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Illegal adoptierte Kinder aus Sri Lanka: “Diese Wunden heilen nicht”

Säugling mit Frau in Sri Lanka
Falsche Identität: In den 80er-Jahren wurden Tausende Babys aus Sri Lanka in die Schweiz adoptiert. Oft wurden dabei die Papiere der Kinder gefälscht. (Symbolbild) Reuters

Die Wurzeln aus Sri Lanka wurden ihnen abgeschnitten, doch ganz schweizerisch fühlten sie sich auch nicht: Die Doktorandin Surangika Jayarathne zeigt mit ihrer Studie erstmals, welche Folgen die Adoption in die Schweiz für die betroffenen Kinder hatte.

SWI swissinfo.ch: Für Ihre Studie haben Sie zwölf Personen interviewt, die als Kinder aus Sri Lanka in die Schweiz adoptiert wurden. War es schwierig, Betroffene zu finden, die über ihre Erfahrungen sprechen wollten?  

Surangika Jayarathne: Es hat sehr viel Zeit und Mühe gebraucht, sie ausfindig zu machen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Schliesslich ist es mir aber gelungen, mit diesen Menschen sehr persönliche Gespräche  zu führen. Die Stiftung Back to the Roots Switzerland, die sich für die Rechte von sri-lankischen Adoptierten in der Schweiz einsetzt, hat mir dabei sehr geholfen.

Wie sich in den Gesprächen herausgestellt hat, haben viele als Kinder ähnliche Erfahrungen in ihren Schweizer Familien gemacht. Was haben ihnen die Adoptiveltern über ihr Geburtsland Sri Lanka erzählt?    

Die Eltern beschrieben Sri Lanka als ein schönes Land, in dem jedoch Armut und Krieg herrschten und Frauen weniger Rechte hätten als Männer. Den Kindern wurde gesagt, dass sie aus unterprivilegierten Familien stammten, die nicht für sie hätten sorgen können. Auf diese Weise versuchten die Schweizer Eltern, die Adoption zu rationalisieren. Sie sagten ihren Adoptivkindern, in der Schweiz seien die Chancen auf Bildung, Ernährungssicherheit und Obdach besser. Wahrscheinlich meinten sie es gut, aber die Beschreibungen waren nicht ganz korrekt.

Surangika Jayarathne
Surangika Jayarathne hat für ihre Studie mit 12 heute erwachsenen Adoptierten aus Sri Lanka gesprochen. Für einige war sie die erste srilankische Person, mit der sie über ihre Geschichte gesprochen haben. Vera Leysinger/SWI swissinfo.ch

Was hat das ausgelöst? 

Viele der Kinder stellen sich Sri Lanka als ein unzivilisiertes Land vor, in dem Frauen nicht respektieren werden. Diese Geschichten hatten einen tiefgreifenden Einfluss auf die Erziehung. Sie waren ihren weissen Adoptiveltern sehr dankbar und sahen sich selbst als “gerettet”.

Dieses Gefühl der Dankbarkeit hielt sie davon ab, Fragen nach ihren biologischen Eltern oder ihrem Geburtsland zu stellen. Folglich wurde die Verbindung zu ihrer Herkunft und ihrem kulturellen Erbe beeinträchtigt, ebenso wie ihr Recht auf Zugang zu Informationen dazu.

Zudem führten die Dankbarkeitsgefühle dazu, dass sie sich stets sehr gehorsam gegenüber ihren Adoptiveltern verhielten. Besonders als Teenager haben sie viele Emotionen unterdrückt und konnten nicht sich selbst sein.

2020 hat die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) eine vom Bundesrat in Auftrag gegebene Analyse der Adoptionen aus Sri LankaExterner Link publiziert. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass die Behörden über den Kinderhandel in Sri Lanka informiert waren, aber die Adoptionen weder gestoppt noch auf genaue Herkunftsdokumente der Kinder bestanden hatten.

Der Kanton St. Gallen hat alle Adoptionen aus Sri Lanka im Zeitraum von 1973-2002 überprüft und festgestellt, dass keine einzige komplett legalExterner Link durchgeführt worden ist. Der Bund unterstützt adoptierte Menschen bei ihrer HerkunftssucheExterner Link über den Verein “Back to the Roots”. 

Welche Erwartungen hatten die Eltern an ihre Adoptivkinder? 

Die Erwartungen waren hoch. Die Adoptiveltern wünschten sich, dass die Kinder sich nahtlos in die Schweizer Kultur und Gesellschaft integrieren. Sie erwarteten, dass ihre Kinder gute schulische Leistungen erbringen und die Möglichkeiten nutzen, die ihnen die Schweiz bietet.

Einige Eltern wünschten sich, dass die sri-lankische Herkunft der Kinder zweitrangig würde. Gleichzeitig verspürten auch die Adoptiveltern einen Druck. Die Gesellschaft erwartete, dass sie sich hervorragend um ihre Adoptivkinder kümmern. 

Gelang es den Kindern, diese hohen Erwartungen zu erfüllen?

In gewisser Weise konnten sie nie das erreichen, was ihre Eltern von ihnen wollten: sich voll in die Schweizer Kultur integrieren, als ob sie hier geboren worden wären, und dabei noch überall sehr gute Leistungen erbringen.

Einige konnten mit diesem Druck besser umgehen, aber ich denke, es blieb immer ein Gefühl, dass man nie genügt. Dass man sich seinen Platz in der Familie verdienen muss und ihn bei schlechtem Benehmen wieder verlieren könnte.  

Zudem konnten die Kinder ihre Gefühle nicht ausdrücken. Alle Befragten haben gesagt, dass sie ihren Eltern gegenüber dankbar seien, aber sie hatten nicht die Möglichkeit, ihre eigene Persönlichkeit und Identität so zu entwickeln, wie sie es wollten. 

Wie sah das Aufwachsen unter diesen Bedingungen aus? 

So aufzuwachsen war für viele schwer. In der Schule hatten sie oft keine oder nur wenige Freund:innen oder keinen guten Draht zu Gleichaltrigen. Weil sie anders aussahen, haben sie viel Diskriminierung und Ausgrenzung erlebt, selbst wenn sie fliessend Deutsch oder Französisch sprachen. Immer wieder mussten sie erklären, warum sie anders aussehen, als ihre weissen Eltern und ihre Adoptionsgeschichte wiederholen und ihre Position in der Familie oder der Gesellschaft so abwerten.

Noch heute haben viele der Adoptierten Mühe, Freundschaften oder Liebesbeziehungen einzugehen. Auch als Erwachsene werden sie als Immigrant:innen abgestempelt und am Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit diskriminiert. 

Jedoch habe ich auch mit Adoptierten gesprochen, die froh sind, dass sie in die Schweiz adoptiert wurden. Sie haben sich mit ihrer Adoptionsgeschichte abgefunden und wollen nicht zurückkehren, um ihre biologischen Eltern und ihre Familie in Sri Lanka zu suchen. Sie sind glücklich in ihrem Leben hier in der Schweiz und fühlen sich mit ihren Schweizer Adoptiveltern, ihren Partnern und ihren eigenen Kindern vollkommen.  

Es ist wichtig zu verstehen, dass sich die Adoptivkinder nicht in allen Situationen als Opfer der Adoption gesehen haben. Trotz der Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert waren, hatten sie die Möglichkeit und die Macht, ihren Lebensweg zu wählen und ihre eigenen Ziele zu verfolgen.

Die Adoptierten befinden zwischen zwei Kulturen und gehören nirgends ganz dazu. Doch als sie nach Sri Lanka reisten, um ihre Wurzeln zu finden, wurde einigen erst recht der Boden unter den Füssen weggerissenExterner Link

Viele der Adoptierten fühlten sich nie als vollwertige Schweizer:innen. Manchmal hofften sie, in Sri Lanka dazuzugehören, doch das Gefühl stellte sich vor Ort nicht ein. Bei einigen löste die Reise nach Sri Lanka ein starkes Trauma aus, als sie erfuhren, dass sie illegal adoptiert wurden. Viele befinden sich heute in einer Therapie. 

Für manche begann erst recht eine Identitätskrise. Eine als Kind adoptierte Frau aus Sri Lanka hatte in der Schweiz ihren sri-lankischen Namen benutzt, im Glauben, dass ihre biologische Mutter ihn ihr gegeben hatte. In Sri Lanka erfuhr sie, dass ihre Papiere gefälscht waren und der Name von einem anderen Geburtszertifikat kopiert wurde. Ihre ganze bisherige Identität brach zusammen. In meiner Studie hatten nur zwei von zwölf Personen das Glück, ihre biologischen Eltern ausfindig zu machen. 

Trotz der Enttäuschung, ihre leiblichen Eltern nicht ausfindig machen zu können, reisen zahlreiche Adoptierte weiterhin jährlich mit ihren Familien nach Sri Lanka um die Schönheit und die Kultur des Landes zu erleben. 

Surangika Jayarathne ist PhD-Studentin der Sozial- und Kulturgeographie an der Universität Bern. Zu ihren Forschungsfeldern gehören transnationale Kinderadoptionen in Südasien, Kindergeographie und feministische Geographie. Jayarathne ist in Sri Lanka aufgewachsen. Sie ist erreichbar unter surangika.karandanalekamlage@unibe.ch .

Surangika Jayarathne forscht an der Uni Bern zu den illegal adoptierten Kindern aus Sri Lanka.
Surangika Jayarathne während dem Interview mit SWI swissinfo.ch. Vera Leysinger/SWI swissinfo.ch

Ihre Studie betrachtet die Adoptionen auch aus einer postkolonialen Perspektive. Die Schweiz hat nie ein anderes Land kolonialisiert, konnte aber trotzdem von kolonialistischen Strukturen bei den Adoptionen profitieren. 

Absolut. Adoptiveltern aus der Schweiz wurden aufgrund des kolonialen Erbes der westlichen Überlegenheit als sozial oder wirtschaftlich höherstehend wahrgenommen. Diese Wahrnehmung hat sich auch auf die adoptierten Kinder ausgewirkt. 

Auch der Umgang der Behörden mit den Adoptionen zeugt von einem Machtgefälle zwischen den beiden Ländern. In früheren Berichten wurde erwähnt, dass die sri-lankischen Kinder zunächst als Pflegekinder in die Schweiz kamen und erst nach zwei Jahren nach hiesigem Recht adoptiert werden konnten.

Die Schweizer Behörden sind ihren Pflichten jedoch oft nicht nachgekommen. In zahlreichen Fällen versäumten sie die vorgeschriebene Überprüfung nach Ablauf der zweijährigen Pflegezeit. Zudem gibt es eindeutige Beweise dafür, dass die Schweizer Botschaft in Sri Lanka die Schweizer Regierung darüber informiert hat, dass illegale Adoptionen zwischen diesen beiden Ländern stattfanden. Aber die Schweizer Regierung hat dies ignoriert. 

Auch in der Schweiz wurden früher Müttern die Kinder ohne Einverständnis weggenommen – dieser Eingriff war lange der «Normalfall». Sehen sie zu den Adoptionen aus Sri Lanka eine Verbindung? 

Vor 1981 wurden in der Schweiz Zehntausende von Kindern und Jugendlichen zwangsweise untergebracht, oft ohne das Einverständnis der Eltern. In vielen Fällen trennten die Schweizer Behörden Kinder gewaltsam von ihren Familien und brachten sie in Heimen oder Pflegefamilien unter. Viele Kinder erlitten seelische und körperliche Schäden. Junge unverheiratete Mütter wurden zu einer Abtreibung oder zur Adoptionsfreigabe ihrer Kinder gezwungen.

Bei den Adoptionen aus Sri Lanka geht es um die gleichen Muster von Macht und kultureller Dominanz. Auch wenn die Kontexte unterschiedlich sind, geht es um die Auferlegung kultureller Werte und Normen durch Personen in Machtpositionen. Es herrschte die Vorstellung, dass den Kindern «bessere» Eltern oder eine «bessere» Mutter geboten werden musste.

Manche der Adoptierten aus Sri Lanka haben heute selber Kinder. Hat ihnen das geholfen, neue Wurzeln zu schlagen?

Ja und Nein. Einige der Frauen haben mir erzählt, dass sie mit ihrer Adoptionsgeschichte völlig im Reinen waren, bis sie selbst Mütter wurden. Als sie ein Kind zur Welt brachten, wurde ihnen klar, wie es sich für ihre leiblichen Mütter angefühlt haben muss, ihr Kind wegzugeben. Die Mutterschaft motivierte sie, ihre leiblichen Mütter zu suchen. 

In einigen Fällen versuchen die nun erwachsenen Adoptierten, ihren Kindern kulturelle Werte aus Sri Lanka mitzugeben, wie zum Beispiel typische Gerichte, sie lernen die Sprache und reisen regelmässige Sri Lanka. Viele der Befragten lernen auch Singhalesisch, um eine Verbindung zu ihrem Geburtsland herzustellen. 

Manche der Personen in meiner Studie sind alleinstehend und haben Mühe, Beziehungen einzugehen. Da ist mehr Leid vorhanden. Aber alle, die mit mir gesprochen haben, spüren den Schmerz, dass sie ihre biologischen Eltern nicht kennen oder nicht wissen, ob sie noch leben. Diese Wunden heilen nicht.

Sie sprechen von einer kulturellen Sensibilität, die notwendig ist, damit adoptierte Kinder nicht ihrer Identität beraubt werden. Wie muss das aussehen?  

Generell halte ich die transnationale Adoption für sehr problematisch, sie kappt viele Wurzeln und versucht, Kindern neue Wurzeln zu geben, das kostet viel Zeit und Mühe und hat kurz- und langfristig negative Folgen, wie meine Studie zeigt. 

Meiner Meinung nach sollte transnationale Adoption nicht fortgesetzt werden. Aber falls doch, dann als offene Adoption, in der die biologischen Eltern und die Adoptivfamilie verbunden bleiben. Auf diese Weise haben Adoptivkinder zumindest die Möglichkeit, sich ihrer Wurzeln bewusst zu werden.

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