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«Krieg» Dialekt gegen Hochdeutsch geht weiter

Soll im Kindergarten nur Dialekt oder auch Hochdeutsch gesprochen werden? In der Deutschschweiz eine Gretchenfrage. Keystone

Schweizer- oder Hochdeutsch? Auch nachdem das Stimmvolk des Kantons Zürich eine Volksinitiative angenommen hat, die Schweizerdeutsch im Kindergarten als Hauptsprache vorschreibt, ist das Thema noch lange nicht erledigt.

Bis zur Abstimmung sollten ein Drittel des Kindergartenunterrichts in Dialekt erfolgen, ein Drittel in Hochdeutsch und ein Drittel nach Entscheid der Lehrperson, je nach Situation.

Die Befürworter der Initiative «Ja zum Dialekt im Kindergarten» hatten den Verdacht geäussert, Ziel der Behörden sei, den Dialekt gänzlich aus dem Kindergarten zu verbannen.

Schweizerdeutsch, das in den Familien und im täglichen Umgang gesprochen wird, unterscheidet sich sehr vom Hochdeutschen. So gibt es in der Grammatik viele Unterschiede zwischen den beiden Sprachen. Vielen Menschen, die nur Hochdeutsch kennen, ist die Mundart deshalb praktisch unverständlich.

Hochdeutsch wird in der Deutschschweiz als Schriftsprache und im Umgang mit Behörden verwendet. Die Hochsprache wird auch in den Schulen der anderssprachigen Landesteile gelehrt.

Kinder aus dem deutschen Teil der Schweiz brauchen beide Sprachen, das ist unumstritten. Es geht hier um die Frage, mit welchem Alter Deutschschweizer Kinder beginnen sollen, Hochdeutsch zu lernen.

Eine Basis erstellen

Der Psychologieprofessor Allan Guggenbühl ist ein Befürworter der Zürcher Initiative. «Wenn man die Gesprächskompetenz erhöhen will, muss man mit der ersten gesprochenen Sprache beginnen und nicht mit einer Sprache, die fremd ist, das ist weltweit bekannt», sagt er gegenüber swissinfo.ch.

«Das Ziel ist Sprachkompetenz in der Mundart und in Hochdeutsch. Die Frage ist, wie man soweit kommt. Es geht besser und schneller, wenn man eine Grundsprache lernt und sobald man diese kann, weitergeht», sagt er.

Hochdeutsch komme überall vor, auch im Fernsehen, so dass auch sehr kleine Kinder damit in Berührung kämen, erklärt er. Aber für das aktive Erlangen von Sprachkompetenz in anderen Sprachen, sei es das Beste zu warten, bis die Kinder im schulfähigen Alter von sieben Jahren seien, ist er überzeugt.

Sprachkenntinisse

Die Abstimmung vom vergangenen Sonntag hat wieder die Situation vor dem Jahr 2008 hergestellt. Fördert dies tatsächlich die gewünschten Sprachkenntnisse?

Iwar Werlen, Professor für Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Bern, sagt gegenüber swissinfo.ch, dass viel Deutschschweizer im Kontakt mit Anderssprachigen, wenn Mundart keine Option sei, Englisch oder Französisch statt Hochdeutsch bevorzugten.

«Das hat auch damit zu tun, dass in den Schulen Hochdeutsch als Schriftsprache verwendet wird. Die Menschen haben nicht wirklich gelernt, Hochdeutsch in alltäglichen Situationen mündlich anzuwenden», sagt er.

«Und obwohl die Deutschschweizer die Deutschen nicht wirklich mögen, bewundern sie diese, weil sie besser Hochdeutsch sprechen. Die Schweizer denken, sie würden nie so gut sprechen. Deshalb sei es besser, wenn sie Hochdeutsch überhaupt nicht sprächen.»

Dies war einer der Gründe, weshalb die kantonalen Erziehungsdirektoren beschlossen, den mündlichen Gebrauch des Hochdeutschen in der Schule zu fördern. Über die Kindergärten können sie allerdings nicht bestimmen. Aber einige Kantone wurden dennoch ermutigt, bereits auf Kindergartenebene die Hochsprache einzuführen.

«Die Grundidee war, dass in den Schulen mehr Hochdeutsch gesprochen würde, so dass es die Menschen früher sprechen, anstatt einfach nur Lese- und Schreibunterricht zu erhalten», sagt Werlen.

Wechsel

Und je früher Kinder mit dem Sprechen begännen, desto besser sei es für sie, zeigt sich Werlen überzeugt.

«Tests in Kindergärten in Basel und Liestal haben gezeigt, dass Kinder keine Umstellungsprobleme haben. Die meisten kennen Hochdeutsch vom Fernsehen und sie nutzen es einfach. Und wenn sie das hochdeutsche Wort nicht kennen, verwenden sie einfach das schweizerdeutsche. Das ist kein Problem für sie, es macht ihnen einfach Spass.»

Es liege an den Lehrpersonen, eine klare Unterscheidung zwischen den beiden Sprachen zu machen, um Verwirrungen vorzubeugen. «Erst wenn eine Lehrperson ohne Grund von der einen in die andere Sprache wechselt, wird es schwierig für die Kinder», sagt er.

Guggenbüghl dagegen betont, dass Kinder für eine gute Sprachgrundlage zuerst Schweizerdeutsch lernen müssten. Diese Sprache habe ihre eigene Grammatik, ein eigenes Vokabular und Ausdrücke, und die Lehrkräfte hätten darauf zu achten.

Werlen aber wirft ein, dass man sich bei der Lehrerbildung in den Pädagogischen Hochschulen kaum mit den Dialekten auseinandersetze – und dies sei ein erheblicher Mangel. Förderungsbemühungen seien jedoch bisher auf taube Ohren gestossen.

Integration und Zusammenhalt

Im Kanton Luzern wird derzeit für eine Pro-Dialekt-Initiative mit einem Bild vor einem Kind geworben, dessen Gesicht wie eine Schweizer Fahne geschminkt ist. «Schweizerdeutsch spielt eine zentrale Rolle bei der Integration von Ausländern», heisst es auf der Webseite des Komitees.

«In der Schweiz sind Sie nur akzeptiert, wenn Sie Schweizerdeutsch sprechen», sagt Guggenbühl gegenüber swissinfo.ch. «Sprechen Sie Hochdeutsch, sind Sie nicht akzeptiert.»

Dies mag zum Teil für den Deutschschweizer Raum zutreffen. Aber es gibt noch drei weitere Landessprachen.

Das Forum Helveticum, ein unabhängiger Verein zur Förderung der Debatte über Fragen des öffentlichen Lebens, hat vor ein paar Jahren eine Studie zu den Themen Schweizerdeutsch, lokale Identität und nationaler Zusammenhalt veröffentlicht.

Die Schlussfolgerung war, dass die lokale Identität sehr wichtig sei. Es stimme, dass der Dialekt gefördert werden müsse. «Aber der nationale Zusammenhalt ist auch sehr wichtig», sagt Forum Helveticum-Direktor Paolo Barblan gegenüber swissinfo.ch.

«Viele Menschen aus den nicht-deutschsprachigen Landesteilen sagten, die Situation hätte sich in den letzten gut 20 Jahren stark verändert. Damals hätte ein Deutschschweizer automatisch auf Hochdeutsch gewechselt, wenn sein Gesprächspartner Mundart nicht verstanden hätte. Jetzt sprechen sie frischfröhlich in der Mundart weiter und bemerken gar nicht, dass die anderen sie nicht verstehen», so Barblan.

«Einer der Gründe dafür ist, dass sich die Deutschschweizer beim Gebrauch des Hochdeutschen viel weniger sicher fühlen als früher.»

Sprachen-Prozentanteile gemäss der Volkszählung von 2000:

Nationale Sprachen:

Deutsch 63.7%

Französich 20.4%

Italienisch 6.5%

Rätoromanisch 0.5%

Nicht-nationale Sprachen:

Serbisch und Kroatisch 1.4%

Albanisch 1.3%

Portugiesisch 1.2%

Spanisch 1.1%

Englisch 1.0%

Türkisch 0.6%

Tamilisch 0.3%

Arabisch 0.2%

Andere 1,8%

Die Schweiz hat vier Nationalsprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.

Der Unterschied zwischen den gesprochenen Formen des Deutschen in der Schweiz und in Deutschland entstand im Mittelalter.

Für viele Deutsche ist Schweizerdeutsch eher unverständlich.

In der Schweiz gibt es drei deutsche Hauptdialekte, die bis ans Grenzgebiet von Nachbarländern reichen.

Mit Ausnahme von kleinen Akzent- und Vokabular-Unterschieden ist das in der Schweiz gesprochene Französisch heute ähnlich wie jenes in Frankreich und das schriftliche Französisch.

Die ursprüngliche Sprache in der Westschweiz war nicht Französisch, sondern Franko-Provenzalisch, das auch in Ostfrankreich und Norditalien gesprochen wurde. Diese Sprache hat mit Mühe in Patois (Dialekte der französischen Sprache) überlebt, die in einer Reihe von lokalen Versionen noch heute existieren.

Das im Kanton Tessin und Teilen des Kantons Graubünden gesprochene Italienisch ist Standarditalienisch. Im privaten Kreis wird aber oft auch west-lombardischer Dialekt gesprochen, die inoffizielle Sprache in Norditalien. Dieser Dialekt existiert in vielen lokalen Varianten.

Rätoromanisch, die im Kanton Graubünden mehrheitlich gesprochene Sprache, gibt es in fünf verschiedenen Sprachformen, so genannten «Idiomen», von denen jedes eine schriftliche Version hat. Die Idiome haben ihre eigenen Dialekte. 1982 wurde die Sprache Rumantsch Grischun eingeführt, als schriftliche Einheitsversion, die in amtlichen Dokumenten verwendet wird.

(Übertragung aus dem Englischen: Etienne Strebel)

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