Kann ein Stall zum Ferienhaus werden?
Ein Haus in den Bergen ist gerade in der Schweiz immer noch für viele ein Traum. Doch das Angebot ist rar und teuer. Gleichzeitig stehen im Schweizer Berggebiet viele Ställe und Schuppen leer, weil die Landwirtschaft sie nicht mehr braucht. Abreissen oder umbauen – das ist die umstrittene Frage.
Eine Ferienwohnung in den Schweizer Bergen kostet etwa eine Million Schweizer Franken. Das können sich nur wenige Schweizer:innen leisten. Gleichzeitig stehen – vor allem in den Kantonen Graubünden und Wallis – tausende über die Landschaft verstreute Ställe und Schuppen leer, die niemand mehr braucht, um Tiere oder Gerätschaften unterzustellen. Da liegt der Gedanke nahe, diese Gebäude zu Ferienhäusern umzubauen, statt sie leer stehen zu lassen oder abzureissen. Kann ein Stall zum Ferienhaus werden?
«Es kommt darauf an, welche Ställe», sagt der Bündner Architekt Gion A. Caminada, der sich als Professor an der ETH Zürich auch wissenschaftlich mit dem Thema auseinandersetzt. Die zentrale Frage sei, ob der Stall in einer Ortschaft oder in der Landschaft stehe.
«Ich besitze selbst einige Ställe in Vrin, denn mein Vater war Bauer», erzählt Caminada. «Wir Einheimischen versuchen, sie zu erhalten, auch wenn wir sie nicht nutzen, denn wir haben einen Bezug dazu.» Caminada hat als Architekt selbst Ställe umgebaut, zum Beispiel in Fürstenau, wo er aus einem Stall das Gasthaus «Casa Caminada» gestaltete.
Doch der Architekt findet klare Worte, wenn es um Ställe in der freien Landschaft geht. Diese sollte man seiner Meinung nach verschwinden lassen, wenn sie für die Landwirtschaft nicht mehr gebraucht werden.
«Die Nostalgiker meinen, alte Ställe gehörten zur intakten Landschaft. Aber vor 200 oder 300 Jahren gab es sie nicht – da war das Gebiet bewaldet.» Die intakte Landschaft gebe es nicht, sie sei ein Konstrukt der Menschen. Mit dem Umbau von Ställen zu Wohnzwecken werde nicht ein kulturelles Erbe erhalten, das Erbe werde zerstört. «Kultur ist mehr als Bild.»
Auch der Schweizer Verband für Raumplanung Espace Suisse schreibt auf Anfrage: «Je nach Situation vor Ort sollten ungenutzte oder auch verlotterte Bauten durchaus abgerissen werden.» Und Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz sagt über die Umnutzung von Ställen zu Wohnhäusern: «Wir sind sehr kritisch.» Zusammen mit Naturschutzorganisationen und Verbänden hat die Stiftung eine VolksinitiativeExterner Link lanciert, die eine Umnutzung von landwirtschaftlichen Ökonomiebauten zu Wohnzwecken gar verbieten will.
Bevölkerung will keine Zersiedelung
Eigentlich wäre das Interesse an der Umnutzung der Ställe zu Ferienwohnungen gross. In den Schweizer Alpen gibt es eine Verknappung von Bauland.
Zwar haben viele Bergdörfer mit Abwanderung zu kämpfen haben, aber Auswärtige stürzen sich – auch wegen rekordtiefer Hypothekenzinsen – auf Ferienwohnungen, die sie dann nur zeitweise bewohnen. Man spricht vom Problem der kalten Betten. Manche Bergregionen sind aufgrund der früher eher laschen Gesetzeslage und einer überbordenden Bautätigkeit regelrecht zersiedelt.
Im Jahr 2012 drückte die Stimmbevölkerung ihren Unmut darüber mit der Annahme der Volksinitiative «Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen!» aus. Ein Jahr später befürwortete sie eine Verschärfung des nationalen Raumplanungsgesetzes.
«Das Raumplanungsgesetz sieht eine strikte Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet vor», schreibt Monika Zumbrunn von Espace Suisse. «Dieser sogenannte Trennungsgrundsatz hilft, die Zersiedlung zu verhindern und trägt zu einem haushälterischen Umgang mit dem Boden bei.»
Alte Ställe stehen jedoch häufig mitten in der Natur, also ausserhalb der Bauzone. Manchmal gar in einer Lawinen-Gefahrenzone. «Werden ehemalige landwirtschaftliche Gebäude umgenutzt, entstehen dadurch in den meisten Fällen Mehrnutzungen und zusätzliche Erschliessungen, beispielsweise mit neuen Zufahrtsstrassen», so Zumbrunn. Jede Mehrnutzung beeinträchtige die Natur- und Kulturlandschaft und die bereits stark unter Druck geratenen Ökosysteme.
Das Schweizer Raumplanungsrecht sieht eine strikte Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet vor. Eine Umnutzung von Ställen, Schuppen und anderen landwirtschaftlichen Bauten, die aus historischen Gründen ausserhalb der Bauzone stehen, ist nur unter strengen Bedingungen möglich, wenn das Gebäude beispielsweise schützenswertExterner Link oder landschaftsprägendExterner Link ist. Behörden und Gerichte sind ziemlich streng, auch wenn die lokale Politik im Interesse der Bauunternehmen und Arbeitsplatzsicherung versucht, Schlupflöcher zu schaffen.
Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz räumt ein, dass der Standort des Stalls entscheidend ist. Ställe in den Dörfern stehen meist in der Bauzone. Dennoch findet Rodewald, die Gemeinden könnten solche Gebäude für öffentliche Zwecke nutzen, statt dem boomenden Immobilienmarkt zu überlassen. Zum Beispiel als Museum, kleinen Konzertsaal, Altersheimtreff oder Infopoint.
Caminada ist sogar diesbezüglich kritisch: «Ein Stall ist ein Stall», findet er. Eine Kapelle oder ein Museum passe da nicht rein. Solche Nutzungsvermischungen führten zu Unklarheiten im Dorf. «Dörfer haben klare formale Hierarchien. Wenn man Ställe für andere Nutzungen verwenden will, dann muss eine weitere Kategorie eingeführt werden.»
Wie handhaben es andere Länder?
Die Diskussion um leerstehende Ställe gibt es auch in anderen Ländern, denn die Landwirtschaft hat sich überall modernisiert. Je nach Region unterscheidet sich die Situation jedoch erheblich. In Deutschland beispielsweise will man Ställe in Dorfkernen zu Wohnhäusern umbauen, damit nicht alle an den Dorfrand in Neubauten ziehen und das Zentrum entvölkert wird.
Im Tirol und in Teilen Grossbritanniens sind Stallumbauten laut Rodewald nahezu unmöglich. Jedoch aus unterschiedlichen Gründen: Österreich wolle die Hotellerie vor Konkurrenz schützen, England gehe es hingegen um den Erhalt des Kulturguts. Die englischen Regeln wurden in den letzten Jahren jedoch gelockertExterner Link.
In Italien werden Ställe selten umgenutzt, da sie schlicht nicht erschlossen sind und daher nicht als Ferienhaus taugen. «Wir führen in der Schweiz eine Luxusdiskussion, weil wir viel Geld in Strassen, Stromleitungen und Kanalisationsanschlüsse in hochgelegenen Berggebieten gesteckt haben», so Rodewald. «In der Schweiz wurden viele geschichtsträchtige Orte gentrifiziert.»
Ein Stall ist kein Wohnhaus
Auch aus architektonischer Sicht ist der Umbau eines Stalls zu einem Wohnhaus eine Herausforderung: Schuppen und Ställe sind in der Regel nicht isoliert und haben keinen Anschluss an Strom- und Wasserleitungen oder die Kanalisation. Wenn Tiere in dem Stall untergebracht waren, müssen unter Umständen unangenehme Gerüche entfernt werden.
Laut Caminada geht es immer um die Frage: «Wie kann ich einen interessanten Lebensraum schaffen und dabei die alte Substanz wiederverwenden?» Architekt:innen bräuchten ein rationales und ökonomisches Denken, aber auch eine ästhetische Vorstellungskraft.
«Es gibt unterschiedliche Ställe», so Caminada. «Gemauerte Pfeilerställe sind viel einfacher umzubauen als Rundholzställe.» Letztere seien zum Wohnen nicht geeignet, da der Wind ungehindert durch die Schlitze zwischen dem Holz dringe.
Die «Casa Caminada» bestand aus gemauerten Pfosten und einer Holzkonstruktion. Gegen den Widerstand des Denkmalschutzes ersetzte Caminada die Bretter durch Betonteile. «Die Holzbretter mit Schlitz eigneten sich wunderbar zum Lagern von Heu, das Durchlüftung braucht», so Caminada. «Aber zum Wohnen muss es luftdicht sein.» Bei der Casa Caminada wurden substanzielle Teile anderweitig verwendet. Man sieht kaum, dass vorher dort ein Stall war.
Aus einem Stall ein Ferienhaus zu bauen, ist in der Schweiz also alles andere als einfach. Wer die rechtlichen und praktischen Hürden meistert, kann sich an einem historisch wertvollen Häuschen freuen. In der obigen Bilder-Galerie zeigen wir gelungene Beispiele.
(Bilder mit freundlicher Genehmigung von «Constructive AlpsExterner Link«)
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