Klimawandel fordert Bergführer heraus
Steigende Temperaturen, schmelzende Gletscher und auftauender Permafrost: Die Alpen spüren den Klimawandel. Betroffen sind auch jene, die in den Bergen leben, wie etwa die Bergführer. Sie tun, was sie können, um sich an die stetig ändernde Umwelt anzupassen.
Als Bergführer Walter von Ballmoos eine kleine Gruppe von Alpinisten südlich der Schweizer Grenze über den Maloja-Pass zu einer Hütte im italienischen Bergell (Val Chiavenna) geleitete, verlief zuerst alles nach Plan. Doch beim Rückweg erlebte er den grössten Schock seines langen Berufslebens.
In Italien übernahm er eine neue Gruppe, die er auf demselben Weg zurück in die Schweiz führen sollte, oder zumindest gedachte. Nur: Die gleiche Route war eine Woche später nicht wieder zu erkennen:
«Eine 100 Meter lange Eis-Passage, die ich beim Hinweg benutzt hatte, gab es auf dem Rückweg praktisch nicht mehr. Ich darf gar nicht daran denken, was geschehen wäre, wenn ich mit der Gruppe in dem Moment auf der Passage gestanden hätte, als sie abrutschte», sagte er. Es gebe einfach gewisse Situationen, auf die man sich nicht vorbereiten könne.
Bevor ein Bergführer oder eine Bergführerin zu einer Tour aufbricht, informiert er/sie sich so gut wie möglich über die Beschaffenheit von Eis, Schnee und Felsen. Doch verändern die schmelzenden Gletscher den alpinen Boden recht rasch, und der auftauende Permafrost weicht den soliden Bergfelsen auf: Der Klimawandel erschwert die Bewegung im Gelände und macht das Überqueren immer gefährlicher.
Passagen werden schwieriger
Bruno Hasler, Trainings-Leiter beim Schweizer Alpen-Club (SAC), war zwanzig Jahre lang Bergführer. Die Folgen des Klimawandel, so Hasler, könnten überall in den Alpen beobachtet werden. Ein Beispiel, das ihm besonders eindrücklich scheint, ist die Passage beim Biancograt, einem bekannten Berggrat beim Piz Bernina in den Ostalpen.
«Mein Vater nahm mich mit dort hinauf, als ich noch ein Kind war», so Hasler. «Es lag immer Schnee dort, und wir konnten einfach darüber laufen. Heute gibt es dort einen Gipfel, den man seitlich umgehen muss. Er hängt mindestens 20 bis 30 Meter über und kann nur von erfahrenen Bergsteigern bewältigt werden.»
Entlang dieses Gipfels habe es schon eine ganze Reihe von Unfällen gegeben. «Dennoch bleibt die Route sehr gefragt. Um den Zugang zu erleichtern, wurde ein ‹Via ferrata›-Klettersteig installiert, der den Bergsteigern das Durchqueren erleichtert.»
Solche Klettersteige mit Kabeln, Leitern und Überbrückungen werden in den Schweizer Alpen immer öfter installiert. Damit bleiben viel begangene Bergsteiger-Routen benutzbar, auch wenn das sich ändernde Terrain das Überqueren erschwert.
Grossflächiger Rückzug
Ein weiteres Beispiel ist beim Aletschgletscher zu sehen – genauer gesagt beim Konkordiaplatz, am Ursprung dieses grössten aller Alpen-Gletscher.
1877 war dort die Konkordia-Hütte gleich oberhalb des Gletschers erstellt worden, um Alpinisten zu beherbergen. Um heute vom Gletscher bis zur Hütte zu gelangen, müssten die Bergwanderer 467 Stufen erklimmen. Jährlich muss rund ein Höhenmeter Metallstufen hinzugefügt werden, um das Absinken der Eismasse zu aufzufangen.
Andreas Bauder, Gletscherforscher an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ), sieht kein Ende in diesem Wandel der alpinen Umgebung: «Ende dieses Jahrhunderts werden die Alpinisten wohl mindestens bis 3000 Meter über Meer hinaufsteigen müssen, bevor sie einen Gletscher zu Gesicht bekommen.»
Das komme einer dramatischen Entwicklung gleich, da heute in den Schweizer Alpen viele Gletscher unterhalb 3000 M. ü. M. lägen. Der Obere Grindelwald-Gletscher, einer der tiefst gelegenen in der Schweiz, reiche bis 1600 M. ü. M. hinunter.
Bauder nimmt an einem Forscherteam teil, das jeden Herbst rund 100 Gletscher im Land misst. Die Resultate über die letzten zehn Jahre zeigen, dass sich alle auf dem Rückzug befinden.
Wobei die jährliche Schrumpfung je nach Gletscher beträchtlich ausfallen kann. So gilt der Morteratsch-Gletscher als der massivste in den östlichen Alpen. Schon seit einem Jahrhundert zieht er sich zurück, aber in den letzten Jahren hat sich das Tempo beschleunigt. Von 1878 bis 1998 betrug der Rückzug rund 17 Meter pro Jahr, doch seit 2005 hat sich dies verdoppelt.
Wackeliger Boden
Auftauender Perma- oder Dauerfrost ist eine Konsequenz des Klimawandels, mit dem die Bergführer fertig werden müssen. Unter der Oberfläche halten Temperaturen unter dem Gefrierpunkt übers ganze Jahr hinweg die Felsen zusammen. Taut es jedoch auf, wird der Boden wackeliger, Erosion setzt ein und Felsstürze nehmen zu.
In den Schweizer Alpen befinden sich Dutzende von Metern unter der Oberfläche im Permafrost. Mit dem Rückzug der Gletscher aber lässt dieser Kälteschutz nach und der Boden wird leichter vom Klima beeinflusst. Dies gilt vor allem für steile Nordabhänge, die den Elementen stark ausgesetzt sind.
Die Eiger-Nordwand ist ein derartiges Beispiel: Die 1650 Meter hohe Felswand im Berner Oberland, seit je her eine Herausforderung, wird es nun noch mehr: In den vergangenen Jahren gab es vermehrt Felsstürze und Steinschlag.
Mehr und mehr Bergsteiger wenden sich deshalb von der traditionellen Sommersaison im Juli und August ab. Sie bevorzugen den Winter und den Frühling, wenn lockere Felsbrocken durch das Eis festgehalten werden.
So ist die Anpassung an den Klimawandel für viele Bergführer einfach ein Teil ihrer täglichen Arbeit.
Gemäss Hasler ändert sich am Job kaum etwas: «Auf jeden Fall müssen die lokalen Bedingungen erkundet und in den Ablauf der Tour eingebaut werden, bevor man überhaupt aufbricht.» Der Beruf bleibe gleich, aber vielleicht werde es in 100 Jahren etwas weniger Platz haben, um ihn auszuüben.
Laut den jüngsten Klimamodellen steigen in der Schweiz die Temperaturen. Auf der Basis von Gutachten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) haben die Schweizer Klimawandel-Szenarien CH2011 neue Voraussagen gemacht, wie sich das Wetter im 21. Jahrhundert entwickelt wird.
Bis zum Jahr 2100 sollen demnach die Sommertemperaturen um 3,5 Grad Celsius steigen, die Wintertemperaturen um 3 Grad.
Zusätzlich sollen die Niederschläge im Sommer in der ganzen Schweiz abnehmen, in der Südschweiz aber im Winter zunehmen.
Die Terminologie der einzelnen Teile eines Gletschers gehört zum Wesentlichen im Fachjargon jedes/jeder Bergführer/in.
Bevor sie sich auf einen Trek über oder rund um eine dieser langsam sich nach vorn schiebenden Eismassen begeben, sammeln sie so viel Informationen wie möglich: Wie sieht das Landschaftsbild aus, was alles hat sich verändert.
Einige Schlüsselbegriffe lauten:
Gletscherspalte (Crevasse): Diese eindrücklichen Risse und Spalten können heute Hunderte von Metern tief und morgen schon wieder verschwunden sein, da sie sich mit dem Vorwärtsschieben des Gletschereises mit bewegen.
Moräne: Dieses glaziale Geschiebe gibt es in verschiedenen Variationen. Meist es ist Felsmaterial, Sand und Dreck, dass vom Gletscher auf die Seite geschoben wird, während er sich nach unten ins Tal bewegt.
Gletschermühle oder Gletschertopf: Spiralwandige Hohlformen im Eis, die vom an der Gletscheroberfläche oder in Spalten abfliessendes Schmelzwasser geschaffen werden. Sie können Dutzende von Metern tief sein und bis zum Grund des Gletschers reichen.
Gletscher-Eisstiel: Türme aus Gletschereis, die sich an den Abbruchkanten zu stärkeren Hangneigungen von Gletschern bilden. Unter Bergsteigern sind sie gefürchtet, da sie unvorhergesehen einstürzen können.
Gletscherzunge: Der oft zungenförmige untere Teil eines Gletschers. Zone, an der das Eis schmilzt. Dieser Teil des Gletschers zieht sich am schnellsten zurück, da er vergleichsweise weniger Eis und Schnee enthält als andere Teile.
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch