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In Somaliland humanitäre Visionen verwirklichen

Das Spital hat rund 200 Krankenschwestern und 150 Hebammen ausgebildet; Ismail hofft, diesen Effekt zu vervielfachen. ednahospital.org

Kann eine ältere Frau ein Spital aufbauen, so kann auch jeder andere Mensch mit Potenzial humanitäre Probleme vermindern. Es brauche nur den nötigen Willen, sagt Edna Adan Ismail, Ex-Aussenministerin von Somaliland, einer autonomen Region in Somalia.

Die 74-Jährige ist Direktorin und Gründerin des ersten Universitätsspitals in Somaliland. swissinfo.ch hat sich mit Edna Adan Ismail nach ihrer Rede an den TEDxRC2-Gesprächen in Genf unterhalten.

Die TED-Gespräche fanden im Vorfeld der Internationalen Konferenz der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften in Genf statt. Das vierjährliche Treffen soll das internationale humanitäre Recht und humanitäre Aktionen stärken.

TED ist eine globale, nicht kommerzielle Organisation, die sich Ideen widmet, «die es wert sind, verbreitet zu werden». Führende Denker, Experten und Persönlichkeiten halten dabei eine viertelstündige Rede, die im Internet frei verbreitet wird. TED ist ein Programm mit lokalen, selbstorganisierten Veranstaltungen.

swissinfo.ch: Warum haben Sie sich mit 60 Jahren zum Aufbau eines Spitals in Hargeisa in Somaliland entschieden, das Sie mit Ihrem Ersparten und Ihrer Rente finanzierten?

Edna Adan Ismail: Ich habe mich in meinem ganzen Leben mit Gesundheit und Spitälern beschäftigt. Die grösste Motivation dazu kam von meinem Vater. Er war der erste somalische Arzt und Gründer des Gesundheitswesens in meinem Land.

Für mich ist er der afrikanische Albert Schweitzer. Seit meinen Jugendjahren wollte ich ein Spital aufbauen, in dem mein Vater sicher gerne gearbeitet hätte.

Mit 60 Jahren sind Sie fit, gesund, Leben und Karriere stehen hinter Ihnen, es herrscht grosse Hilfsbedürftigkeit, viel Leiden ist um Sie herum. So sagte ich mir einfach, ‹ich will meine Ärmel hochkrempeln und schauen, wo ich helfen kann›.

Natürlich unterschätzte ich die Herausforderung. Man muss nicht nur einfach ein Spital aufbauen, man muss es auch führen, ausrüsten können, ersetzen, was kaputt gegangen ist, Gesundheitspersonal ausbilden und Standards setzen.

Aber ich liebe diese Arbeit. Ich würde nicht zögern, es immer wieder zu tun. Was immer ich auch gegeben habe, es ist Material, während man das, was ich zurückkriege, nämlich ein gerettetes Leben, nicht messen kann.

Das Spital hat mir Leben geschenkt. Ich arbeite sieben Tage die Woche und helfe als Hebamme immer noch, Babys zur Welt zu bringen. Ich lebte auch im Spital, als ich Aussenministerin war. Ich bin eine starrköpfige Frau.

swissinfo.ch: Welche Bedeutung hat das Spital?

E.A.I.: Im kommenden März wird das Spital zehnjährig, und es hat einem ganzen Land Leben geschenkt. Jede Hebamme in Somaliland musste bei uns einen Auffrischungskurs absolvieren. Wir entwickelten ein Krankenpflege-Ausbildungs-Curriculum, das national gilt, und ein Ausbildungsprogramm für Hebammen, das auch im benachbarten Somalia übernommen und verwirklicht wurde.

Es ist kurios: Die Leute kommen und wollen sehen, was eine alte Frau geschaffen hat.

swissinfo.ch: An den TED-Konferenzen werden grosse Ideen für eine Veränderung der Welt zum Guten präsentiert. Was sind Ihre nächsten grossen Pläne?

E.A.I.: Ich habe zwei brennende Ambitionen. Die eine ist, die Anzahl von Gemeinde-Hebammen im Land auf rund tausend zu erhöhen. Natürlich brauchen wir auch Ärzte, aber wir können nicht acht oder zehn Jahre warten, und wenn wir Ärzte haben, gehen diese nicht gerne in die Dörfer.

Zweitens möchte ich ein Gesundheitsprogramm für die Schulen starten, denn wir haben 250’000 Kinder, die zur Schule gehen, und es gibt kein solches Programm. Wenn ich zehn Arme hätte, würde ich sechs zur Ausbildung der Hebammen und vier für das Gesundheitsprogramm an den Schulen brauchen.

swissinfo.ch: Ihnen scheint die Bildung sehr wichtig zu sein?

E.A.I.: Das Spital kann baufällig werden, ein Fenster zerbrechen; doch was bleibt, ist das Wissen, das wir den Hebammen, Laboranten, Apothekern und Studierenden weitergeben.

Ich habe mit 16-einhalb Jahren ein Stipendium für eine Krankenschwester-Ausbildung in England gewonnen, und es ist dieses Wissen und die Ausbildung in jungen Jahren, was mir heute hilft.

Ohne diesen Rucksack wäre ich wohl einfach eine weitere Nomadenfrau geworden, und es wäre mir nicht möglich gewesen, andere Frauen zu ermutigen oder zu inspirieren.

swissinfo.ch: In Ihrer Rede sagten Sie, «wenn ich als 60-Jährige ein Spital bauen kann, kann das jeder von Euch». Ist diese Aussage realistisch?

E.A.I.: Die Leute kommen zu mir und sagen, sie möchten etwas tun, aber sie könnten kein Spital bauen. Ich sage ihnen, dass die Grösse keine Rolle spiele.

Ich sage ihnen, «geht an den Ort, wo Eure Grosseltern geboren wurden oder wo sich Eure Eltern kennenlernten. Sucht dort eine Schule, die vielleicht ein leckes Dach hat und flickt es. Oder vielleicht fehlt dieser Schule eine Toilette für Mädchen – also geht hin und baut eine». Es sind nur kleine Dinge. Aber man lernt etwas über sein Potenzial; und dann kann man vielleicht das nächste Mal etwas Grösseres in Angriff nehmen.

Es müssen aber auch nicht alle mit Spitälern anfangen. Versucht es und messt Euer Potenzial an der Herausforderung und sagt Euch, das sei ein grosses Problem – für das es aber eine Zeit geben wird, in der man es mit Hammer und Meissel überwinden kann. Versucht nicht, einen Berg zu bewegen, versucht nur, ihn ein wenig kleiner zu machen.

Edna Adan Ismail ist Krankenschwester und Hebamme, Diplomatin der Vereinten Nationen (UNO), Mitglied der Französischen Ehrenlegion und ehemalige Aussenministerin von Somaliland. Sie war 1963 eines der Gründungsmitglieder des somalischen Roten Halbmonds.

Mitte der 1980er-Jahre begann sie in Mogadischu, Somalia, den Bau eines Spitals, musste aber wegen dem Bürgerkrieg das Land verlassen.

Sie arbeitete bis 1997 auch als regionale Pflegeberaterin und technische Offizierin für die Weltgesundheits-Organisation (WHO).

Das Edna-Adan-University- Hospital wurde am 9. März 2002 in Hargeisa, der Hauptstadt der autonomen Region Somaliland, eröffnet.

Die Region leidet unter einer der weltweit höchsten Sterberaten für Mütter und Säuglinge – eine Situation, die durch den Tod oder Wegzug fast des gesamten Gesundheitspersonals wegen des jahrlangen Bürgerkriegs in Somalia noch verstärkt wurde.

Die 31. Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes in Genf dauerte vom 28. November bis 1. Dezember 2011.

Das wichtigste Treffen von Vertretern der beiden Organisationen findet alle vier Jahre statt.

Im Fokus standen dieses Jahr der Rechtsschutz von Opfern bewaffneter Konflikte, die Stärkung von Katastrophenrecht und lokalen humanitären Aktionen sowie die Überwindung von Hindernissen in der Gesundheitsversorgung.

(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)

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