«Mehr Gewalt durch 24-Stunden-Betrieb»
Gejohle, Vandalismus und Schlägereien biertrinkender Jugendlicher auf der Strasse - das ist am Wochenende in den Städten Courant normal. Der 24-Stunden-Betrieb führe zu einer Zunahme der Gewaltdelikte, sagt Strafrechtsprofessor Martin Killias.
Tatsache ist: Heute gehen viel mehr Jugendliche als früher in den Ausgang. Und ihr Ausgehverhalten hat sich verändert: Sie verabreden sich oft erst spät, bleiben bis zum Morgengrauen – und trinken zum Teil sehr viel Alkohol.
«Wir haben starke Indizien dafür, dass die Jugendgewalt massiv zurückgehen würde, wenn die Jugendlichen nicht mehr bis in alle Nacht hinein im Ausgang wären», sagt Martin Killias im Tages-Anzeiger. «Wenn der Staat also gewillt ist, die Jugendgewalt abzubauen, wären die Polizeistunde oder Zeitlimiten für Kinder taugliche Massnahmen.»
«Mehr Gewalt durch Angebot»
Für Killias ist die Ausgeh-Gesellschaft «nicht in Stein gemeisselt». Er könne sich durchaus vorstellen, dass der 24-Stunden-Betrieb der Kernstädte heruntergefahren würde. Oder der Alkoholverkauf ab Mitternacht verboten wäre.
Der oft pauschale Vorwurf, die Eltern würden ihre Erziehungsaufgabe nicht wahrnehmen und die Kinder nicht früh genug ins Bett schicken, hält Killias für verfehlt. Angesichts des grossen Freizeitangebotes am Abend und in der Nacht werde es ihnen sehr schwer gemacht, sich durchzusetzen.
Der Anteil jener Jugendlicher, die sich nicht an die Zeitvorgaben der Eltern hielten, habe in den letzten 15 Jahren massiv zugenommen. Zudem sagten Jugendliche ihren Eltern auch häufig nicht mehr, mit wem sie ausgingen.
«Verantwortung wird abgeschoben»
Was hält man in Zürich von diesen Vorschlägen? «Ich glaube nicht, dass ein solcher Ansatz im Moment politisch den Hauch einer Chance hätte», sagt Reto Casanova, Sprecher des Polizeidepartements der Stadt Zürich gegenüber swissinfo.ch.
Natürlich könne man die Frage aufwerfen, inwiefern die Städte Verantwortung übernehmen sollten. Man könne auch darüber diskutieren, ob etwa nachts die Verkehrs-Dienstleistungen abzubauen wären. «Doch es ist etwas einfach zu sagen, die Städte müssten Verantwortung übernehmen. Auf diese Weise wird die Verantwortung abgeschoben, damit ist niemandem gedient», sagt Casanova. «Im Grunde genommen müsste jeder Bürger selber überlegen, was er tun kann.»
Casanova sieht drastischere Massnahmen nicht als Lösung zur Eindämmung der Jugendgewalt: «Die Polizei kann im Grunde genommen nur Symptome behandeln, an den Ursachen kann sie nichts ändern.»
«Konflikte programmiert»
Der gleichen Meinung ist Alexander Tschäppät, Stadtpräsident von Bern, wo man im Gegensatz zu Zürich eine Sperrstunde kennt: «Nicht die Städte, sondern die ganze Gesellschaft trägt Verantwortung.»
Bei den nächtlichen Alkohol-Exzessen gehe es um ein gesellschaftliches Phänomen, eine Erscheinung einer wohlstandsgeprägten Gesellschaft.
In Bern habe man zwar eine Sperrstunde, trotzdem gebe es Probleme. Der Jugendalkoholismus und die Parties zu später Stunde nähmen zu. Infolge des Rauchverbots hielten sich die Leute zudem vermehrt auf den Strassen auf, wodurch zusätzlicher Lärm entstehe. «Damit sind Konflikte programmiert.»
Preiszerfall beim Alkohol
Klar müsse sich jede Stadt überlegen, wie viel Nachtleben sie bieten wolle, doch sei das Angebot einer Stadt nicht attraktiv genug, würden die Leute einfach weiterziehen.
Laut Tschäppät braucht es in den Städten nicht nur eine bessere und öffentlich sichtbare Polizei, sondern sind auch drakonische Strafen für Lokale, die sich nicht an die Auflagen halten, unerlässlich.
«Die Städte können Schliessungszeiten verschärfen, Polizeikontrollen verstärken, an neuralgischen Stellen Videoüberwachung einführen – doch im Grunde genommen ist das alles Symptombekämpfung», so Tschäppät.
Die Städte könnten unmöglich alles kontrollieren. So gingen in Bern die Jugendlichen häufig Alkohol einkaufen und dann an den Ufern der Aare zum Feiern. In einem liberalen Land wie der Schweiz könne und wolle man ja schliesslich kein Trinkverbot in der Öffentlichkeit einführen.
Als «Katastrophe bezeichnet der Berner Stadtpräsident den Preiszerfall beim Alkohol, den er für den zunehmenden Jugendalkoholismus mit als Grund sieht. Heute könnten sich ein halbes Dutzend Jugendliche mit ein paar Büchsen Redbull und einer Flasche Wodka zum Preis von einem Kinobillet zudröhnen. «Würde der Alkohol wieder teurer werden, würde auch weniger getrunken», ist Tschäppät überzeugt.
Corinne Buchser, swissinfo.ch
Bund, Kantone und Gemeinden wollen gemeinsam gegen Jugendgewalt vorgehen. Jugendliche sollen zudem im Umgang mit neuen Medien geschult werden. Das sind die Ziele zweier nationaler Programme, die das Bundesamt für Sozialversicherungen von 2011 bis 2015 umsetzen will.
Der Bund leistet in diesem Zeitraum Beiträge von insgesamt 8,65 Mio. Franken.
Das «Gesamtschweizerische Präventionsprogramm Jugend und Gewalt» hat zum Ziel, die Zahl der Gewalttaten unter Jugendlichen zu verkleinern. Um Kinder möglichst früh zu erreichen, setzt es bei den Familien an, umfasst aber auch Schulen und Orte, wo sich ältere Kinder und Jugendliche treffen, etwa Pärke und Sportplätze.
Mit dem Programm «Jugendmedienschutz und Medienkompetenzen» sollen Jugendliche besser vor Gefahren geschützt werden, die in Filmen, Spielen sowie im Handy und im Internet lauern.
Der Bund wolle auch hier koordinieren und dabei mit Kantonen, Gemeinden und der Branche zusammenarbeiten.
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