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Die entzauberte Schweizer Fussball-Nationalmannschaft

Marina Lutz

Es ist schon lange her. Und doch könnte es erst gestern gewesen sein. Auch vor der Europameisterschaft 2008 im eigenen Land bereitete sich die Schweizer Fussballnationalmannschaft in Lugano auf das Turnier vor. Genau so, wie sie es acht Jahre später wieder tun sollte.

Zum Abschluss der EM-Vorbereitung spielte die «Nati» damals ein letztes Testspiel gegen die Slowakei. Zufällig im schönen Tessin, entschloss ich mich spontan, mir das Spiel im Stadion anzuschauen.

Ein Entscheid, denn ich bereuen sollte. Nicht aufgrund des  mässigen spielerischen Gehaltes der Partie. Nein, das wäre ja sowohl zu erwarten als auch zu ertragen gewesen. Was mich wirklich frappierte, war das Verhalten der Schweizer Fans, in deren Mitte ich mich wiederfand.

Schon damals rannte bei der Nati im Mittelfeld ein gewisser Valon Behrami wild auf und ab. Ein Fussballspieler, der als kleines Kind aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz geflüchtet war und im Tessin aufgewachsen ist.

In diesem letzten Vorbereitungsspiel für die EM 2008 gab der damals noch junge Mann tatsächlich eine etwas unglückliche Figur ab. Er reihte Ballverlust an Ballverlust. Zuviel für das Schweizer Publikum. Es begann ihn als «Scheiss-Jugo» zu schmähen. Ein «Scheiss-Jugo», der doch nichts in der Nati verloren habe.

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Nachdem sie die Euro 2012 verpasst hatten (an der Qualifikation gescheitert), sind die Spieler in rot und weiss zurück auf der europäischen Bühne mit Talenten, die in Ländern wie Kamerun, Elfenbeinküste und Kosovo geboren wurden. Wenn man die Trainer mitberechnet, haben sowohl die Schweiz als auch Frankreich 15 Mannschaftsmitglieder mit einem Migrationshintergrund – die Schweiz…

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Bis zur 56. Minute der Partie. Dann ging die Schweiz 1:0 in Führung. Der Torschütze – Sie ahnen es  – hiess ausgerechnet Valon Behrami. Nun jubelte das ganze Stadion. «Hopp Schwiz» hallte es aus Tausend Kehlen durch das Rund des Stadio Cornaredo in Lugano.

Wahrscheinlich nie ist jemand schneller vom «Scheiss-Jugo» zum tapferen Schweizerlein geworden als damals, im Jahr 2008 in Lugano.

Und heute, acht Jahre später? Ist heute alles anders? Nun, die Nati hat sich gewandelt. Und mit ihr auch ihre Fans. Heute stellen Spieler mit Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien das unverzichtbare Rückgrat der Mannschaft dar. Die Nati wäre ohne Behrami, Granit Xhaka, Admir Mehmedi, Blerim Dzemaili und – wenn er denn mal wieder einen guten Tag hätte- Xherdan Shaqiri schlicht undenkbar. Auch der Trainer Vladimir Petkovic hat seine Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien.

Gewandelt hat sich aber auch, so scheint mir, das Verhältnis der Schweizerinnen und Schweizer zum Nationalteam. Es ist distanzierter geworden. Nicht dass das Land der Nati ablehnend gegenüber stünde, aber doch weniger emotional. Selbst jetzt, wo die Mannschaft von Trainer Vladimir Petkovic in Frankreich nicht nur erfolgreich (gegen Albanien), sondern auch ansehnlich (gegen Rumänien) spielt, ist in der Schweiz nur wenig Euphorie zu spüren. Die Leistungen der Nationalmannschaft werden nüchtern analysiert, aber nicht überschwänglich bejubelt. Der Kopf siegt für einmal über den Bauch.

Politisch lässt sich die Mannschaft nicht mehr so einfach vereinnahmen. Dem Schweizbild der konservativen Rechten entspricht das Team schon länger nicht mehr. Und auch das Narrativ der Natispieler als Beispiele geglückter Integration, das die Linke so gerne bemüht, hat an Strahlkraft verloren, seit öffentlich und von einem Spieler selbst initiiert über den vermeintlichen «Balkangraben», der durch die Mannschaft verlaufen soll, debattiert wurde.

Die Nationalmannschaft ist in den letzten acht Jahren entzaubert, entidealisiert worden. Identifikationspotential bietet sie für die breite Masse nur noch wenig. Es hat eine Art Entfremdung stattgefunden. Zwischen den Spielern und den Fans. Die Nationalmannschaft wirkt ein bisschen wie aus der Zeit gefallen, ein Anachronismus. Heute, da wenn sich die Schweiz und Albanien auf dem Feld gegenüberstehen, Brüder gegen Brüder, Schweizer gegen Schweizer oder Albaner gegen Albaner spielen – je nach Perspektive.

Anders als vor acht Jahren wird die Nati zunehmend als das gesehen, was sie im Kern ja auch ist. Eine Ansammlung von millionenschweren «Ich-AGs», die ihren Wert noch weiter steigern wollen. Auftritte im Nationaldress bieten dazu eine willkommene «Opportunity» und eine «Win-Win-Situation», von der letztlich ja auch die Schweiz profitiert.

Oder aber die Schweiz ist halt auch 2016 noch nicht bereit, eine Mannschaft ins Herz zu schliessen, die von Valon Behrami angeführt wird.


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