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«Ich weiss nicht, ob ich morgen noch am Leben bin»

Kasha Nabagesera ist die Gründerin und der Kopf der Menschenrechts-Organisation rights organisation Freedom and Roam in Uganda. Keystone

Kasha Nabagesera hat in Genf den 20. Martin-Ennals-Preis für Menschenrechtler erhalten. Die ugandische Aktivistin wurde für ihr Engagement zugunsten von Homosexuellen in Uganda ausgezeichnet.

Einer ihrer Mitstreiter wurde ermordet. Sie und andere Homosexuelle wurden in den Medien mit Fotos und dem Aufruf «Hängt sie!» verspottet. Jede Woche ändert sie aus Todesangst ihren Wohnsitz.

Kasha Nabagesera ist die Gründerin und Präsidentin von «Freedom and Roam», einer Organisation zum Schutz der Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT) in Uganda. Dieses gefährliche Engagement wurde letzte Woche in Genf von der Jury des Ennals-Preises für Menschrechtler honoriert.

swissinfo.ch: Was bedeutet es, in Uganda homosexuell zu sein?

Kasha Nabagesera: Homosexuelle sind täglich Belästigungen ausgesetzt. Ob es öffentliche Beschimpfungen sind oder versteckte Repressionen. Allein die Verdächtigung homosexuell zu sein, kann schwerwiegende Konsequenzen haben: Die Kündigung der Wohnung oder der Anstellung sind normal. Viele Homosexuelle nehmen sich das Leben.

Besonders Lesben sind sehr häufig Opfer sexueller Übergriffe, oft von Männern verübt, die glauben, die Frauen von ihrem abweichenden Verhalten zu «heilen», oder die ihre männliche Dominanz einer Frau gegenüber zu bestätigen versuchen, die aus ihrer Optik zu männlich ist.

Hasserfüllte Reden sind auch in der Kirche und in der Politik keine Seltenheit. Auch in den Schulen werden Einschüchterungen gegenüber Kindern gefördert, bei welchen eine homosexuelle Neigung vermutet wird. Diese wird mit Schulausschluss bedroht.

swissinfo.ch: Wie lässt sich diese heftige Abneigung erklären?

K.N.: Vor allem mit dem Gesetz, das Homosexualität mit Strafen belegt, die bis zu lebenslänglicher Haft reichen können. Für viele Ugander ist es deshalb ein Verbrechen, schwul zu sein. Diese Haltung ist in Afrika vorherrschend. Die Mehrheit der Bevölkerung glaubt, dass es sich um ein Übel westlicher Prägung handle.

Jedenfalls haben die Afrikaner die Homosexualität immer als Tabu betrachtet. Wenn wir unser Daseinsrecht verlangen, nehmen sie es als Bedrohung ihrer traditionellen Werte war.

swissinfo.ch: Vor einem Jahr sind Sie und 100 andere, als homosexuell bezeichnete Personen mit Foto und Adresse auf der ersten Seite einer grossen Tageszeitung von Kampala publiziert worden, zusammen mit einem Aufruf, Sie zu töten. Was waren die Folgen dieser Anprangerung?

K.N.: Seit der Veröffentlichung dieser Liste lebe ich in permanenter Angst. Ich ändere ständig meinen Wohnsitz. Die Sicherheitskräfte verhaften mich immer wieder, um mich einzuschüchtern, die Leute beschimpfen mich auf der Strasse, man zeigt mit dem Finger auf mich. Die Ungewissheit, ob man am nächsten Tag noch am Leben ist, ist beklemmend – dies umso mehr, als uns das Gesetz überhaupt keinen Schutz bietet.

Drei Monate nach Erscheinen dieser Liste wurde mein Freund David Kato, der auch auf dieser Liste aufgeführt war, vor seiner Wohnungstür ermordet.

Die Regierung hat Stillschweigen darüber bewahrt. Mit ihrem Anti-Homosexualitäts-Gesetzt, in dem sie für Schwule die Todesstrafe fordert, schürt sie sogar diesen Hass.

swissinfo.ch: Wird mit diesem Gesetzesvorschlag im Parlament vor allem Wahlkampf gemacht?

K.N.: Kaum, denn der Vorschlag wurde im Sommer 2009 verfasst und erst nach den Präsidentschaftswahlen vom letzten Februar geprüft. (Die Stimmabgaben hatten zu einer Wiederwahl von Präsident Museveni geführt, der sich trotz massiven Betrugsvorwürfen seit 25 Jahren an der Macht halten konnte, N.d.R.)

Der Gesetzesvorschlag wurde eingereicht nach einer Serie von Seminaren der amerikanischen Evangelisten an verschiedenen Orten in Uganda, während derer diese Fundamentalisten eine dauernde Desinformation praktiziert und Homosexualität, Pädophilie und Aids in Verbindung gebracht hatten.

Ugandische Politiker hatten an diesen Seminaren teilgenommen und waren überzeugt worden, dass Homosexuelle getötet werden müssten.

swissinfo.ch: Aber angesichts des Protests der Opposition und des Drucks der internationalen Gemeinschaft wurde die Prüfung dieses Gesetzes auf unbestimmte Zeit verschoben.

K.N.: Eine Aufschiebung im Parlament bedeutet nicht einen Abbruch des Gesetzesvorschlags. Wir verlangen eine totale Annullierung, denn – nicht nur der Paragraph über die Todesstrafe, sondern praktisch jeder Abschnitt beinhaltet eine Menschenrechts-Verletzung. Ein Beispiel: Wer einen Homosexuellen nicht denunziert, auch wenn es nur leichte Zweifel gibt, kann mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden.

Um dem Gesetzesvorschlag mit andern Vereinigungen geschlossen entgegenzutreten, haben wir im August die Kampagne «Hate no more» («Keinen Hass mehr») lanciert. Wir informieren und kämpfen damit gegen den sozialen Ausschluss der Homosexuellen. Denn zahlreiche Ugander in der Provinz begrüssen den Gesetzesvorschlag, weil sie nicht wissen, was er genau beinhaltet.

Wir wollen, dass die Bevölkerung von unserer Existenz weiss: Einige Landsleute sind überzeugt, dass wir dafür bezahlt werden, homo zu sein.

swissinfo.ch: Welche Bedeutung hat der Ennals-Preis für Ihren Kampf?

K.N.: Er spornt uns an: Der Preis bestätigt, dass die Rechte der Homosexuellen ein Teil der Menschenrechte sind. Das ist eine starke Botschaft an die Adresse aller Ugander und anderer Afrikaner, die meinen, Schwule seien Bürger zweiter Klasse.

Wenn ich wieder zu Hause bin, werden mir die Leute allerdings sagen, dass es eine Ungnade für unser Land sei. Aber ich erachte es als eine Ermutigung für alle, die gegen Diskriminierung der Minderheiten kämpfen: Der Respekt der Würde des Menschen geht alle etwas an.

Die in Genf ansässige Martin Ennals Stiftung verleiht jedes Jahr eine mit 20’000 Franken dotierte Auszeichnung an eine Persönlichkeit, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte einsetzt.

Der Martin-Ennals-Preis ist die wichtigste Auszeichnung der Menschenrechts-Bewegung weltweit.

Die Jury setzt sich aus verschiedenen Nicht-Regierungs-Organisationen zusammen, darunter Amnesty International, Human Rights Watch sowie die internationale Juristen-Kommission (ICJ).

Martin Ennals war der erste Generalsekretär von Amnesty International. Er starb 1991.  

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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