«In der Schweiz haben sie mir mein Leben zurückgegeben»
Als sich Pierre Marbacher vor etwa vierzig Jahren in Salvador de Bahia niederliess, hatte er beschlossen, dass es für immer sein würde, aber die Gesundheit zwang ihn zum Umdenken. "Mir wurde hier mein Leben zurückgegeben", sagt er nun.
Rund 10’000 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer kehren jedes Jahr aus verschiedenen Gründen in ihr Heimatland zurück. Im Fall von Pierre Marbacher ging es ums Überleben. Es gab kein Zögern bei der Abreise und kein Zögern bei der Rückkehr. «In Brasilien hätte ich mir die Operationen nicht leisten können, und die Medizin in der Schweiz ist sehr stark,» sagt er rückblickend.
Die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland
Im Jahr 2019 waren nach Angaben des Bundesamtes für Statistik insgesamt 770’900 Schweizerinnen und Schweizer bei den offiziellen Schweizer Vertretungen im Ausland gemeldet.
Die Auslandschweizer-Organisation (ASO) berichtet, dass
– Der Wanderungssaldo (zwischen denjenigen, die ausreisen und denjenigen, die zurückkehren) am Ende des Jahres immer mehr Personen, die ausreisen oder von Auslandschweizern geboren wurden, umfasst als jene die zurückkehren.
– Jährlich kehren rund 10’000 Personen in die Schweiz zurück, wobei dies je nach internationaler Entwicklung variieren kann. Die Gründe sind verschieden. Es gibt keinen mehrheitlichen Grund.
– Gerade jetzt während der Pandemie stellt sich die Frage einer Rückkehr in die Schweiz für besonders viele freischaffende Schweizerinnen und Schweizer im Ausland.
«Ich muss viele Medikamente einnehmen, aber ich lebe fast ohne Einschränkungen», was nach einer Lebertransplantation, einer Operation am offenen Herzen und einem langen Behandlungsweg durch verschiedene Abteilungen des Berner Universitätsspitals und mehrerer Rehabilitationskliniken nicht offensichtlich ist.
Nun in der Berner Gemeinde Arni wohnhaft, erzählt uns Marbacher seine Geschichte. «Finden Sie es interessant?», fragt er. «Es ist eine Ode an die Belastbarkeit, denke ich.»
Dieser Berner, Berufsförster und kurz vor der Pensionierung, hat nicht nur die gesundheitlichen Herausforderungen, sondern auch immer wieder die Hürden eines Lebens als selbstbewusster Kleinunternehmer in einem fremden Land überwinden müssen.
So oft wurde sein Restaurant am Strand ausgeraubt, dass er aufhörte die Raube zu zählen. Viele Kundinnen und Kunden, die ihm versprachen, später zu zahlen, taten dies nie. Er erzählt Geschichten von Einbrüchen und Autodiebstählen. Viele, viele Male musste er in Brasilien wieder bei Null anfangen.
Er hätte so weitergemacht, wenn sein Körper und sein Geist es zugelassen hätten.
Der Kampf in den Genen
Marbacher wurde 1956 in Bern geboren. Sein Vater, Joseph, wurde 1932 bei der Teilnahme an einer antifaschistischen Demonstration in Genf verwundet und kämpfte später als internationaler Brigadier im spanischen Bürgerkrieg, unter anderem in der Schlacht am Ebro. Seine Mutter Verena trug zur Gründung der Schweizerischen Arbeiterpartei (PT) bei.
Marbacher erinnert sich, dass es in seiner Kindheit immer politische Aktivisten in seinem Haus aufhielten, PT-Mitglieder oder Botschafter aus sozialistischen Ländern. Diese Besuche stärkten sein kosmopolitisches Weltbild und seinen Wunsch, die Welt zu sehen. «Für mich wurde das Reisen zu einer Notwendigkeit», betont er.
Als junger Mann bereiste er Europa und im Alter von 22 Jahren begab er sich auf ein 14-monatiges Abenteuer durch Lateinamerika, von dem er die Liebenswürdigkeit seiner Menschen aber auch einige ziemlich bittere Anekdoten erzählt.
«Als ich in Barbados ankam, verhaftete mich die Polizei und beschuldigte mich des Mordes an Aldo MoroExterner Link [ein prominenter italienischer Politiker, der 1978 von den Roten Brigaden entführt und getötet wurde]», sagt er mit einer ähnlichen verblüffenden Geste, wie er sie damals gezeigt haben muss.
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«Da ich kein Englisch sprach, verstand ich nicht, was vor sich ging und konnte mich nicht verteidigen,» sagte er. Am Ende wurde er nach Vorzeigen seiner Dokumente, nach Klärung der Dinge und nach mehrstündiger Haft freigelassen.
Zurück in der Schweiz arbeitete er an der Restauration des Kartäuserklosters Ittigen, dem heutigen Klostermuseum und Thurgauer Kunstmuseum, und unternahm dann eine zweite Tournee durch die Neue Welt, bevor er sich schliesslich in Brasilien niederliess.
In Salvador de Bahia errichtete er sein erstes Bar-Restaurant, Itapoa, in dem es stets Live-Musik gab und den er als Ausstellungsraum für verschiedene Künstler zur Verfügung stellte. Er verlor Itapoa in einer Scheidung. Seine Frau zog mit ihren beiden Kindern, Raoni und Uiara, in die Schweiz. Er blieb in Brasilien.
Mit seinem zweiten Partnerin ereilte sein zweites Unternehmen dasselbe Schicksal, und er musste das dritte unter schwierigen Bedingungen liquidieren, da sich gesundheitliche Probleme anbahnten.
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Zurück in die Schweiz
«Ich habe stark geschwitzt und mich komisch gefühlt», erinnert er sich. Bei der ärztlichen Untersuchung zur Erneuerung des Führerscheins stellten sie Herzrhythmusstörungen und hohen Blutdruck fest. Er wurde an einen Kardiologen verwiesen. «Vergessen Sie vorerst das Herz, Sie müssen zuerst Ihre Leber behandeln, und viel Glück», sagte ihm der Arzt. Die Diagnose war Leberkrebs.
Seine Tochter Uiara brachte ihn in die Schweiz zurück, wo er eine neue Leber bekam. Doch kurz darauf zwang ihn eine starke Infektion zurück in den Operationssaal.
Die Erholung dauerte sehr lange. Dann wurde eine Operation am offenen Herzen nötig und durchgeführt.
Das war vor zwölf Jahren. Die Zwangspause hat Marbacher in eine Briefmarkensammlung investiert. Er ist nun auch aktiv in Solidaritätsorganisationen wie der Schweiz-Kuba und der Internationalen Friedensbewegung.
«Meine Freunde sagen mir, dass ich mehr Leben habe als eine Katze», sagt Marbacher lächelnd. Aber ohne das Schweizer Gesundheitssystem, so betont er, wäre es nicht möglich gewesen.
«Stellen Sie sich vor: nur drei Monate einer der Behandlungen kostet 90’000 Franken, und wenn Sie einen Bypass, einen Herzschrittmacher und eine neue Leber hinzufügen…»
Aus dem Spanischen übersetzt von Patrick Böhler
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