«Menschlicherer» Ueli Steck zurück am Himalaya
Fünf Monate nach dem Streit mit einer Gruppe Sherpas am Mount Everest ist der bekannte Schweizer Alpinist Ueli Steck nach Nepal zurückgekehrt, um einen der gefährlichsten Achttausender zu erklimmen. Im Gespräch mit swissinfo.ch nennt er die Gründe für seine Rückkehr.
Im letzten Frühling hatte der Schweizer Bergsteiger Nepal traumatisiert verlassen und erklärt, er werde nie mehr an den höchsten Berg der Welt zurück kehren. Aber jetzt startet er, gemeinsam mit dem Kanadier Don Bowie, zum dritten Versuch, über die Südwand die Annapurna I zu bezwingen.
swissinfo.ch: Diese Expedition dürfte Ihnen nach den Erlebnissen vom letzten Frühling nicht leicht fallen. Wie fühlen Sie sich?
Ueli Steck: Nach Nepal zurück zu kommen, ist sehr wichtig für mich. Ich muss wissen, was hier geschieht. Meine Meinung über das Land und wie es funktioniert, hat sich völlig verändert. Ich glaube, der Vorfall hat mir ein wenig die Augen geöffnet in Bezug auf Nepal, und das ist gut so. Ich habe die Dinge bereinigt, und für mich ist es jetzt in Ordnung. Die Frühlingsexpedition ist Geschichte, und es war bestimmt nicht die schönste in meinem Leben, aber sie ist nun mal geschehen.
Die Südflanke der Annapurna I ist ein altes Projekt. Ich hatte es bereits zweimal versucht und glaube, dass man Geduld haben muss, wenn man an einem Achttausender schwierige Routen begeht. Manchmal hat man einen Glückstreffer, aber oft muss man umkehren, um ans Ziel zu kommen.
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swissinfo.ch: Als sie 2007 zum ersten Mal in die Wand stiegen, wurden sie von einem Steinschlag getroffen, der sie hätte umbringen können. 2008 unterbrachen Sie die Expedition, um den spanischen Bergsteiger Iñaki Ochoa de Olza zu retten, der kurz nach Ihrer Ankunft in seinem Camp starb. An diesen Berg zurückzukehren, muss eine mentale Herausforderung für Sie sein?
U.S. Nach Iñakis Tod musste ich die Wand unverzüglich verlassen, und ich brauchte eine gewisse Zeit, um darüber hinweg zu kommen. Wenn ich schon in der darauf folgenden Saison zurück gekommen wäre, wäre ich zu besorgt und nicht vorbereitet gewesen.
Nach ein paar Jahren und einigen guten Erfahrungen an Achttausendern spüre ich, dass das Feuer zurück ist und ich das Projekt zu Ende bringen will. Heute habe ich viel mehr Erfahrung als 2007 und 2008. Ich wende neue Taktiken an und bin nicht mehr auf eine einzige Route fixiert. Nun bin ich in der Lage, mich besser dem Wetter und anderen Bedingungen anzupassen.
Am 28. April wurden der Schweizer Bergsteiger Ueli Steck, der italienische Alpinist Simone Moro und der britische Fotograf John Griffith von dutzenden Sherpas im Camp 2 auf 6400 m am Mount Everest angegriffen.
Der Angriff geschah wenige Stunden, nachdem die drei Kletterer ein Fix-Seil traversiert hatten, das die Sherpas auf dem Weg ins Camp 3 auf 7300m montiert hatten, um die Route für kommerzielle Expeditionen vorzubereiten.
Die drei Kletterer aus Europa mussten in der Folge ihren Everest-Trip abbrechen.
swissinfo.ch: Sie sagten gerade, dass Sie gute Erfahrungen am Berg nötig gehabt hätten, um das Projekt zu Ende zu bringen. Aber im Frühling hatten Sie sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Weshalb sind Sie jetzt zurück gekommen?
U.S.: Die Geschichte am Mount Everest habe ich noch längstens nicht überwunden. Es wird Jahre dauern, aber es ist etwas ganz anderes. Das Leben geht weiter, und ich muss mich bewegen. Ich kann nicht zuhause sitzen und Daumen drehen.
Ich spüre den Drang, hoch hinauf zu klettern, und die Achttausender befinden sich nun mal in Nepal. Andererseits ist es für mich auch gut, zurück zu sein: Ich muss mit den Leuten sprechen und wieder Beziehungen aufbauen, um über die Geschichte hinweg zu kommen.
swissinfo.ch: Stehen Sie auch unter externem Druck, dieses Projekt zu Ende zu führen?
U.S.: Die Südwand der Annapurna liegt mir sehr am Herzen. Viele gesponserte Bergsteiger gehen anders vor. Oft werden ihre Expeditionen von Sponsoren finanziert und dann müssen sie tun, was man ihnen sagt. Ich will mein eigenes Ding drehen. Umso besser, wenn ich einen Sponsor finde, der mein Projekt unterstützt. Sonst bezahle ich es selber. Diese Freiheit habe ich in meinem Leben immer gehabt, und ich will sie auch behalten.
swissinfo.ch: Sie haben bekanntermassen potente Sponsoren. Wie haben diese nach dem Vorfall am Everest reagiert? Hat die Geschichte das Verhältnis zu den Sponsoren beeinträchtigt oder hat sie Ihr Image sogar noch aufgewertet?
U.S.: Komischerweise hat mich der Vorfall viel menschlicher gemacht. Das ist wirklich so. Die Sponsoren erfuhren eine starke Medienpräsenz, ohne dass sie viel dafür tun mussten. Und jetzt kennt mich jede und jeder. Natürlich mag ich dieses Image überhaupt nicht. Ich will nicht mit solchen Geschichten in den Medien erscheinen, aber es ist unmöglich, es zu verhindern.
swissinfo.ch: Normalerweise klettern Sie in grosser Höhe nicht mit Sherpas. Kommen bei Ihrem neuen Projekt überhaupt Sherpas zum Einsatz, und wenn ja, wie fühlen Sie sich dabei?
U.S.: Für die Unterstützung im Basislager kommen natürlich Sherpas zum Einsatz. Wir werden auch einen Sherpa haben, der zurück ins ABC (vorgeschobenes Basislager auf etwa 5000m) gehen wird. Den grössten Teil unserer Ausrüstung werden wir selber tragen, aber es ist gut zu wissen, dass jemand da sein wird, um uns zu helfen. Und wenn der Küchenjunge mehr Geld verdienen will, kann er auch mitkommen.
Der zehnthöchste Berg der Welt ist 8091 m hoch und liegt im Westen Nepals.
1950 wurde die Annapurna I über die Nordwand von einer französischen Expedition unter der Leitung von Maurice Herzog zum ersten Mal erklommen.
Der Berg ist gefürchtet wegen grosser Lawinengefahr. Berühmte Alpinisten wie der Russe Anatoli Bukrejew und der Italiener Christian Kuntner kamen am Annapurna I ums Leben.
Die französischen Kletterer Pierre Beghin und Jean-Christophe Lafaille wählten 1992 die gleiche Route. Aber Beghin stürzte zu Tode und Lafaille brauchte fünf Tage, um allein vom Berg herunter zu kommen.
Lafaille kam im Dezember 2004 beim Versuch um, den 8463 m hohen Makalu im Winter allein zu besteigen.
swissinfo.ch: Haben Sie das Gefühl, ihnen vertrauen zu können?
U.S.: Meine Wahrnehmung der Menschen hat sich stark verändert, nicht nur was die Sherpas betrifft. Nach den Ereignissen im Frühling fiel es mir schwer, den Menschen zu vertrauen. Ich baute eine Wand auf zwischen mir und anderen, die noch nicht zerbrochen ist.
swissinfo.ch: Obwohl die Annapurna I zu den niedrigeren Achttausendern gehört, gilt sie als einer der gefährlichsten. Hat sich Ihre Risikowahrnehmung geändert, nach dem Sie feststellen mussten, dass das Camp 2 am Everest auch risikoreich sein kann?
U.S.: Das ist sehr wahr: Das Camp 2 am Everest ist sehr gefährlich und schwierig vorauszuberechnen. Jeder bezeichnet die Annapurna wegen der vielen Eis- und Schneelawinen auf der Normalroute als den gefährlichsten Achttausender. Im Süden erhält der Berg viel Feuchtigkeit, und das bedeutet viel Schnee. Das ist einer der Gründe, weshalb wir relativ spät in der Saison starten.
swissinfo.ch: Wenn Sie beim dritten Mal Glück haben und den Gipfel erreichen werden, wird ein Traum erfüllt sein. Was ist Ihr nächster Traum?
U.S.: In diesem Sommer habe ich oft darüber nachgedacht, vor allem nach den Erlebnissen am Everest. Ich glaube, ich werde an technischen Wänden von Achttausendern bleiben, wo mich niemand stören kann. Das ist, was mich interessiert. Es steht noch viel Arbeit bevor an diesen Achttausendern, und es gibt noch viel Platz zum Klettern.
Der als «Schweizer Maschine» bekannt gewordene Ueli Steck wurde 1976 in Langnau im Berner Emmental geboren. Seinen Übernamen erhielt Steck wegen eines gleichnamigen Films über ihn.
2001 gelang ihm die Solobesteigung der Eigernordwand in 10 Stunden. Zwei Jahre später unterbot er den Rekord von 4 Stunden 30 Minuten.
Steck hat die höchsten Gipfel in der Schweiz bezwungen sowie zahlreiche in Nordamerika und am Himalaya.
Im Februar 2008 stellte er mit einer Zeit von 2 Stunden 47 Minuten einen neuen Solo-Rekord an der Eigernordwand auf.
Im Mai 2012 bezwang Steck den Mount Everest zum ersten Mal ohne zusätzlichen Sauerstoff.
Im April 2013 wäre eine Auseinandersetzung im Camp 2 am Everest zwischen Steck und seinen Kollegen mit einer Gruppe Sherpas beinahe eskaliert. Steck verliess in der Folge den Himalaya und kehrte zum Klettern in die Alpen zurück.
(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)
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