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Kanton Waadt bekommt erstes Sterbehilfe-Gesetz

Sollen Bewohner von Alters- und Pflegeheimen im Kanton Waadt Sterbehilfe in Anspruch nehmen dürfen? Keystone

Waadt hat als erster Schweizer Kanton die Sterbehilfe gesetzlich geregelt. Das Stimmvolk sagte klar Ja zu einem Vorschlag der Regierung zum begleiteten Suizid in Pflegeheimen und Spitälern, verwarf jedoch eine Initiative der Sterbehilfe-Organisation Exit.

Die Waadtländerinnen und Waadtländer konnten sich am Abstimmungswochenende zur Grundsatzfrage äussern, ob die Suizidhilfe per Gesetz geregelt werden, und wenn ja, wie und wo die Sterbehilfe vonstatten gehen sollte.

Zwei Varianten standen dem Stimmvolk zur Auswahl: Die Volksinitiative der Waadtländer Sektion der Sterbehilfe-Organisation Exit über ein Sterben in Würde sowie der Gegenvorschlag der Regierung.

Der Waadtländer Souverän nahm den Gegenvorschlag mit 61,6% der Stimmen an, die Initiative wurde mit 59,11% verworfen. Die Stimmbeteiligung lag bei 43,5%.

Die Initiative von Exit verlangte, dass Bewohnerinnen und Bewohner von öffentlich finanzierten Alters- und Pflegeheimen Sterbehilfe in Anspruch nehmen können. Heute sind Suizidwillige von der Haltung des Pflegepersonals abhängig.

Die Volksinitiative war 2009 mit 14’000 Unterschriften eingereicht worden. Im Kanton Waadt leben fast die Hälfte der über 17’000 Westschweizer Exit-Mitglieder.

Die Exit-Initiative war der Waadtländer Regierung allerdings zu wenig klar. Statt diese zu bekämpfen, liess sie einen Gegenvorschlag ausarbeiten. Dieser schränkt die Selbstbestimmung zwar ein – der Kranke kann nicht alleine entscheiden – aber im Gegensatz zur Initiative lässt er auch Sterbehilfe in Spitälern zu.

Mehr Palliativmedizin  

Die Regierung wollte vor allem auch die Palliativpflege (Linderung des fortgeschrittenen Leidens bei begrenzter Lebenserwartung) stärken, in die der Kanton in den vergangenen Jahren viel investiert hatte. Sie setzt also einerseits auf Palliativmedizin, respektiert aber auch den definitiven Entscheid des Sterbewilligen.

Zwei Voraussetzungen müssen allerdings erfüllt sein: So muss eine schwere und unheilbare Krankheit vorliegen und anderseits die Urteilsfähigkeit des Sterbewilligen gegeben sein. Ob die beiden Kriterien erfüllt sind, entscheidet ein Chefarzt oder Klinikleiter zusammen mit dem Pflegeteam und dem behandelnden Arzt.

Um Rollenkonflikte zu verhindern, dürfen aber weder die verantwortlichen Ärzte noch die Pflegepersonen beim Vollzug der Sterbehilfe anwesend sein. Der Patient muss zudem vorgängig über die Palliativpflege als Alternative informiert werden.

Bernhard Sutter, Vizepräsident von Exit Deutsche Schweiz, bedauerte die Ablehnung der Initiative. Exit Deutschschweiz plane jedoch aktuell weder eine Volksinitiative auf nationaler Ebene noch in einem Deutschschweizer Kanton.

Breite Unterstützung

Unterstützt wurde die regierungsrätliche Vorlage sowohl von der Vereinigung der Waadtländer Pflegeheime als auch von den Waadtländer Ärzten. Ein Ja zum Gegenvorschlag empfahlen zudem alle politischen Parteien.

Die Grünen und die Linksaussen-Partei «A gauche toute» befürworteten zusätzlich die Initiative, um ein deutliches Zeichen für das Recht auf Sterben zu setzen. Gewisse katholische und evangelische Kreise lehnten beide Vorlagen ab.

Vorreiter Kanton Zürich

Bisher hatten in der Schweiz erst die Zürcherinnen und Zürcher die Gelegenheit, sich an der Urne zur Sterbehilfe zu äussern. Im Mai 2011 schickten die Stimmberechtigten des Kantons Zürich zwei Initiativen deutlich bachab, welche die Sterbehilfe verbieten und dem Sterbetourismus einen Riegel schieben wollten.

Der Kanton Zürich will via Gesetz die Beihilfe zum Suizid nächstens regeln. Wie Justizdirektor Martin Graf in der NZZ am Sonntag sagte, muss sichergestellt werden, «dass die begleiteten Suizide in ethisch korrekten Bahnen verlaufen». Ihm genüge es nicht, dass das Thema bloss im Schweizer Strafrecht geregelt sei.

Der Druck im Kanton Zürich ist besonders gross, dort sind nämlich die beiden grossen Sterbehilfe-Organisation Exit und Dignitas angesiedelt, die im letzten Jahr rund 500 Menschen schweizweit in den Tod begleitet hatten. Die Organisation Exit Deutsche Schweiz besteht seit 30 Jahren und zählt mittlerweile 80’000 Mitglieder.

Die Schweizer Gesetzgebung lässt Sterbehilfe zu, wenn die Patienten urteilsfähig sind, selber handeln und die Begleiter kein persönliches Interesse an ihrem Tod haben. Beihilfe zum Suizid ist in der Schweiz seit den 1940er-Jahren erlaubt.

Der Tod wird in der Regel durch eine tödliche Dosis von Barbituraten herbeigeführt, die von einem Arzt verschrieben wurden. Die Einnahme des Gifts, ob es nun getrunken wird, intravenös oder durch eine Magensonde in den Körper gelangt, muss von der sterbewilligen Person selber ausgeführt werden.

Gemäss einem Urteil des Bundesgerichts in Lausanne aus dem Jahr 2006 haben alle Personen das Recht, über ihren Tod zu bestimmen. Das gilt auch für Menschen mit psychischen Störungen.

Der Bundesrat prüfte verschiedene Möglichkeiten, um die Sterbehilfe zu regeln. Im Juni 2011 entschied er, keine Gesetzesänderungen vorzunehmen, sondern stattdessen die Suizidprävention sowie die Palliativmedizin zu fördern.

Die beiden wichtigsten Schweizer Sterbehilfe-Organisationen sind Exit und Dignitas.

Aktive Sterbehilfe: Wenn der Tod einer anderen Person bewusst herbeigeführt wird, etwa durch Verabreichung einer Injektion mit tödlicher Giftdosis.

Indirekte Aktive Sterbehilfe: Wenn dem Patienten palliative Medikamente verabreicht werden, die zum Tod führen können.

Passive Sterbehilfe: Wenn der Tod durch das Aussetzen medizinischer Massnahmen herbeigeführt wird (Beendigung des Einsatzes der Herz-Lungen-Maschine).

Beihilfe zum Suizid: Wenn auf Verlangen einer Person Mittel abgegeben werden, damit diese dem eigenen Leben ein Ende setzen kann, z.B. durch Medikamente.

Patientenverfügung: Eine Erklärung, die den eigenen Willen beinhaltet, ob lebensverlängernde Therapien weiter verabreicht werden sollen, wenn man sich dazu selber nicht mehr äussern kann.

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