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Kritik an «zumutbarer» Rückschaffung von Tamilen

Infolge der unsicheren Lage in Sri Lanka suchen wieder mehr Tamilien Zuflucht im Ausland. AFP

Flüchtlingsorganisationen üben Kritik am Urteil des Bundesverwaltungs-Gerichts, abgewiesene Asylsuchende wieder nach Sri Lanka zurückzuschicken. Das Gericht hat eine entsprechende Praxisänderung des Bundesamts für Migration bestätigt.

Trotz bestehender Menschenrechtsprobleme ist die Lage laut dem Bundesverwaltungs-Gericht sicher genug, um Asylbewerber nach Sri Lanka zurückzuschicken, ausgenommen in ein Gebiet im Norden des Inselstaats.

Der Gerichtsentscheid hat bereits hohe Wellen geworfen: So findet ihn die Schweizerische Flüchtlingshilfe «verfrüht», weil die Lage in Sri Lanka nach wie vor unstabil sei.

Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz  (GfbV) kritisiert das Urteil. Es seien konkrete Fälle von Verhaftungen und Einschüchterung bis hin zu Folter ausgeschaffter Tamilen bekannt, die von der Regierung als Anhänger der Opposition beschuldigt würden.

Die GfbV nannte das Gerichtsurteil gar «gefährlich», da das Gericht gleichzeitig die Verschlechterung der Menschenrechtslage in Sri Lanka  bestätigt habe, insbesondere was die Rede- und Meinungsäusserungsfreiheit betreffe, auch in den Medien.

Politische Oppositionelle würden seitens der Regierung als Staatsfeinde betrachtet und müssten mit Verfolgung rechnen, so das Bundesverwaltungs-Gericht. Einer erhöhten Verfolgungsgefahr seien auch kritisch auftretende Medienschaffende ausgesetzt sowie Menschenrechtsaktivisten und regimekritische NGO-Vertreter.

Zur Risikogruppe gehörten auch Rückkehrer aus der Schweiz, die enger Kontakte zur Separatisten-Organisation der Tamil Tigers (LTTE) verdächtigt würden.

«Es ist etwas schockierend, zu sagen, für diese Leute bestehe ein Risiko, auch für jene, die aus der Schweiz kommen, und gleichzeitig zu akzeptieren, dass sie zurückgeschafft werden müssen. Das verstehe ich wirklich nicht», sagt Christoph Wiedmer, Geschäftsführer der Gesellschaft für bedrohte Völker, gegenüber swissinfo.ch.

Prüfung des Urteils

Die Tamilen aus Sri Lanka gehören zu den grössten Migrantengruppen in der Schweiz. Ende letzten Jahres waren rund 2100 Asylgesuche von Tamilen hängig.

Im Mai 2009 war in Sri Lanka der Bürgerkrieg mit den Tamil Tigers mit einem Sieg der Regierung nach einem Vierteljahrhundert zu Ende. Gemäss einem 2011 veröffentlichten Bericht der UNO hatten beide Konfliktparteien Kriegsverbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung begangen.

Wie das Bundesverwaltungs-Gericht bekanntgab, hat sich die innere Sicherheit in Sri Lanka während den letzten drei Jahren verbessert, mit der Ausnahme der nördlichen Provinz Vanni, die seit dem Konflikt noch immer schwer verwüstet ist.

Gemäss Gerichtsurteil vom 27. Oktober können Personen aus Vanni nur zurückgeschafft werden, wenn sie an einen anderen Ort auf der Insel hingehen können. Die Wegweisung von Leuten aus anderen tamilisch-dominierten Teilen im Norden des Landes sollen nur infolge besonderer Umstände verhindert werden können.

Die Migrationsbehörden müssen prüfen, wann die Asylsuchenden Sri Lanka verlassen haben, wie es um ihre Lebensbedingungen und mögliche Unterkunft steht und wie viele Jahre sie in der Schweiz verbracht haben.

Wenn man bei Tamilen aus Vanni eine Ausnahme mache, so das Bundesamt für Migration (BfM) gegenüber swissinfo.ch, könnte das System auch zu Missbrauch führen. Das BfM betont, dass jede potenzielle Wegweisung «individuell und genauestens» geprüft werde. Zudem soll der Gerichtsbeschluss genau angeschaut werden.

Viele Fälle

Im April, als das BfM seine Wegweisungs-Praxis änderte, kam es vor dem Bundeshaus in Bern zu einer Demonstration von Tamilen. Gemäss ihren Angaben riskieren abgewiesene Landsleute, bei ihrer Rückkehr festgenommen und gefoltert zu werden.

«Wir hoffen, dass das Bundesamt für Migration dies sehr sorgfältig behandelt und sich klar darüber ist, das jede einzelne Person wirklich bedroht ist», erklärt Wiedmer.

Seine Organisation will den Druck auf das zuständige Departement aufrechterhalten. Er räumte aber ein, dass es wohl keinen Weg gebe, das Gerichtsurteil umzustossen.

Wiedmer sagt, es gebe «sehr viele» Fälle von zurückgeschafften Tamilen, die bei ihrer Heimkehr verhört worden seien. «Tamilen, die vor kurzem aus Australien deportiert wurden, verschwanden und gaben später an, gefoltert worden zu sein.»

Und vor zwei Monaten sei ein Tamile aus der Schweiz nach Sri Lanka zurückgekehrt, um seine kranke Mutter zu besuchen. Auch er sei verhört worden, so der Geschäftsführer der Gesellschaft für bedrohte Völker.

Die srilankische Regierung bestreitet diese Vorwürfe, Tamilen würden nicht eingeschüchtert.

Prekäre Situation

Nach Angaben der Flüchtlingshilfe ist die humanitäre Lage im Norden und Osten der Insel nach wie vor prekär. Die Lebensbedingungen seien zur Zeit schwierig für alle, die zurückgeschafft würden, die Infrastruktur und zahlreiche Häuser seien seit dem Konflikt nicht wieder aufgebaut worden.

Man müsse damit rechnen, dass Rückkehrer überwacht oder gar inhaftiert würden, so die Flüchtlingshilfe.

Angesichts dieser Umstände beurteilt die Flüchtlingshilfe die vom Gericht akzeptierte Praxisänderung als verfrüht. «Solange die Lage nicht stabil ist und es für deportierte Asylsuchende noch immer Risiken gibt, sollte niemand gegen seinen Willen in den Norden oder Osten Sri Lankas zurückgeschafft werden», heisst es in einer Erklärung.

Die Flüchtlingshilfe verlangt vom Bundesamt für Migration, dass jeder Fall einzeln sorgfältig geprüft wird.

Im Mai 2009 ging der fast 30 Jahre dauernde Krieg mit einem Sieg der Regierung zu Ende.

Seit Kriegsende leben viele Menschen in Flüchtlingslagern.

Noch immer verlassen Tamilen die Insel und suchen Asyl in der Schweiz oder anderen westlichen Ländern.

Zu den Prioritäten von Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapaksa gehören wirtschaftliche und politische Veränderungen. Der buddhistische Singalese kämpft um Rückhalt in den vorwiegend  von hindustischen Tamilen bewohnten Gebieten.

Bei den letztjährigen Wahlen soll es zu Einschüchterungen von Wählern gekommen sein.

Gemäss einem Bericht der UNO von 2011 gibt es «glaubwürdige Beweise», dass das Militär gegen Ende des Bürgerkriegs tausende Zivilisten getötet hat.

Laut UNO-Bericht haben die Tamil Tigers Zivilpersonen als menschliche Schutzschilde benutzt, als sich die Truppen ihren letzten Stellungen näherten.

   

Der Bericht kommt zum Schluss, dass die Versöhnungs-Kommission der Regierung, die  auf internationalen Druck hin das Ende des Konflikts untersuchte,  «sehr mangelhaft» sei.

Der Bericht der Kommission wird am 15. November dem Präsidenten vorgelegt. Er soll darauf veröffentlicht werden.

Gemäss Beobachtern soll ein «glaubwürdiger» Bericht der Kommission zusammen mit politischen Konzessionen an die tamilische Minderheit, um eine unabhängige Untersuchung zu verhindern.  

Auch an der Frühjahrs-Session des UNO-Menschenrechtsrats dürfte Sri Lanka wegen Kriegsverbrechen unter Druck des Westens kommen.

In der Schweiz leben rund 42’000 Tamilen, etwa 15’000 von ihnen haben das Schweizer Bürgerrecht.

Ein Grossteil der Tamilen in der Schweiz mit ständigem Wohnsitz oder Schweizer Pass wurden in der Schweiz geboren.

Die ersten Tamilen kamen in den 1980er-Jahren infolge des Bürgerkriegs in Sri Lanka als Flüchtlinge in die Schweiz.

Sie waren die ersten dunkelhäutigen Flüchtlinge, die in grösserer Zahl in die Schweiz kamen. Es kam gar zu rassistischen Äusserungen oder Übergriffen.

(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

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