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Idylle in den Alpen, Ansprüche aus der Stadt

Barbara Wäfler serviert den Gästen, die ihr Mann Christian (sitzend, mit dunkler Sonnenbrille) auf den Wildstrubel geführt hatte, eine wohlverdiente Stärkung. swissinfo.ch

Die Lämmerenhütte liegt in einer alpinen Arena mit Gletscher, Fels, Bergblumen und Bartgeier. Barbara und Christian Wäfler bewirten immer mehr Gäste, die aber auch immer höhere Ansprüche mitbringen – für das Hüttenwart-Ehepaar bisweilen eine Gratwanderung.

Aus der Küche, in der junge Hüttenhilfen den ganzen Tag über mit Kellen hantieren, strömt feiner Duft in die Gaststube. Eintreffende Gäste können sich etwa mit Rösti oder einer Spätzlipfanne stärken, mit dem Lämmerenteller mit Hobelkäse und Trockenfleisch aus der Region oder einem Birchermüesli.

Dem Journalisten mundet die Gemüsesuppe mit Schweinswürsten hervorragend, nach der Anreise per Mountainbike von der Berner Seite her via Gemmipass und dem kurzen Schlussaufstieg zu Fuss.

Fotos des majestätischen Herrschers der Lüfte zieren die Holzwände der Gaststube. Schaubilder zeigen die Grösse von Lämmeren- und Wildstrubelgletscher einst und jetzt und informieren über den Aufbau eines Gletschers. Mit einem Blick durch die Fenster westwärts auf das kümmerliche Eisgerippe des Lämmerengletschers kann sich der Besucher selbst ein Bild von den dramatischen Folgen der Klimaerwärmung machen.

Nur abgekocht 

Mit der Suppe brachte Barbara Wäfler zugleich das Thema auf den Tisch, das den betrieblichen Alltag in der Hütte prägt wie kaum ein anderes: Das Wasser. Im Gegensatz zu den meisten anderen SAC-Hütten (Vgl. verlinkter Artikel unter «Zum Thema») ist in der Lämmerenhütte aber nicht so sehr die Quantität des Wassers das Problem, sondern eher die Qualität. Weil die Fassung in einem offenen Bach oberhalb der Hütte liegt, kann das Wasser durch Schafe und Steinböcke verunreinigt sein.

Wäflers müssen deshalb die Gäste mit Schildern darauf hinweisen, dass das Wasser, das im Waschraum aus den Hahnen fliesst, kein Trinkwasser ist.

«Das führt manchmal zu Problemen, weil Leute das Klischee im Kopf haben, in den Bergen gibt’s nur sauberes Quellwasser», berichtet Barbara Wäfler. Auch reklamierten einige, wenn sie für eine 1,5-Literflasche Mineralwasser acht Franken zahlen sollten. «Das ist aber ein fairer Preis, wenn man mit dem Unterland vergleicht und bedenkt, dass hier sämtliche Lebensmittel mit dem Helikopter angeliefert werden müssen.»

Wie übrigens auch die riesigen Mengen Holz zum Betrieb des zentralen Ofens in der Küche. Im Winter, wenn die knapp 100-plätzige Hütte angesichts der Skitourengeher aus allen Nähten platzt, müssen Wäflers das Feuer gar rund um die Uhr brennen lassen. Andernfalls würden Wasserleitungen und Toiletten einfrieren. 

Immer höher immer einfacher

Dass immer mehr Menschen in der Freizeit die Naturnähe und ein ungestörtes Naturerlebnis in den Alpen suchen, erklärt Roland Schuler von der Umweltorganisation Pro Natura damit, dass sie ein solches in der zersiedelten Landschaft des Mittellandes aber auch in den immer städtischer werdenden Siedlungsgebieten der Alpen nicht mehr finden würden.

Die Erschliessung durch Bergbahnen, ein gut ausgebautes Wegnetz und eine immer bessere Ausrüstung begünstigten den Trend, so der Medienverantwortliche der Organisation.

Schuler findet es «sehr begrüssenswert», dass Teile der Bevölkerung die Natur in den Bergen von Nahe erleben. «Nur so spürt man die Faszination und das Schützenswerte an ihr. Aber diese grundsätzliche, positive Neugier darf nicht zum Nachteil der bestaunten Landschaften und ihrer Tiere und Pflanzen werden.»

Besucher sollten deshalb die gebotene Szenerie mit Respekt geniessen, Wege nicht verlassen und keine geschützten Pflanzen zertrampeln. 

Jeder 20. ein «Problem-Gast» 

Barbara Wäfler schätzt den Anteil der Gäste, die wenig Verständnis für die besondere Situation rund um das Wasser in der Lämmerenhütte zeigen, auf rund fünf Prozent. In den meisten Fällen nütze ein erklärendes Gespräch.

Manche Gäste machen aber auch Probleme, ohne sich dessen bewusst zu sein. «Wenn eine Gruppe im Achterzimmer am Morgen die Bettwäsche abzieht, ist das zwar nett gemeint. Aber im Gegensatz zur Wäsche aus der Küche können wir das Bettzeug nicht täglich waschen», sagt sie.

Inzwischen ist auch Christian Wäfler eingetroffen. Der Hüttenwart und Bergführer hat Gäste auf den 3243 Meter hohen Wildstrubel geleitet. Im Herbst will er «seinen» Hausberg zum 500. Mal besteigen, just zum 20-Jahre-Jubiläum der Familie Wäfler als Warte der Lämmerenhütte.

«Der Gast von heute vergleicht die Angebote und fragt: Hat es einen Steamer, gibt es Glacé oder Coca Cola light?», sagt Hüttenwart Christian Wäfler.

Mühe hätten vor allem Kurzzeitgäste an Wochenenden, beobachtet der Hüttenwart. «Mit der Bahn sind sie in einer Stunde im Hochgebirge. Hier stellen sie fest, dass es keine Duschen hat und die Menükarte nur klein ist. Kaum richtig hier angekommen, müssen sie schon wieder gehen.» Gäste dagegen, die drei oder vier Tage blieben, wären sich der besonderen Situation in der Hütte eher bewusst. «Sie können meist besser von ihrem Alltag herunterfahren und abschalten.»

Eigeninitiative gefordert 

Das Engagement der Hüttenwarte und ihres Teams reicht über das Credo hinaus, den Gästen «gute Qualität und einen guten Service» zu bieten. In den umliegenden Felswänden hat Christian Wäfler an die 650 Bohrhaken gesetzt, damit sich Kletterer an verschiedenen Schwierigkeitsgraden versuchen können.

Weiter hat er den Gletscherpfad Lämmeren samt informativer Begleitbroschüre initiiert (siehe Kasten rechts). Wäfler nimmt damit die Verantwortung wahr, die Roland Schuler gerade auch den Betreibern von Berghütten zuweist.

«Bewirtschafter von Berghütten haben sozusagen eine Vorbildfunktion. Sie sind die Gastgeber und die Nutzniesser der Landschaft. Das verpflichtet sie zur Information über das Schützenswerte an und in der Landschaft», sagt Schuler. In der Informationspflicht stünden aber ebenso Bergbahnen und Tourismus- und Naturschutzverbände.

Aufgabe der Behörden sei es, Wildruhezonen und andere Schutzgebiete auszuscheiden. Im Fall des Lämmerenkessels mit der prägenden Schwemmebene des Lämmerenbodens ist dies geschehen.

Unter behördlichem Schutz gleitet auch der Bartgeier auf seinen riesigen Schwingen fast täglich über den Lämmerenkessel. «Er ist richtiggehend vorwitzig, weil er oft nur fünf bis sechs Meter über die Hütte fliegt. Wir können ihm direkt in die Augen sehen, das ist jeweils ein ganz besonderer Moment», berichtet Barbara Wäfler.

1993, als die Familie Wäfler die SAC-Hütte übernahm, verzeichneten sie 4800 Übernachtungen. 2011 waren es über 7400. Damit gehört die Lämmerenhütte punkto Übernachtungen zum Spitzenquartett aller Hütten des Schweizer Alpen-Clubs (SAC).

Für 2012 rechnen Wäflers mit einer Einbusse von rund 1000 Gästen, da die Gemmibahn von März bis Juli wegen Neubau geschlossen war.

Da die Hütte mit ihren knapp 100 Plätzen jeweils aus allen Nähten platzt, ist die Erweiterung durch einen Anbau geplant. Barbara und Christian Wäfler hoffen, dass dieser in vier bis fünf Jahren realisiert sein wird.

Die Hütte liegt auf einer grünen Terrasse an der Südseite des Wildstrubels und ist eine Art Oase in alpiner Umgebung.

Dank der Seilbahn von Leukerbad (auf der Walliser Seite) auf den Gemmipass ist die Hütte auch für nicht Geübte in rund eineinhalbstündiger Wanderung relativ leicht zu erreichen.

Der Erfolg hat aber seinen Preis. Gerade Ausflügler stellen auf 2502 Meter oft dieselben Ansprüche wie im Unterland. Dabei ist Trinkwasser ein rares Gut, und das kulinarische Angebot aufgrund des teuren Transports beschränkt.

Als Folge sind bei Wäflers oft Fingerspitzengefühl und Zeit gefragt, um die Gäste für die besondere Situation in ihrer Hütte zu sensibilisieren.

Diese Aufgabe teilen Wäflers mit dem Personal in vielen SAC-Hütten mit leichterem Zugang.

Christian Wäfler hat den Gletscherpfad Lämmeren initiiert und zusammen mit zwei Geologie-Studentinnen der Universität Bern erstellt.

Zwischen Gemmipass, Lämmerenhütte und Wildstrubelgletscher können sich Besucher an zehn Posten über die Besonderheiten des Lämmerengebietes informieren.

Themen sind u.a. das Wasser als Landschaftsgestalter, glaziale Formen, Neuland durch Gletscherschmelze, Eroberung dieses Neulandes durch Pflanzen (Sukzession), die Vegetation in der alpinen Aue Lämmerenboden, Lämmeren- und Wildstrubelgletscher sowie die reichhaltige Bergflora und Tierwelt.

Die Broschüre dient auch Schülern und Studenten zur Vorbereitung von Schulreisen, Projektwochen und Gebirgslagern in der Lämmerenhütte.

Hüttenwart Christian Wäfler hat bereits neue Ideen, etwa die Einrichtung eines Kneippwegs im kleinen Hüttensee sowie weiterer Kletterrouten.

Ein Ziel ist auch die Erschliessung der Hütte via einen Rundwanderweg. Heute gibt es nur einen Weg zur und von der Hütte.

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