Und wenn die Zeitungen tot sind, was dann?
Ein Dokumentarfilm zeichnet ein düsteres Bild für die Zukunft der Schweizer Medien: Seit Erfindung des Internets seien Nachrichten überall und gratis verfügbar, die Zukunft der Redaktionen daher ungewiss. Können Medien ihre Rolle als Vierte Gewalt in der Demokratie trotzdem noch wahrnehmen?
Dieter Fahrers Eltern gehören zu einer aussterbenden Gattung: Sie lesen täglich die auf Papier gedruckte Zeitung. Wenn sie alle Artikel gelesen haben, verwenden sie das Zeitungspapier als Unterlage beim Schälen von Gemüse.
Dieses idyllische und gleichzeitig etwas traurig stimmende Bild verwendet Dieter Fahrer in seinem Dokumentarfilm als Ausgangspunkt für eine grössere politische Debatte: Was passiert, wenn das Internet die traditionellen Medien verdrängt? Wie gut können Medienprodukte noch sein, wenn sich mit ihnen kein Geld mehr machen lässt? Und was bedeutet es für die direkte Demokratie, in der Bürger und Bürgerinnen viermal im Jahr über Sachthemen bestimmen, wenn die Unabhängigkeit der Medien nicht mehr gewährleistet ist?
Journalisten bei der Arbeit
Drei Jahre hat der Berner Dieter Fahrer recherchiert, gedreht und geschnitten. Seit Mitte Februar läuft nun sein Film «Die Vierte GewaltExterner Link» in den Schweizer Kinos. Der Titel weckt die Erwartung, etwas über die Rolle der Medien innerhalb einer Demokratie zu erfahren – wie Zeitungen beispielsweise Machtmissbrauch von Politikern durch Publikmachen eines Skandals stoppen, wie dem Parlament bei der Umsetzung von Initiativen kritisch auf die Finger geschaut wird oder wie Medien die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen auf Aspekte einer Abstimmungsvorlage aufmerksam machen, die im offiziellen Abstimmungsbüchlein der Regierung nicht vorkommen.
Doch nichts dergleichen erfährt der Zuschauer im Film. Stattdessen erhält er Einblick in die tägliche Arbeit auf den Redaktionen von vier sehr unterschiedlichen deutschsprachigen Medien: Eine klassische Tageszeitung («Der BundExterner Link«), eine Radiosendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks («Echo der ZeitExterner Link«), ein werbefinanziertes Online-Portal («WatsonExterner Link«) und ein mit Abonnementen und Spenden finanziertes Medien-Start-up («RepublikExterner Link«).
«Ich habe mich gefragt: Was ist die Vierte Gewalt?» sagt Regisseur Dieter Fahrer. «Und das sind die Journalistinnen und Journalisten, die versuchen, in einem immer schwieriger werdenden Markt zu bestehen. Diese Menschen wollte ich bei ihrer Arbeit zeigen.»
Das Thema «Vierte Gewalt» sei viel zu breit, um ihm filmisch gerecht werden zu können. «Ich habe schnell gemerkt, dass es ein subjektiver Film werden muss.» Und so kommentiert Fahrer das Geschehen aus dem Off und gibt preis, welches Unbehagen der Medienumbruch bei ihm selbst auslöst. Und greift dabei in eine brisante politische Debatte ein.
Der Schweizer Regisseur Dieter Fahrer wurde 1958 in Bern geboren. Nach einem Studium der Fotografie in München arbeitete er als Kameraassistent, Kameramann, Aufnahme- und Produktionsleiter bei diversen Spiel- und Dokumentarfilmen. Seit 1997 ist er Produzent und Geschäftsführer der Balzli & Fahrer GmbH. Bekannte Filme von ihm sind «Que sera?», «SMS from Shangri-La» und «Thorberg». Fahrer erhielt diverse Stipendien und Preise, unter anderem den Filmpreis des Kantons Bern und den 3sat-Dokumentarfilmpreis. Sein neuster Film «Die Vierte Gewalt» über Journalisten und Journalistinnen in der Schweiz läuft seit Mitte Februar in den Schweizer Kinos.
Schweizer Medien im Umbruch
Ob in der Deutsch-, der Westschweiz oder im Tessin: Schweizer Medien befinden sich in einer grossen Krise. Nur noch wenige grosse Verlage kontrollieren den Markt, die Einnahmen sinken und bei den Redaktionen wird gespart. Jüngste Beispiele: Der Grossverlag Ringier Axel Springer stellte 2017 die französischsprachige Zeitschrift «L’Hebdo» wegen mangelnder Rentabilität ein. Die sda, die einzige verbliebene Schweizer Nachrichtenagentur, gab 2018 bekannt, bis zu 40 der 150 Vollzeitstellen abzubauen. Und am 4. März stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über die Abschaffung der Gebühren für den öffentlichen Rundfunk ab.
Das Thema liegt also in der Luft. So hat auch das Westschweizer Fernsehen RTS kürzlich den DokumentarfilmExterner Link «Le Printemps du journalisme» über die Schweizer Medienkrise ausgestrahlt. Niemand wisse, wie man heute noch Medien finanzieren könne, sagt darin ein Journalist. Und eine Journalistin stellt einer Schulklasse die rhetorische Frage: «Wenn ihr in einer Bäckerei ein Croissant bestellt, müsst ihr dafür bezahlen?» Man habe historisch den Fehler gemacht, journalistische Inhalte auf dem Internet zu verschenken, und nun habe man Mühe, Geld für die dahintersteckende Arbeit zu erhalten, erklärt der ehemalige Chefredaktor von «L’Hebdo» im TV-Dokumentarfilm.
Demokratie ist nicht gratis zu haben
Auch Fahrer bestätigt, dass es schwieriger geworden sei, mit Medien Geld zu verdienen. Aber das sei nicht nur in der Medienbranche der Fall. Wir seien uns allgemein gewohnt, dass alles gratis oder zumindest billig sei. Und vergässen dabei, dass immer jemand den Preis zahle – sei es die unterbezahlte Fabrikarbeiterin in der T-Shirt-Fabrik in Bangladesch oder bei werbefinanzierten Medien letztlich wir alle, weil unsere Aufmerksamkeit an die Werber verkauft werde. «Wenn wir guten und relevanten Journalismus wollen, müssen wir bereit sein, dafür zu zahlen», schlussfolgert Fahrer. Sei es mittels Abonnementen oder Gebühren.
Denn wenn wir es ernst meinten mit der direkten Demokratie, dann sei guter Journalismus unabdingbar: «Nur gut informierte Bürger fällen gute Entscheide», sagt Fahrer und fährt sich mit der Hand durch das mittellange Haar, während er nachdenkt. «Ich weiss, es tönt arrogant: Aber ich frage mich, wie souverän ist der Souverän? Haben wir die Fähigkeit, in dieser immer komplexeren Welt gute und souveräne Entscheide zu fällen?» Dem Journalismus fehle es an Zeit und Ressourcen, die Dinge zu hinterfragen und sich auf ein Thema zu spezialisieren.
Was das konkret bedeutet, beschreibt Fahrer am Beispiel eines anderen Themas, das ihm am Herzen liegt und über das er den Film «Thorberg» gedreht hat: Der Strafvollzug. Er erzählt, wie der neue Direktor die Reorganisation des Gefängnisses an der Medienkonferenz angepriesen habe und sämtliche Journalisten die Lobpreisungen brav abgedruckt hätten. Sie hätten die mögliche Brisanz des Themas gar nicht bemerkt.
Wir erleben eine Kulturrevolution
Zurück in die Vergangenheit will Fahrer aber nicht. «Ganz früher gab es eine Parteipresse, dorthin wollen wir nicht zurück.» Die Medien seien nicht schlechter geworden. Heute sei die Welt komplexer, globaler und vernetzter. Dank den sozialen Netzwerken gebe es eine «Fünfte Gewalt», denn jeder und jede sei heutzutage auch Publizist. «Demokratiepolitisch ist das nicht schlecht», findet Fahrer.
Ob er jungen Leuten den Journalistenberuf noch empfehlen könne? «Unbedingt!», ruft Fahrer sofort. «Das ist einer der tollsten Berufe, die es gibt.» Natürlich sei es schwierig, eine Stelle in einem guten Umfeld zu finden. Aber das sei in anderen Branchen nicht anders. «Wir erleben zurzeit durch Digitalisierung und Globalisierung eine Kulturrevolution.»
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Schweizer Filme über Politik und Demokratie
– Männer im RingExterner Link, Erich Langjahr, 1990.
– Mais im BundeshuusExterner Link, Jean-Stéphane Bron, 2003.
– Die Demokratie ist losExterner Link, Thomas Isler, 2015.
– Die Macht des VolkesExterner Link, Karin Bauer, 2015.
– HeimatlandExterner Link, CONTRAST FILM, 2015.
– Die göttliche OrdnungExterner Link, Petra Volpe, 2017.
– Ein Volk auf der HöheExterner Link, Frédéric Gonseth, 2017.
– Die Vierte GewaltExterner Link, Dieter Fahrer, 2018.
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