone wehren sich gegen einen Einbezug, obschon sie ihn innerkantonal praktizieren.

Mitreden will natürlich auch der Konzessionär, der die Rechnung schliesslich zu bezahlen hat. » Von den Gestehungskosten von rund 5 Rappen pro Kilowattstunde Wasserkraft entfällt heute mehr als die Hälfte auf Wasserzins und Steuern», sagt Pfammatter. «Kommen die Heimfallverzicht-Fragen dazu, müssen die Energiekonzerne nochmals Millionen bis Milliarden bezahlen. Auch das schlägt sich dann auf den Preis.»

Kreatives Beispiel Staldenried

Einen wesentlichen Schritt weiter ist die Gemeinde Staldenried im Oberwallis. Bereits 1992 hatten die Vorarbeiten begonnen, und im Januar 2011, also 19 Jahre später, kam die Genehmigung durch den Kanton. Das Resultat kann sich sehen lassen, es beruht auf einer Partnerlösung der beteiligten Gemeinden mit der Energieunternehmung.

«Die vier Gemeinden Eisten, Staldenried, Stalden und Saas-Balen haben eine neue Partnergesellschaft gegründet, an der auch die bisherige Konzessionsinhaberin beteiligt ist,» sagt der Staldenrieder Gemeindepräsident Alban Brigger gegenüber swissinfo.ch.

Die Gemeinden hätten ihre Wasserrechte und ihren Teil der Anlagen eingebracht, den sie durch Heimfall erhalten hatten, und die alte Konzessionsinhaberin hat ihren Anlagenteil eingebracht, für den sie Anspruch auf eine gewisse Entschädigung gehabt hätte.

Die Gesellschaft nennt sich Ackersand 1 AG, wobei die Gemeinden mit 70% die Mehrheitspartner seien. «Entsprechend dieser Anteile haben die Gemeinden dann auch Anspruch auf 70% der produzierten Energie.» Die ehemalige Konzessionsinhaberin kann diese mit Vorzugsbedingungen kaufen.

«Die Gemeinden hätten nochmals für 80 Jahre eine Konzession ausschreiben und sie dem Meistbietenden wie der Axpo oder der Alpiq verkaufen können», so Brigger, «aber dank unserer AG haben die Gemeinden die Gewähr, selber über die Energie bestimmen zu können.»

Und gleichzeitig konnte dank der Gelder aus dem Heimfall die Nettoschuld der Gemeinde Staldenried in ein Nettovermögen umgewandelt und die Steuerbelastung markant reduziert werden.

Am 25. Mai wird der Bundesrat seine Energieszenarien präsentieren. Im Juni folgt dann eine Sondersession zum Thema.

In der Frühlingssession hat es 70 (!) neue Vorstösse zu Energiefragen gegeben. Das Parlament steht vor einer grossen Herausforderung.

Roger Pfammatter vom swv weist auf das laufende Wahljahr hin und befürchtet, dass auch viel Profilierungs-Bedürfnis vorhanden ist: «Pro Rat sind drei Stunden Sondersession vorgesehen – aus meiner Wahrnehmung ein Witz!»

Unter anderem dürfte es um die CO2-Emissions-Frage gehen (Treibhausgas). Die CO2-Emissionsziele sind nach Fukushima in Frage gestellt, da die Atomenergie zwar wenig CO2 emittiert, aber dennoch umweltpolitisch fragwürdig geworden ist.

Die Schweiz hat bisher einen grossen Teil ihrer CO2-Emissionen im Ausland kompensiert, und dafür einfach Geld bezahlt. Wenn nun zusätzliche CO2 emittierende Gaswerke in der Schweiz gebaut werden sollen, möchte die Energiebranche, dass die Kompensation vollständig im Ausland erfolgt.

Das Parlament jedoch möchte die Senkung der CO2-Emissionen mit Massnahmen im Inland erreichen.

Weitere Themen könnten die Frage der vollständigen Liberalisierung des Strommarkts in der Schweiz und die Verhandlungen mit der EU über ein bilaterales Energieabkommen sein.

Im Strommix der Schweiz macht die Wasserkraft mehr als 50% den grössten Anteil aus. Dieser Anteil war früher noch grösser.

Ausserdem handelt es sich bei der Wasserkraft um eine nachhaltige Energieform.

Es folgt mit einem Anteil von 40% die Atomkraft.

Laut den Umweltverbänden, die am 12. Mai ihre Energie-Ideen präsentierten, ist «Wasserkraft zwar nach wie vor die stützende Energiequelle der Schweiz», doch müsse sie nur minim ausgebaut werden.

Laut ihnen ist ohnehin 95% der ökologisch sinnvoll umsetzbaren Wasserkraft bereits genutzt.

Den Umweltverbänden wird vorgeworfen, sie verhindern die Diversifikation der Energiequellen in der Schweiz, weil sie zahlreiche neue Projekte mit Einsprachen blockieren.

Das habe zur Folge, dass auch der Atomstrom-Anteil hoch bleibe.

Bis in die 90er-Jahre haben zahlreiche Umweltverbände auch die Wasserkraft wegen den Staumauern und Stauseen kritisch betrachtet und sich gegen Projekte, die eine Erhöhung der Staumauern vorsahen, gewehrt.

Stichworte: Restwasser-Diskussionen, alpine Landschaft, Naturschutz, Grimsel-Ausbau.

Erst als sich die Priorität des Nachhaltigkeitsdenkens durchzusetzen begann, wurde das Wasser wegen seiner Regenerierbarkeit als Energiequelle auch umweltpolitisch akzeptabler.

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