Menstruationsurlaub: Schweizer Stadt bricht Tabu
Die Stadt Freiburg hat diese Woche als erste Schweizer Gemeinde einen Menstruationsurlaub für ihre Angestellten eingeführt. Die Schweiz hat sich damit einer weltweiten Debatte über Gesundheit am Arbeitsplatz angeschlossen und ein langjähriges Tabu gebrochen.
Eine neue Regelung in der Westschweizer Stadt Freiburg erlaubt es städtischen Angestellten mit schmerzhafter Regelblutung, bis zu drei Tage pro Menstruationszyklus freizunehmen, ohne ein ärztliches Attest vorlegen zu müssen. Der Stadtrat stimmte mit grosser Mehrheit zu – 49 zu 13 Stimmen bei 13 Enthaltungen.
Dieser Entscheid ist ein Novum in der Schweiz, wenn man bedenkt, dass der Menstruationsurlaub hier noch vor wenigen Jahren ein kaum bekanntes Konzept war. Traditionellerweise zieht es die Politik in der Schweiz vor, «private» Angelegenheiten, wie etwa die Kinderbetreuung, im privaten Bereich zu belassen.
Warum ein Urlaub wegen Menstruationsbeschwerden?
Die linken Politikerinnen und Politiker, die hinter dem Freiburger Vorschlag stehen, sagen, sie wollten die Auswirkungen von Dysmenorrhoe oder Menstruationsbeschwerden auf das Arbeitsleben der Betroffenen beleuchten.
«Es ist von grundlegender Bedeutung, sagen zu können, dass ich wegen meiner Periode krank bin, und dies als legitimen Grund für meine Abwesenheit zu betrachten», sagt die grüne Gemeinderätin Laura Zahnd in der Zeitung Le MatinExterner Link. «Im Moment müssen Menstruierende zur Arbeit kommen, auch wenn sie sich nicht gut fühlen.»
Manche Frauen leiden unter starken Monatsblutungen, die sie schwächen können, erklärte Nicola Pluchino, Gynäkologe am Universitätsspital Waadt, letztes Jahr in Le TempsExterner Link.
«Für sie kann das Arbeitsleben unmöglich werden», sagt er. «Und sie finden es sehr schwierig, sich bei ihren männlichen Kollegen oder ihrem Chef Gehör zu verschaffen.»
Etwa jede zehnte Frau im gebärfähigen Alter leidet an EndometrioseExterner Link, einer Krankheit, die vor allem während der Menstruation starke Schmerzen im Unterleib verursachen kann.
Wenn Frauen wegen Menstruationsbeschwerden regelmässig für kurze Zeit abwesend sind, kann ein Arbeitgeber anfangen, Fragen zu stellen, wird Aline Bœuf, Autorin des Buchs «Briser le tabou des règles», in Le Temps zitiert. «Ein Menstruationsurlaub könnte dieses Problem lösen», so die Soziologin.
Warum gibt es Widerstand gegen den Menstruationsurlaub?
Rechtsbürgerliche Freiburger Politikerinnen und Politiker argumentierten, dass der medizinische Urlaub am Arbeitsplatz ausreiche, um den Bedarf an freien Tagen abzudecken – städtische Angestellte können bereits bis zu drei Tage ohne ärztliches Attest krankgeschrieben werden.
Sie forderten stattdessen eine Aufklärungskampagne über gynäkologische Erkrankungen, wie das französischsprachige Schweizer Radio RTS berichteteExterner Link.
Wenn sich der Menstruationsurlaub durchsetze, werde er zu einem «zusätzlichen Etikett», das Frauen vor allem in der Privatwirtschaft tragen müssten, warnt die freisinnige Stadträtin Océane Gex im Bericht von RTS. Frauen würden bereits am Arbeitsplatz diskriminiert, etwa weil sie Kinder hätten.
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Zwei Frauen, die an Endometriose leiden, äusserten gegenüber Le Temps ähnliche Bedenken: Sie glauben, dass die Gesellschaft noch nicht bereit ist, den Menstruationsurlaub zu akzeptieren.
«Ich befürchte, dass einige Chefs noch mehr zögern werden, Frauen einzustellen», sagt eine von ihnen. «Ausserdem sollten gewisse Frauen nicht gezwungen werden, darüber zu sprechen, wenn sie es nicht wollen.»
Wo stehen die Schweiz und andere Länder in dieser Frage?
Noch vor wenigen Jahren galt der Menstruationsurlaub in der Schweiz als «Nischenthema», so Bœuf gegenüber der Schweizer Zeitschrift FeminaExterner Link. Erst als das spanische Parlament 2022 über ein entsprechendes Gesetz debattierte, begann man darüber zu sprechen.
Noch in jenem Jahr beschloss die Stadt Zürich, ein Pilotprojekt zu starten, das städtischen Angestellten, die unter «starken und regelmässigen» Menstruationsbeschwerden leiden, zwischen einem und fünf Tagen bezahlten Urlaub gewährt.
Das Pilotprojekt inspirierte die Lausanner Stadträtin Audrey Petoud dazu, einen Vorschlag für ein ähnliches Experiment in ihrer Stadt einzureichen.
Die Ergebnisse des Zürcher Projekts sind noch nicht bekannt. Marco Taddei vom Schweizerischen Arbeitgeberverband sagte jedoch, das Projekt werde dazu beitragen, zu sensibilisieren. «Die Arbeitgeber, oft Männer, müssen für das Thema sensibilisiert werden – es ist gut, darüber zu sprechen», sagt er gegenüber Le Temps.
Spanien ist das erste Land in Europa, das einen Menstruationsurlaub einführt. Im Februar 2023 verabschiedete das Parlament einen Gesetzesentwurf, der es bei schmerzhafter Menstruation ermöglicht, mit einem ärztlichen Attest bis zu fünf Tage bezahlten Urlaub zu nehmen.
Ein ähnliches Gesetz wird in Frankreich diskutiert, wo einige private Unternehmen wie der Einzelhandelsriese Carrefour bereits Menstruationsurlaub anbieten. In Italien scheiterte 2017 ein Versuch, einen solchen Urlaub einzuführen. Auf dem afrikanischen Kontinent können Frauen in Sambia seit 2015 einen Tag pro Periode ohne ärztliches Attest freinehmen.
In der Schweiz, so Bœuf, stelle man sich inzwischen ernsthafte Fragen zu diesem Konzept: Werden die Frauen diesen Urlaub überhaupt in Anspruch nehmen wollen?
«Ich habe den Eindruck, dass wir uns vor zehn oder zwanzig Jahren die gleichen Fragen über den Mutterschaftsurlaub gestellt haben», sagt sie. «Die Frauen hatten Angst um ihre Karriere. Der bezahlte Mutterschaftsurlaub in der Schweiz wurde 2005 eingeführt und ist mit 14 Wochen einer der kürzesten in den Industrieländern.»
Aber die Zeiten haben sich geändert, fügt die Soziologin hinzu: «Es wird nicht mehr als angemessen angesehen, wenn potenzielle Arbeitgeber Frauen fragen, ob sie planen, Kinder zu bekommen.»
Und mit der Zeit, so Bœuf, wird sich auch die Einstellung zum Thema Menstruation ändern, und es wird unangemessen sein, eine Bewerberin zu fragen, ob sie wegen ihrer schmerzhaften Periode eine Auszeit nehmen müsse.
Interessanterweise wurde in Spanien eine Bestimmung zur Abschaffung oder Senkung der Umsatzsteuer auf Damenhygieneprodukte schliesslich aus der endgültigen Fassung des Gesetzesentwurfs gestrichen.
Die «Menstruationsarmut» ist in vielen Ländern ein weiteres Thema, so auch in der Schweiz, wo die Senkung der Steuer auf Damenhygieneprodukte Gegenstand parlamentarischer Diskussionen ist.
Woher kommt das Konzept des Menstruationsurlaubs?
Im Jahr 1922 führte die Sowjetunion einen bezahlten Menstruationsurlaub von zwei bis drei Tagen pro Monat für Fabrikarbeiterinnen einExterner Link. Diese Regelung wurde später abgeschafft, aber es ist unklar, wann, sagen Forschende der Universität Sydney in Australien.
Die anderen Pionierländer sind in Asien zu finden: In Japan gibt es seit 1947 einen eintägigen Menstruationsurlaub, Indonesien und Südkorea haben ihn in den 1950er-Jahren eingeführt – in Indonesien sind es zwei bezahlte Tage pro Monat und in Südkorea ein bezahlter oder unbezahlter Tag. In Taiwan können bis zu drei Tage pro Jahr bei halbem Lohn genommen werden.
Editiert von Balz Rigendinger, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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