Globuli und Co. sind salonfähig geworden
Homöopathie und Ayurveda sind im Schweizer Gesundheits-Mainstream angekommen. Die grosse Nachfrage nach Heilpraktikern hat eine verstärkte Regulierung zur Folge. So sollen schwarze Schafe aussortiert werden.
Noch bevor die Coronavirus-Pandemie zu einem allgegenwärtigen Thema wurde, sorgte bei den Luzerner Gesundheitsbehörden die Komplementärmedizin für Gesprächsstoff. Anfang März stellte die Kantonsregierung eine Revision des Gesundheitsgesetzes vor. Neu soll geprüft werden, ob Naturheilpraktiker, die Behandlungen in den Bereichen Ayurveda-Medizin, Homöopathie, traditionelle chinesische Medizin und traditionelle europäische Naturheilkunde anbieten, fachliche Mindestanforderungen erfüllen.
«Diese Behandlungsmethoden stellen ein gewisses Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung dar», begründet Alexander Duss vom Luzerner Gesundheitsamt gegenüber swissinfo.ch. «Mit der Einführung einer Bewilligungspflicht wollen wir sicherstellen, dass nur Praktizierende aktiv sind, die bestimmte berufliche Mindestqualifikationen erfüllen.»
Solche Anforderungen galten im Kanton Luzern bis 2006, wurden dann aber aufgegeben. Laut Hanspeter Vogler, Leiter der Gesundheitsabteilung des Kantons Luzern, machte die Vielzahl der Ausbildungen eine seriöse Überprüfung der fachlichen Anforderungen unmöglich.
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Zurück in den Mainstream
Doch seit 2009 ist die Situation anders. In diesem Jahr stimmten zwei Drittel der Schweizer Bürgerinnen und Bürger für die Aufnahme komplementärmedizinischer Methoden in den Leistungskatalog der obligatorischen Krankenversicherung. 1999 erstmals integriert, waren sie 2005 vom Bund wegen steigender Gesundheitskosten gestrichen worden, da sie die Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht erfüllten.
Als Ergebnis der Abstimmung von 2009 wurden fünf alternative Disziplinen – die anthroposophische Medizin, die Homöopathie, die Neuraltherapie, die Phytotherapie und die traditionelle chinesische Medizin – probeweise in das Grundversicherungspaket, das für alle Schweizer obligatorisch ist, aufgenommen. Doch wer versicherte Leistungen in diesen Bereichen anbieten wollte, brauchte eine Zertifizierung. Der Bund begann mit dem Aufbau einer standardisierten Ausbildung für nicht-ärztliche Praktiker. Seit 2015 existiert nun die Höhere Fachprüfung für Naturheilpraktiker, die mit einem eidgenössischen Diplom abgeschlossen wird.
«Es ist immer nützlich, einheitlich zu sein, da die Krankenkassen bei der Erstattung von Behandlungen im Rahmen des Komplementärmedizin-Versicherungspakets etwas langsam sind. Sie stehen auch unter dem Druck, Kosten zu senken», sagt Franz Lutz, Präsident des Verbandes Schweizer Ayurveda-Mediziner und Therapeuten.
Die Einführung des eidgenössischen Diploms veranlasste viele Kantone – zum Beispiel Luzern –, Arbeitslizenzen für Heilpraktiker einzuführen oder wieder einzuführen. Aufgrund der neu einheitlichen Ausbildungen könne der Kanton künftig mit gutem Gewissen prüfen, ob die Naturheilpraktiker die fachlichen Mindestanforderungen zum Schutz der Bevölkerung erfüllen, steht in einer Mitteilung des Kantons Luzern vom März. Um eine Lizenz zu erhalten, müssen Heilpraktiker ihre persönlichen Daten und eine Kopie ihres eidgenössischen Diploms einreichen.
Chancen und Herausforderungen
Eine Lizenz hat auch sonst Vorteile. Wer sie besitzt, ist von der Mehrwertsteuer befreit und wird auch automatisch in das nationale Register der Gesundheitsberufe aufgenommen und gilt damit als Beschäftigter im Gesundheitswesen.
«Mit einer kantonalen Arbeitserlaubnis sind wir in das primäre Gesundheitssystem eingebunden», sagt Alexandra Nievergelt, Co-Präsidentin des Fachverbandes für traditionelle chinesische Medizin. «Zum Beispiel dürfen wir jetzt während der Covid-19-Krise weiterarbeiten», erklärt sie und betont, dass die Heilpraktiker hierbei denselben Regeln und Einschränkungen unterworden seien wie Ärzte. Zudem habe das Diplom dazu beigetragen, dass Heilpraktiker an Gesundheitsprojekten mit anderen Medizinern teilnehmen könnten, was früher nicht möglich gewesen sei.
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Doch der Wechsel zu einem kantonalen Lizenzsystem wirft auch Fragen auf. Was geschieht mit jenen Heilpraktikern, die kein eidgenössisches Diplom besitzen und daher keine Bewilligung erhalten können?
«Wir begrüssen eine kantonale Arbeitserlaubnis für die Zukunft, da sie dazu beiträgt, dass nur qualifizierte Praktiker in unserem Bereich tätig sind», sagt Nievergelt. «Trotzdem möchten wir natürlich sicherstellen, dass alle Praktizierenden weiterhin arbeiten können.» Luzern hat vorgeschlagen, den Heilpraktikern eine Frist von fünf Jahren für die Erlangung eines eidgenössischen Diploms zu gewähren.
Doch viele sind nicht bereit, eine Prüfung zu absolvieren, damit sie weiterhin arbeiten dürfen. Meinungsverschiedenheiten über Verfahren und Voraussetzungen haben denn auch zur Zersplitterung von Verbänden geführt. Zum Beispiel wird die Ayurveda-Methode in der Schweiz nun von vier verschiedenen Vereinen und zwei Schulen vertreten, weil sich die Anbieter über den zukünftigen Weg nicht einig sind.
Für diejenigen, die gegen eine Zulassung sind, ist es aber wohl zu spät, da sich das Blatt bereits zugunsten einer Standardisierung und Homogenisierung gewendet hat. Akupunkteure benötigen bereits in 20 von 26 Schweizer Kantonen eine Lizenz, Ayurveda-Therapeuten in 18 Kantonen.
«Es geht darum, Klarheit bezüglich der Qualität zu schaffen. Die Anbieter sollen einen entsprechenden Bildungshintergrund haben und in der Lage sein, eine genaue Diagnose zu stellen und die Behandlung kompetent durchzuführen», sagt Rutz.
Alternativmedizin: Das sind die Voraussetzungen
Fünf Methoden der Komplementärmedizin sind in der Schweizer Grundversicherung enthalten: Die anthroposophische Medizin, die Homöopathie, die Neuraltherapie, die Phytotherapie und die traditionelle chinesische Medizin. Die Kosten werden jedoch von den Versicherungen nur erstattet, wenn die Behandlungen durch einen Praktiker mit entsprechendem Fachausweis erfolgen. Die Kosten für andere alternative Therapien werden nur übernommen, wenn der Patient ein separates Versicherungspaket abschliesst. Allerdings werden bestimmte Disziplinen nicht von allen Versicherern anerkannt.
Wer selbst ein eidgenössisches Diplom im Bereich der Komplementärmedizin erlangen möchte, hat die Wahl zwischen zwei Ausbildungsgängen: Mit der Höheren Fachprüfung für Naturheilpraktiker dürfen die Inhaber Krankheiten diagnostizieren und Behandlungen wie Kräuterpräparate verschreiben. Zu den anerkannten Disziplinen zählen hierbei die Homöopathie, die traditionelle chinesische Medizin und die traditionelle europäische Medizin.
Mit der Höheren Fachprüfung für Komplementärtherapeuten, dem zweiten möglichen Berufsweg, dürfen die Diplominhaber spezielle Behandlungen wie Ölmassagen für gesunde Menschen oder solche mit kleinen Beschwerden anbieten. Sie dürfen jedoch keine Krankheiten diagnostizieren. Anerkannte Behandlungsmethoden sind etwa Yoga, Shiatsu, Craniosacral-Therapie und Eutonie.
(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)
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