«Die Schleppernetzwerke funktionieren wie Reiseagenturen»
Europäische und afrikanische Minister beraten heute in Bern über einen besseren Schutz der Migranten in Nordafrika. Im Gespräch erklärt SRF-Mitarbeiter Beat Stauffer, wie die Schleppernetzwerke funktionieren.
SRF News: Wie organisieren die Schlepperorganisationen in Nordafrika ihr Geschäft?
Beat Stauffer: Die Schlepperorganisationen verbreiten ihre Informationen auf sozialen Netzwerken. Mit ein paar Suchwörtern und Mausklicks findet man heraus, in welchen Cafés und an welchen Orten man Schlepper treffen kann. Manche von ihnen stellen sogar ihre Telefonnummern direkt ins Internet. Daneben spielt auch die Mund-zu-Mund-Propaganda unter den jungen Menschen eine Rolle.
Sind die Schleppernetzwerke also eine Art Reisebüro für Migranten, die nach Europa wollen?
Das sind in der Tat kleinere oder grössere Reiseagenturen, die irreguläre Reisen nach Europa anbieten. Das Ganze ist sehr gut organisiert: Die Migranten werden betreut und untergebracht, bis ihr Schiff ausläuft, viele werden nach ihrer Ankunft in Europa auch «nachbetreut». Denn oftmals bezahlen sie nicht den gesamten verlangten Preis ihrer Überfahrt bereits in Libyen, Tunesien oder Marokko, sondern sie stottern das Geld bei den Schleppern ab, nachdem sie in Europa angekommen sind.
Was sind das für Leute, die diese Schleppernetzwerke betreiben?
Die dreckigen und gefährlichen Arbeiten übernehmen meist Migranten. Sie kontaktieren die Menschen aus ihren Heimatländern und betreuen sie. In der Mitte der Schlepper-Hierarchie sind es meist Leute aus Libyen, Tunesien oder Marokko – sie verdienen bereits recht gut an den Migranten. An der Spitze der Schlepperorganisationen sitzen Einheimische, von denen man zum Teil weiss, wer sie sind. Sie werden – etwa in Libyen – von Milizen oder Politikern geschützt.
Demnach sind die Schleppernetzwerke beispielsweise in Libyen auch ein politischer Faktor. Was bedeutet das für die dortige politische Entwicklung?
Die Schlepperbosse können in Libyen auf wichtige politische Entscheide Einfluss nehmen. Das betrifft etwa Antikorruptions- oder Waffeneinfuhrgesetze. Im schlimmsten Fall können die Schlepperbosse sogar verhindern, dass die Grenzen zuverlässig geschützt werden. Denn durchlässige Grenzen sind Teil ihres Schlepper-Geschäftsmodells.
Kann man das Schlepperwesen überhaupt eindämmen?
Kurzfristig ist das sehr schwierig. Wenn sich Europa entschieden hat, die Grenzen faktisch dicht zu machen, gibt es fast nur die Möglichkeit, die Migranten in Nordafrika wenigstens anständig zu versorgen. Dazu gehört eventuell auch, sie wieder in ihre Heimatländer zurückzubringen. Mittelfristig braucht es aber legale Wege, dass diese Menschen nach Europa kommen können und es braucht humanitäre Korridore, damit besonders gefährdete Menschen – etwa Kriegsflüchtlinge – direkt nach Europa kommen können. Beide Elemente sind sehr wichtig, um das Schlepperwesen auszutrocknen. Allerdings kann auch damit allein das Problem der irregulären Migration aus Afrika nach Europa kaum gelöst werden. Es sind schlicht zu viele Menschen, die ein Arbeitsvisum für Europa wollen.
Libyen-Gespräche in Bern
Zur Konferenz in Bern eingeladen sind Ägypten, Algerien, Deutschland, Frankreich, Italien, Libyen, Mali, Malta, Niger, Österreich, Slowenien, Tschad und Tunesien sowie der EU-Kommissar für Inneres und Migration, die estnische EU-Ratspräsidentschaft und der Europäische Auswärtige Dienst. Zudem sind die Internationale Organisation für Migration (IOM), das UNHCR und erstmals auch das IKRK eingebunden.
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